Vier Thesen des Berufsstands

Die Kanzlei ist eine ausreichende Altersvorsorge. Eine Welt ohne Gebührenverordnung wäre eine Katastrophe. Buchhalter bedrohen den Berufsstand, und Einzelkanzleien sind auch in der Zukunft ein Erfolgsmodell. Diese weit verbreiteten Annahmen lohnt es sich zu hinterfragen.

Steuerberater Sven Mayer (Name geändert) hat sich jahrzehntelang getäuscht. Er hat seine Kanzlei nach bester Überzeugung geführt, er hat gute Leute eingestellt, er hat viele Mandanten jahrzehntelang betreut und seine Kanzlei seriös und solide geleitet, in dem Glauben, sie irgendwann für eine ansehnliche Summe verkaufen und sich mit dem Erlös einen schönen Lebensabend gestalten zu können. Nach mehr als 40 Berufsjahren entpuppte sich dieser Glaube als Irrtum – es war der schlimmste Irrtum seines Lebens.

In der Steuerberaterbranche gibt es viele vermeintliche Gewissheiten. Doch oft sind sie nicht richtig. Einige kosten Geld, andere schüren Ängste, die mitunter unbegründet sind. Solche Gewissheiten entstehen natürlich nicht aus dem Nichts oder von einem Tag auf den anderen, sondern sie wachsen mit den Jahren, verfestigen sich und sind dadurch umso gefährlicher. Bei Steuerberater Mayer mündete sein Irrglaube in eine riesige Enttäuschung: Er erkannte nicht rechtzeitig, dass er sich nicht einfach auf einen guten Verkaufswert seiner Kanzlei hätte verlassen dürfen und muss jetzt mit den Konsequenzen leben.

These: Mit meiner Kanzlei und dem Versorgungswerk bin ich solide für das Alter abgesichert

Viele Steuerberater glauben, so wie Mayer, dass sie sich um ihren Ruhestand im Grunde keine Sorgen machen müssen, weil sie auf zweifachem Weg abgesichert sind: Zum einen über das Versorgungswerk und zum anderen über ihre Kanzlei. Mit diesem zweigleisigen Ansatz sollte die Rente doch eigentlich gesichert sein, lautet die gängige Überzeugung – die genau genommen gleich auf zwei Irrtümern beruht. Der erste: Ein profitabler Verkauf einer soliden, gut geführten Kanzlei ist im Grunde eine sichere Sache. Der zweite: Die Altersrente vom Versorgungswerk reicht sicherlich. Beide Annahmen sind problematisch.

Ansparmodelle wie das Versorgungswerk stehen bei Finanzexperten gerade in der Kritik: Die Vermögensverwalter haben in langen Niedrigzinsphasen, wie wir sie derzeit erleben, eine kniffelige Aufgabe, zumal dann, wenn die Inflation höher ausfällt als die reguläre Verzinsung. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu erstaunlich, wie gut viele Versorgungswerke von Steuerberatern und Rechtsanwälten wirtschaften. Aber wer nur den monatlichen Regelpflichtbeitrag von weniger als 1.200 Euro einzahlt, hat mit der daraus resultierenden Altersversorgung ohnehin irgendwann ein Problem, wenn er nicht noch zusätzlich vorsorgt: Zwar kann man davon ausgehen, dass ältere Menschen nach ihrem aktiven Berufsleben nicht mehr ganz so viel Geld brauchen wie während ihrer aktiven Phase, aber allzu groß sollte man den Unterschied nicht werden lassen: Viele unterschätzen, wie lange heute Menschen fit und aktiv, und mit dementsprechenden Konsumwünschen, in ihr siebtes und achtes Lebensjahrzehnt gehen, ganz abgesehen von den Kindern und Enkeln, denen viele auch gerne den ein oder anderen Wunsch erfüllen wollen.

Auch Steuerberater Sven Mayer wollte sich nicht ausschließlich auf das Versorgungswerk verlassen: Er war sich sicher, dass seine Kanzlei eines Tages einen guten Verkaufspreis erzielen würde. Als der heute 67-Jährige den Erlös schätzen ließ, fiel er aus allen Wolken. Gerade einmal 70 Prozent des Jahresumsatzes seien zu erwarten, sagte der Experte, und auch dafür müsse erst einmal ein Käufer gefunden werden. Mayers Kanzlei ist eher ländlich gelegen, in einem 15.000-Einwohner-Ort. Er erwirtschaftet jährlich etwa 200.000 Euro, macht einen zu erwartenden Verkaufspreis von 140.000 Euro. Und selbst dafür hat sich bisher immer noch kein Käufer gefunden.

Steuerberater wie Mayer haben es besonders schwer: Gerade in ländlichen Gebieten ist der Markt für Steuerkanzleien schwierig. Doch auch in bevölkerungsreicheren Gegenden haben Berufsträger immer größere Probleme, ihre Kanzleien einigermaßen profitabel zu verkaufen. Das liegt vor allem daran, dass der Markt für Kanzleien in den vergangenen Jahren erodiert ist und sich vom Verkäufer- zum Käufermarkt entwickelt hat. Es gibt schlicht immer weniger interessierte Käufer, die bereit sind, eine bestehende Kanzlei mit Mitarbeitern, vorhandener IT und Infrastruktur und all ihren Eigenheiten zu übernehmen. Hinzu kommt: Viele Kanzleien sind für potenzielle Käufer unattraktiv, weil Nachlässigkeiten eingerissen sind, weil sich über Jahre eine gewisse Unwirtschaftlichkeit eingeschlichen hat. Manch einem älteren Steuerberater fällt es schwer, jahrzehntelang eingeschliffene Verhaltensweisen und Angewohnheiten abzulegen und seine Kanzlei regelmäßig neu zu erfinden. Auch dadurch schrumpft die Zahl der potenziellen Käufer, die bereit wären, einen auch für den Verkäufer attraktiven Preis zu zahlen, erheblich.

Alexander JostDiese Erfahrung hat auch Alexander Jost von der Jost AG, Lauf bei Nürnberg, gemacht. Er bringt Käufer und Verkäufer in Deutschland und in Österreich zusammen. „Die Bundessteuerberaterkammer schätzt, dass die meisten Kanzleien 80 bis 140 Prozent ihres Nettojahresumsatzes wert sind“, sagt Jost. „Das ist ein breiter Rahmen. Unserer Erfahrung nach sind es meist eher 110 bis 120 Prozent.“ Die Voraussetzung dafür: Die Rendite der Kanzlei muss zwischen 35 und 40 Prozent liegen. An der Lage einer Kanzlei können Steuerberater naturgemäß wenig ändern – ihre Rendite können sie aber durchaus beeinflussen, zum Beispiel mit effizienteren Prozessen, mehr Marketing, oder indem sich die Kanzlei von Mandaten trennt, die Zeit und Ressourcen kosten, aber dafür wenig Ertrag einbringen.

Kanzleiberater Josef Weigert, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Weigert + Fischer mit Sitz in Neumarkt in der Oberpfalz, sieht die Lage sogar noch etwas drastischer. Er sagt: Sehr gut geführte Kanzleien in guter Lage werden auch zukünftig noch zuverlässig und profitabel verkauft, dafür wird es stets einen Markt geben. „Allerdings wird der Abstand zwischen den profitablen, lukrativen und all den anderen Kanzleien größer.“ Seiner Schätzung nach werden aktuell die meisten Kanzleien mit einem Kaufpreisfaktor von 90 bis 120 Prozent des Nettojahresumsatzes bewertet. „In ein paar Jahren könnte diese Spanne zwischen 60 und 130 Prozent liegen.“ Und alle, die im unteren Teil des Spektrums liegen, haben dann ein Problem.

These: Wenn Befugnisse für Buchhalter erweitert werden, dann droht Steuerberatern wirtschaftlicher Schaden.

Auch wenn Buchhalter Studien zufolge aussterben könnten (s. auch Eingangsthese beim StBMag-Round-Table-Gespräch, S. 34 ff. dieser Ausgabe), da ihre Arbeit immer stärker automatisiert wird: Vielen Steuerberatern sind Buchhalter als Wettbewerber ein Dorn im Auge. Selbstständige Buchhalter kämpfen darum, auch in steuerlichen Fragen mehr machen zu dürfen. Bisher beschränken sich ihre Befugnisse hier auf Lohnsteueranmeldungen Die selbstständigen Buchhalter in den rund 60.000 deutschen Buchhaltungsbüros fordern schon seit Jahren, Umsatzsteuervoranmeldungen abgeben zu dürfen – und ihre Chancen stehen gar nicht schlecht, weil die Europäische Union das als „Marktliberalisierung“ vorantreibt. Die österreichischen Kollegen dürfen diese Tätigkeiten schon seit geraumer Zeit übernehmen. Sie dürfen ihre Leistungen auch in Deutschland anbieten, was gerade für diejenigen attraktiv ist, die in Grenznähe tätig sind oder dauerhaft in Deutschland arbeiten. Inländerdiskriminierung nennt sich das, und die EU erlaubt es, bisher zumindest. Ein Zustand, der sicherlich nicht von Dauer sein dürfte. Viele Buchhalter erwägen, sich die zusätzlichen Rechte über das Europarecht auf dem Klageweg zu holen.

Doch was wäre, wenn Buchhalter tatsächlich mehr Befugnisse erhalten würden? Würden Steuerberater hierzulande tatsächlich in wirtschaftliche Schieflage oder gar in Existenznöte geraten, wie viele Berufsträger annehmen? Viele Steuerberater fürchten sich vor diesem Szenario. Vor allem kleinere Kanzleien und Einzelkämpfer denken oft, die Buchhalter könnten ihnen eines Tages wichtige Mandate streitig machen. Der Hintergrund: Buchhalter können im Vergleich zu Steuerberatern ihre Leistungen deutlich günstiger anbieten. Das zeigt sich auch anschaulich in den Studienergebnissen des Softwareherstellers Agenda, der Stundensätze der selbstständigen Buchhalter in Deutschland untersucht hat. Demnach berechnen die meisten Befragten Stundensätze zwischen 30 und 40 Euro, nur eine Minderheit veranschlagt 50 Euro. Damit wollen Steuerberater nicht konkurrieren.

Stefan LamiDas sollten sie auch gar nicht, sagt Stefan Lami, Dozent, Buchautor und Steuerberater in Österreich. „Bei uns wurden die Befugnisse der Buchhalter schon vor langer Zeit aufgeweicht und wir können trotzdem noch gut leben. Im Grunde hat sich für die meisten Steuerberater nichts spürbar geändert.“ Auch in Österreich gab es jahrelang eine berufspolitische Diskussion zu dem Thema. Das Ergebnis: Seitdem der örtliche Fachverband Unternehmensberatung und Informationstechnologie, kurz UBIT, zum 1. Januar 2013 die Kompetenzen der Buchhalter erweitert hat, dürfen sie nun neben der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung auch Bilanzen für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von maximal 9,68 Millionen Euro erstellen.

Steuerberater dürfen gar nicht erst versuchen, in diesem Preiskampf zu bestehen, argumentiert Lami. „Den meisten Mandanten geht es in erster Linie um die Qualität der Leistung, nicht um den Preis. Das sollten die Berater nicht vergessen.“ Wer also bei seinem Berater zufrieden ist, wer das lange und intensive gemeinsame Vertrauensverhältnis wertschätzt, wird nicht zu einem Buchhalter wechseln, nur weil sich hier in einigen Bereichen eine scheinbare Kostenersparnis abzeichnet. „Wenn wir mit Mandanten über Preise sprechen, gibt es so viele Faktoren abseits des reinen Preises, die auch eine Rolle spielen“, sagt Lami. „Das reicht bis hin zu Sympathie und Vertrauen.“ Und die Mandanten, die ohnehin ständig auf der Suche nach noch günstigeren Leistungen sind, die regelmäßig und oft ihren Berater wechseln – die sind meist nicht besonders wertvoll für die Kanzlei.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Steuerberatern und Buchhaltern ist die Haftung: Wenn Mandanten einen Steuerberater beauftragen, können sie sich darauf verlassen, dass der Berater im Schadensfall eine zahlungskräftige Berufshaftpflicht hat, wenn er einen folgenschweren Fehler begangen hat – was für den Steuerberater bedeutet, dass er auch entsprechend höhere Kosten hat. Bei selbstständigen Buchhaltern gibt es dagegen keine Pflicht zu so einer Versicherung.

These: Wenn die Gebührenverordnung abgeschafft wird, bedroht das die Existenz vieler Berater.

Ein Berufsalltag ohne Gebührenverordnung? Rechnungen schreiben ohne Verweise auf den Ordnungsrahmen? Viele Steuerberater hegen Bedenken gegen dieses Szenario. Die Kammer argumentiert, die Gebührenverordnung sei ein Schutz vor allem für die Mandanten, weil die Dienstleistung im hochkomplexen Steuerrecht nicht dazu geeignet sei, einen für beide Seiten fairen Preis durch Angebot und Nachfrage auf einem freien Markt herzustellen – Ökonomen wissen, dass dieser Mechanismus nämlich nur dann funktioniert, wenn vor allem die Nachfrageseite die Leistung fachgerecht einschätzen kann. Für die Anbieter, wie Steuerberater, sei die Vergütungsverordnung hingegen vor allem Hilfe bei Honorargesprächen, ein nützlicher Leitfaden. Auch Notare, Ärzte, Anwälte und Ingenieure nutzen ähnliche Mechanismen – gerade bei den Medizinern sind die Regeln noch viel ausgefeilter.

Unrealistisch ist die Abschaffung allerdings nicht. Die Europäische Kommission verfolgt seit Jahren beharrlich einen Kurs der Marktliberalisierung in praktisch allen Wirtschaftsbereichen – die deutschen Freien Berufe haben die Eurobürokraten dabei besonders im Fokus. Die Bundesregierung bemühte sich um Diplomatie und stellte die Bedeutung und die Qualität der Dienstleistungen heraus. Man will Brüsseler Forderungen nicht ohne Protest umsetzen, gleichzeitig einem europäischen Konsens auch nicht grundsätzlich und dauerhaft im Weg stehen.

In Deutschland ziehen Bundessteuerberaterkammer und der Deutsche Steuerberaterverband an einem Strang. Verbandspräsident Harald Elster drohte mit „massiven Verwerfungen“, sollte die Brüsseler Wünsche zu weitgehend umgesetzt werden.

LuftschlossDoch würde in einem Berufsalltag ohne Gebührenverordnung wirklich die Welt untergehen? Auch hier lohnt sich der Blick nach Österreich. Dort ist die Gebührenverordnung schon längst abgeschafft worden. Nicht von heute auf morgen, es war vielmehr ein Sterben in Etappen. Im ersten Schritt wurde das Gesetz durch eine schwammige Richtlinie ersetzt, die so genannten „Honorargrundsätze für Wirtschaftstreuhandberufe“. Die Richtlinie umfasste gerade einmal fünf Seiten und hatte eher einen Empfehlungscharakter als Gesetzeskraft, war also auch nicht einklagbar. Schließlich wurde auch diese Richtlinie abgeschafft – das war 2007. „Die Kammer der Wirtschaftstreuhänder hat hier eigentlich in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der EU gehandelt“, sagt Stefan Lami. „Die Richtlinien waren mit EU-Recht nicht zu vereinbaren, das war abzusehen. Insofern hat Österreich sich den EU-Forderungen gebeugt.“

Seitdem hat sich der Steuerberatermarkt in Österreich tatsächlich kaum gewandelt, unterscheidet sich aber umso mehr vom deutschen Markt. Österreichische Berater würden deutlich marktorientierter agieren als ihre deutschen Kollegen, sagt Lami. Sie würden mehr Wert auf die Wünsche ihrer Mandanten legen und definieren sich in erster Linie über die Qualität ihrer Leistungen anstatt über ihre Preise. „Da es keine Gebührenordnung mehr gibt, existiert auch nichts mehr, wohinter wir uns verstecken könnten“, sagt Lami. „Für die Mandanten ist das vorteilhaft, und für die Steuerberater genau genommen auch.“

Was besonders interessant ist: Mit der wegfallenden Gebührenverordnung hat sich an den Honoraren kaum etwas geändert. Das liegt allerdings auch daran, dass österreichische Steuerberater auch schon früher anders abgerechnet haben als ihre deutschen Kollegen. Sie haben die Leistungen nicht detailliert aufgeschlüsselt und alle Bestandteile nach der Gebührenordnung erklärt, sondern häufiger schlicht ein Gesamthonorar berechnet. „Für den Mandanten ist das meiner Ansicht nach ohnehin besser“, sagt Lami. „Je genauer der Berater seine Abrechnung aufschlüsselt, desto mehr Fragen wirft das auf und desto schwieriger wird es für Mandanten, alles nachzuvollziehen.“ Wer beispielsweise auf seinen Rechnungen stets 20 Euro als pauschalen Auslagenersatz ausweist, müsse sich eher auf Diskussionen einstellen, als wenn das dort nicht aufgeführt wäre. Steuerberater, die sich in ihren Abrechnungen auf Zehntel stützen und stets indirekt drohen würden, dass man durchaus auch nach einem höheren Satz abrechnen könne, würden in einer Welt ohne Gebührenverordnung eher in Bedrängnis geraten als Kollegen, die sich nicht so strikt daran orientieren würden.

Auch die Befürchtung, es könne zu einem viel größeren Wettbewerbsdruck und einem aggressiven Preiskampf kommen, hält Lami für unbegründet. „Wir haben auch in Deutschland schon jetzt eine große Preis-Bandbreite und einen Wettbewerb, da muss sich niemand etwas vormachen.“ Die Gebührenordnung schaffe eine Pseudo-Sicherheit, die aber tatsächlich schon jetzt gar nicht bestehe.

Die Abschaffung der Gebührenordnung könnte auch noch die Tore für ganz andere Probleme öffnen, argumentiert die Bundessteuerberaterkammer: Sie fürchtet, dass ohne die Gebührenordnung auch die Kapitalbindung wackelt. Dann sei es vorstellbar, dass Kanzleien nicht nur von Steuerberatern, sondern auch von anderen geführt würden, die ganz andere wirtschaftliche Interessen vertreten. Ohne diesen Ordnungsrahmen sei es denkbar, dass Eigentümer von Steuerberatungsgesellschaften zukünftig ihren Mandanten auch Anlageprodukte von Banken empfehlen würden, vollkommen unabhängig davon, ob das aus wirtschaftlicher und steuerlicher Sicht sinnvoll sei oder nicht. Es geht der Kammer vor allem also um die Unabhängigkeit des Berufsstands in möglichen einzelnen Fällen – die Wirtschaftlichkeit ordentlich arbeitender Kanzleien wäre aber auch von der Aufhebung der Kapitalbindung erst einmal nicht bedroht.

These: Die Einzelkanzlei wird auch noch in 20 Jahren das vorherrschende Kanzleimodell sein.

Einzelkanzleien sind wohl der Prototyp einer traditionellen Kanzlei, und zahlenmäßig dominieren sie die Branche. Runde 70 Prozent aller deutschen Steuerberaterkanzleien werden von einem Berater geführt, der keinen Kanzleipartner hat. Diese kleinen Kanzleien arbeiten auch inhaltlich mit dem, was sie am besten können: Sie pflegen zu ihren Mandanten persönliche Beziehungen, müssen dafür aber im Steuerrecht ein sehr weites Spektrum abdecken. Oft betreut der Chef seine Mandanten noch selbst. Die größte Stärke der Einzelkanzlei ist zugleich aber auch ihre größte Schwäche: Wer auf sich allein gestellt ist, muss die Bedürfnisse seiner Mandanten eben auch allein bewältigen. Damit wird dem Einzelkämpfer zugleich immer der Weg zu größeren Mandanten versperrt bleiben, die von ihrer Kanzlei einfach oft mehr Leistung brauchen, als sie ein einzelner Steuerberater anbieten kann.

Viele Steuerberater glauben, dass auch in Zukunft die Branche von solchen Einzelkämpfern geprägt sein wird. Selbstverständlich ist das nicht: Der Trend zu Sozietäten und größeren Steuerberatungsgesellschaften ist schon seit einigen Jahren eindeutig, die Zahl der Einzelpraxen schrumpft: Waren es Anfang 2015 noch 37.852, gab es ein Jahr darauf noch 37.671 Einzelkanzleien, ein Rückgang von 0,5 Prozent. Die Zahl der Kanzleien, in denen der Inhaber wirklich alleine tätig ist, also auch keine angestellten Berater beschäftigt, ging sogar um 1,9 Prozent zurück.

Für diese Entwicklung gibt es zahlreiche Gründe. Für junge Steuerberater ist die Selbstständigkeit längst nicht mehr so attraktiv wie früher: Viele wünschen sich Aufstiegschancen und Verantwortung für Großmandate, die für kleine Kanzleien unerreichbar bleiben. Möglicherweise trägt auch der steigende Frauenanteil im Beruf ein Teil dazu bei: Viele junge Frauen suchen gezielt Teilzeit-Tätigkeiten, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen – gerade zur aufreibenden Selbstständigkeit mit hoher Stundenbelastung zum Beispiel auch am Wochenende sind sie nicht bereit.

Und es gibt noch einen weiteren Wettbewerbsvorteil, der größeren Kanzleien vorbehalten bleibt: Steuergestaltung ist in den vergangenen Jahren immer komplexer geworden. Viele Steuerberater haben große Mühe, die regelmäßigen Änderungen und Gerichtsurteile zu verfolgen und immer auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Gerade für Einzelkämpfer ist das eine enorme Herausforderung. Größere Kanzleien haben es deutlich leichter: Hier müssen sich die Berater ausschließlich auf das Fachgebiet konzentrieren, für das sie zuständig sind. Dadurch bleibt ihnen deutlich mehr Zeit, in die Tiefe zu gehen. Gleichzeitig sinkt die Fehleranfälligkeit, die Sicherheit für die Mandanten steigt. Auch deshalb sind viele Experten sich einig, dass großen Gesellschaften die Zukunft der Branche gehört – und dass das Geschäft der kleinen Kanzleien schwieriger wird. Auch wenn eine große Anzahl Steuerberater noch für viele Jahre erfolgreich auf das Konzept Einzelkanzlei setzen kann: Immer mehr werden sich künftig überlegen, doch Partnerschaften einzugehen, sich zu spezialisieren oder durch Fusionen zu wachsen, um diesem Druck auszuweichen. Dass sich der Trend zu größeren Kanzleien umdreht, ist hingegen eher unwahrscheinlich.

Autorin: Josephine Pabst

Aus dem SteuerberaterMagazin 11|2016

 

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