Arbeitsrechtliche Handlungsinstrumente während einer Pandemie

Einseitige Anordnung von Urlaub, Urlaub vs. Kurzarbeit und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats

„COVID-19“ oder „Corona“ ist derzeit das bestimmende Thema. Die Auswirkungen betreffen verstärkt den Alltag, wirken sich aber auch in vielerlei Hinsicht auf das Wirtschafts- und Arbeitsleben aus. Sowohl aus Arbeitnehmer- als auch aus Arbeitgebersicht stellen sich verschiedene Fragen.

Unter anderem bedarf der Klärung, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber Urlaub einseitig anordnen kann. Hierauf soll nachfolgend näher eingegangen werden.

I. Rechtliche Grundlagen

Zentrale Bestimmung des Individualarbeitsrechts bzgl. der Gewährung von Urlaub ist § 7 BUrlG, der (auszugsweise) wie folgt lautet:

„(1) Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. Der Urlaub ist zu gewähren, wenn der Arbeitnehmer dies im Anschluss an eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation verlangt.

(2) Der Urlaub ist zusammenhängend zu gewähren, es sei denn, dass dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Teilung des Urlaubs erforderlich machen. Kann der Urlaub aus diesen Gründen nicht zusammenhängend gewährt werden, und hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaub von mehr als zwölf Werktagen, so muss einer der Urlaubsteile mindestens zwölf aufeinanderfolgende Werktage umfassen.

(3) Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchst. a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.“

Kollektivrechtlich ist § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG zu beachten. Hiernach hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:

„[…] 5. Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie die Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für einzelne Arbeitnehmer, wenn zwischen dem Arbeitgeber und den beteiligten Arbeitnehmern kein Einverständnis erzielt wird.“

II. Einseitige Anordnung von Urlaub

Idealerweise verständigen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer bzgl. der Urlaubsgewährung in der Weise, dass die Urlaubszeit – meist gibt es entsprechende (Online-)Formulare – einvernehmlich festgelegt wird. Gelingt dies nicht oder will der Arbeitgeber kurzfristig seine Belegschaft oder zumindest einen Teil der Mitarbeiter in den Urlaub schicken, stellt sich die Frage, ob resp. in welchen Konstellationen eine wirksame Urlaubsgewährung mit Erfüllungswirkung vorliegt. Es sind verschiedene Fallgestaltungen zu unterscheiden. Hierzu im Einzelnen:

1. Kein Widerspruch des Arbeitnehmers

  • 7 Abs.1 Satz 1 BUrlGbestimmt, dass der Arbeitgeber bei der Urlaubsgewährung die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen hat. Der Arbeitgeber ist jedoch nicht verpflichtet, mit der zeitlichen Festlegung des Urlaubs abzuwarten, bis der Arbeitnehmer Wünsche äußert (vgl. BAG, Urteil v. 24.3.2009 - 9 AZR 983/07). Die einseitige Urlaubsanordnung steht allerdings unter dem Vorbehalt der fehlenden Ablehnung durch den Arbeitnehmer. Unterbleibt eine Ablehnungserklärung kann der Arbeitgeber davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer den Urlaub entsprechend nehmen wird (vgl. BAG, Urteil v. 6.9.2006 - 5 AZR 703/05).
Hinweis:

Um Rechtssicherheit zu erlangen und spätere Unstimmigkeiten zu vermeiden, sollte sich der Arbeitgeber die Akzeptanz des Mitarbeiters bzgl. der „angeordneten“ Urlaubstage bestätigen lassen (mindestens in Textform, § 126b BGB).

Andernfalls besteht auch ein gesteigertes Risiko, dass ein Arbeitnehmer, der die Urlaubsfestlegung nicht akzeptieren will, in eine Arbeitsunfähigkeit „flüchten“ wird.

2. Urlaubsfestlegung gegen den erklärten Willen des Arbeitnehmers

Die Zulässigkeit einer einseitigen Disposition des Arbeitgebers über die Lage des Jahresurlaubs ist fraglich. Zum Teil wird dies dann angenommen, wenn es dringende betriebliche Gründe dafür gibt, dass der Urlaub in dem vom Arbeitgeber benannten Zeitraum genommen wird. Für einen pandemiebedingten Lockdown wird das im Schrifttum vertreten (vgl. Dehmel/Hartmann, BB 2020, 885 ff.). Mit § 7 Abs. 1 BUrlG dürfte diese Lesart allerdings schwer vereinbar sein. Letztlich trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko und damit auch das Risiko, seine Mitarbeiter nicht beschäftigen zu können (§ 615 Satz 3 BGB).

Hinweis:

Wenn der Arbeitgeber keine Beschäftigungsmöglichkeit für seine Belegschaft hat und auch nicht auf das Instrument der Kurzarbeit zurückgreifen kann oder möchte, empfiehlt es sich – zumindest bis zu einer anderweitigen höchstrichterlichen Klärung – gleichwohl, Urlaub auch gegen den Willen der Beschäftigten anzuordnen.

Das Annahmeverzugsrisiko besteht ohnehin und die Urlaubsanordnung begründet zumindest die Chance, dass letztlich doch ein Urlaubsabbau erfolgt.

Zu beachten ist ferner, dass sich der Urlaubsanspruch auf das Kalenderjahr bezieht. Wird der Urlaub bis zum 31.12. eines Jahres nicht genommen, verfällt er grundsätzlich, wobei abweichende individual- oder kollektivrechtliche Vereinbarungen zu berücksichtigen sind.

Der Arbeitgeber ist vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung und deren Umsetzung durch die nationalen Gerichte allerdings gehalten, Mitarbeiter im laufenden Urlaubsjahr auf noch offene Urlaubsansprüche hinzuweisen und eine Urlaubsgewährung zu ermöglichen (vgl. BAG, Urteil v. 19.2.2019 - 9 AZR 321/169 AZR 541/159 AZR 423/16). Eine Pflicht zur einseitigen Urlaubserteilung besteht allerdings nicht.

3. „Betriebsferien“

Klarzustellen ist, dass auch für sog. Betriebsferien die allgemeinen Grundsätze gelten; § 7 BUrlG wird durch einen „kollektiven Tatbestand“ nicht überlagert.

Allerdings ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass die Einführung von Betriebsferien in der Regel mit organisatorischen Vorteilen für den Betrieb verbunden ist; vielfach tragen Betriebsferien auch dem Gesamtinteresse der Belegschaft Rechnung. Betriebsferien kann der Arbeitgeber insoweit eher durchsetzen als eine „Zwangsbeurlaubung“ einzelner Arbeitnehmer.

Temporäre Betriebsausfälle („Lockdown“) stellen allerdings keine Betriebsfreien in diesem Sinne dar und erleichtern daher die einseitige Urlaubsdurchsetzung gegen den Willen der Mitarbeiter nicht.

III. Besonderheiten bei Existenz eines Betriebsrats

1. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats

Besteht ein Betriebsrat, steht diesem bzgl. der Aufstellung von Urlaubsgrundsätzen ein Mitbestimmungsrecht zu (§ 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG). Hiernach können „Betriebsferien“ in einer Betriebsvereinbarung festgelegt werden, die dann Verbindlichkeit gegenüber allen Arbeitnehmern hat (normative Wirkung der Betriebsvereinbarung).

Hinweis:

Für Betriebsferien mit verpflichtender Urlaubsnahme ist eine ausreichende Ankündigungszeit erforderlich, damit die Arbeitnehmer ihre Urlaubsplanung darauf ausrichten können. Wenn Arbeitnehmern bereits Urlaub für einen anderen Zeitpunkt genehmigt wurde, gelten die abweichenden Betriebsferien nicht für sie. Zudem muss dem Arbeitnehmer genügend Resturlaub zur freien Verfügung verbleiben (vgl. BAG, Urteil v. 28.7.1981 - 1 ABR 79/79: 2/5 des Jahresurlaubs).

2. Folgen einer Missachtung des Mitbestimmungsrechts

Das BetrVG räumt dem Arbeitgeber keine einseitige Anordnungskompetenz zu. Dies gilt auch bei Eilfällen. Allein in Notfällen (Naturkatastrophen, Brand etc.) gewährt die Rechtsprechung dem Arbeitgeber das Recht, ohne Zustimmung des Betriebsrats Maßnahmen zu ergreifen (vgl. BAG, Urteil v. 20.3.2018 - 1 ABR 70/16).

Missachtet der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG, erweist sich die Einführung von Betriebsferien gegenüber den Beschäftigten als unwirksam mit der Folge, dass der Arbeitnehmer einer entsprechenden Urlaubsanordnung durch den Arbeitgeber nicht Folge zu leisten braucht. Akzeptiert der Arbeitnehmer indes die Freistellung vorbehaltlos, liegt eine Urlaubgewährung vor, d. h. der individuelle Urlaubsanspruch des Mitarbeiters wird abgebaut (a.A. wohl LAG Nürnberg, Urteil v. 21.2.2014 - 6 Sa 588/13).

IV. Urlaub vs. Kurzarbeit

1. Allgemeine Grundsätze

Um den coronabedingten Einschränkungen zu begegnen, werden Arbeitgeber regelmäßig das Instrument der Kurzarbeit prüfen. Während der Kurzarbeit besteht keine Arbeitspflicht, d. h. mit einer Urlaubsgewährung kann eine Befreiung des sich in Kurzarbeit befindlichen Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht nicht erreicht werden („Ohne Arbeitspflicht keine Urlaubsgewährung.“).

Hinweis:

Wird einem Arbeitnehmer während der Kurzarbeit Urlaub gewährt, wird er für den Urlaubszeitraum aus der Kurzarbeitsvereinbarung ausgenommen. Das gilt auch, wenn die Kurzarbeit durch eine Betriebsvereinbarung eingeführt wurde (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG). Der Arbeitnehmer erhält dann Urlaubsentgelt in der Höhe des ungekürzten Verdienstes (vgl. § 11 Abs. 1 BUrlG).

2. Anteilige Urlaubskürzung

Wenn die sog. „Kurzarbeit Null“ eingeführt worden ist, kann der Jahresurlaub proportional um diese Zeiten gekürzt werden (vgl. EuGH, Urteil v. 13.12.2018 - C-385/17).

Hinweis:

Wenn die Kurzarbeit auf einzelne Arbeitstage beschränkt ist, ist der Urlaub für die fragliche Zeit anteilig herunterzubrechen; der Saldo wird dann mit dem für das übrige Urlaubsjahr ebenfalls anteilig ermittelten Urlaub addiert.

Diese Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers besteht von Rechts wegen und erfordert keine dahingehende Vereinbarung.

V. Muster einer Betriebsvereinbarung

In einer Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit empfiehlt es sich, den Umgang mit Urlaubstagen und der Berechnung des Urlaubsentgelts zu regeln. Eine entsprechende Klausel könnte wie folgt gefasst werden (vgl. auch Bell/Bauer, Betriebsvereinbarungen, Stand: 7.10.2020, Muster 20 (Betriebsvereinbarung Kurzarbeit)):

  • […] Zahlung des Kurzarbeitergelds

(1) Das Kurzarbeitergeld wird zum Zeitpunkt der üblichen monatlichen Entgeltzahlung gezahlt.

(2) Die von der Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer erhalten monatlich die der verkürzten Arbeitszeit entsprechende Vergütung.

(3) Während der Kurzarbeit werden nachfolgende Vergütungsbestandteile so berechnet, als wäre normal gearbeitet worden:

  • Urlaubsentgelt und Urlaubsgeld;
  • Entgelt für gesetzliche Feiertage;
  • vermögenswirksame Leistungen;
  • sonstige Sonderzahlungen;
  • Lohn- und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie die Vergütungsfortzahlung bei Arbeitsverhinderung.

(4) Soweit nach einer Beendigung der Kurzarbeit Leistungen (z. B. Urlaubsentgelt, Entgeltfortzahlung) von Zeiträumen abhängen, in denen Kurzarbeit geleistet wurde, werden die Leistungen berechnet, als wenn keine Kurzarbeit eingeführt worden wäre.

VI. Fazit

Festzuhalten bleibt, dass auch in Zeiten der Pandemie das Individual- und Kollektivarbeitsrecht nicht „überlagert“ wird. Die gesetzlichen Regelungen zur Urlaubsgewährung (§§ 7 BUrlG87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG) finden vielmehr unverändert Anwendung.

Dem Arbeitgeber steht daher auch bei einem Lockdown wohl kein Recht zur einseitigen Zwangsbeurlaubung zu. Besteht ein Betriebsrat, können mit diesem „Betriebsferien“ definiert werden, die dann für die gesamte Belegschaft verbindlich sind. Dabei kann aber nicht der gesamte Urlaubsanspruch verplant werden; dem Arbeitnehmer muss vielmehr ein Restkontingent zur freien Verfügung verbleiben; das Bundesarbeitsgericht beziffert dies mit 20 % des Urlaubsanspruchs.

Zudem sind Ankündigungsfristen einzuhalten, die eine Urlaubsplanung ermöglichen. Kommt es zu coronabedingten hoheitlichen (Teil-)Schließungen, empfiehlt sich ggf. der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit resp. – wenn kein Betriebsrat existiert – zu entsprechenden Abreden mit den Mitarbeitern.

Autor

Dr. Henning-Alexander Seel, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, ist in eigener Kanzlei und als Justiziar einer Unternehmensgruppe tätig. Er ist für das Landesjustizprüfungsamt Niedersachsen als Prüfer im ersten und zweiten Staatsexamen aktiv und hält gelegentlich Vorträge zu Fachthemen.

 

Fundstelle(n):
Lohn und Gehalt direkt digital 2/2021 Seite 20
NWB ZAAAH-66147

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