Empfehlungen des Sustainable-Finance-Beirats?

Der Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung hat 31 Empfehlungen zur Finanzierung einer Transformation der deutschen Wirtschaft durch ein nachhaltiges Finanzsystem ausgesprochen (Pressemitteilung v. ). Obgleich quasi im Sinne eines großen Sprungs nach vorne nicht weniger als eine „Große Transformation“ angekündigt wird, hat ein Teil der Empfehlungen mit „schnöder Rechnungslegung“ zu tun, wobei aber nicht weniger als eine zukunftsgerichtete und integrierte Berichterstattung angestrebt wird, bei der Kosten keine Rolle zu spielen scheinen.

Contra

Der Abschlussbericht des Sustainable-Finance-Beirats enthält immerhin 132 hell- oder dunkelgrün gefärbte Seiten, die sich kaum in nachhaltiger Weise ausdrucken lassen. Von den 31 Empfehlungen zur Finanzierung einer Transformation der deutschen Wirtschaft durch ein nachhaltiges Finanzsystem beziehen sich die Empfehlungen 6 bis 14 auf die Schimäre einer zukunftsgerichteten und integrierten (CSR-)Berichterstattung, welche im Zweifel auch kleinen und mittleren Unternehmen (wohlmöglich sogar Kleinstunternehmen) aufgezwungen werden soll (S. 18-23).

Der Beirat hält es für „erforderlich, das Instrumentarium der Unternehmenskennzahlen um zukunftsgerichtete ESG-Aspekte zu erweitern und sie in einer integrierten Berichterstattung zusammenzuführen. Erst auf dieser Grundlage werden Investitions- und Finanzierungsentscheidungen möglich, die ökonomische, ökologische und soziale Belange integrieren. Eine zukunftsgerichtete Berichterstattung und Szenarioanalysen leisten einen Beitrag zu Risikomanagement und unternehmerischer Resilienz“ (S. 19). Zukunftsinformationen sind jedoch wenig verlässlich und manipulierbar. Deshalb begrenzt man in der echten Finanzberichterstattung den Prognosebestandteil und geht besser sparsam mit DCF-Werten u. Ä. um. Warum im Nachhaltigkeitsbericht die Verlässlichkeitsprobleme anders sein sollten, bleibt unklar. Die pauschale Forderung nach Zukunftsorientierung wirkt jedenfalls naiv und vernachlässigt alle negativen Erfahrungen aus der Finanzberichterstattung.

Bei der Anwendung des Wesentlichkeitsvorbehalts handelt es sich um die Anwendung einer alltäglichen Klugheits- und Vernunftfrage auf das Spezialgebiet der Rechnungslegung, denn „[n]icht zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden zu können, ist das Wesen der Dummheit“ (Bolz, APuZ 4/2009 S. 3). Leider hat die „bei der Rechnungslegung allgegenwärtige Wesentlichkeit [...] etwas Gespenstisches an sich: Überall taucht sie auf, jeder führt sie im Mund, doch wenn man sie dingfest machen will, entzieht sie sich der ‚Haltbarkeit'“ (HoffmannStuB 2016 S. 165 NWB ZAAAF-68149). Der Beirat fordert tatsächlich „unhaltbar“ eine doppelte Wesentlichkeit für Folgen der Unternehmenstätigkeit für Gesellschaft und Umwelt (S. 20). Eine doppelte Wesentlichkeit im Sinne von zwei Wesentlichkeitshürden im Sinne des CSR-RUG (wesentlich als Risiko für das Unternehmen und gleichzeitig wesentlich als Folge für Umwelt oder Gesellschaft) ist hier leider nicht gemeint. Vielmehr soll die CSR-Richtlinie dahingehend überarbeitet werden, dass ein „Wesentlichkeitsbegriffs im Sinne einer »Oder«-Verknüpfung“ eingeführt wird (S. 22): „Bislang wird vorzugsweise über Auswirkungen externer Faktoren auf das Unternehmen berichtet (outside-in-Perspektive). Zukünftig sollten die positiven und negativen Folgen der Unternehmenstätigkeit für Gesellschaft und Umwelt (inside-out-Perspektive) in der Finanzberichterstattung berücksichtigt werden, um dem wachsenden Interesse von Investoren zu genügen“ (S. 20).

Inwiefern Investoren tatsächlich an Informationen über irgendwelche Auswirkungen in der großen weiten Welt informiert sein möchten, wenn das berichtende Unternehmen gar nicht davon betroffen sein wird, kann dahingestellt bleiben. Soweit das Unternehmen etwa über Reputationsschäden betroffen sein sollte, reicht die Wesentlichkeit der Auswirkung auf das Unternehmen (outside-in-Perspektive) aus. Ist das Unternehmen finanziell gar nicht betroffen, ist die Berichterstattung für Investoren irrelevant. Das Wesentlichkeitspostulat sollte hier die Berichterstattung auf das Relevante begrenzen und nicht vom Relevanten entgrenzen.

Bisher fordert das CSR-RUG eine CSR-Berichterstattung von kapitalmarktorientierten Unternehmen, Banken und Versicherungen, die im bilanzrechtlichen Sinne „groß“ sind und mehr als 500 Mitarbeiter haben. Auch hier will der Beirat wider der Vernunft entgrenzen, indem er eine „Ausweitung [...] auf alle Unternehmen ab 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unabhängig von der Finanzierungsform“ fordert (S. 21). Warum nicht gleich ab 100, 50, 10 oder 5 Mitarbeitern? Schließlich hält der Beirat eine „Erweiterung der Berichtspflicht auf mittelständische und nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen [...] wegen der hohen Wertschöpfung, die sie erbringen, und der vorhandenen externen Finanzierung [...] sinnvoll“ (S. 20). Dank der grünen Überregulierung („ green tape “ ) könnte sich die Hohe Wertschöpfung auch irgendwann erledigt haben.

Pro

Die (Weiter-)Entwicklung eines einheitlichen Referenzrahmens für die nichtfinanzielle Berichterstattung steht im Mittelpunkt des Interesses der Stakeholder der Unternehmenspublizität. Im aktuellen Monat steht der Gesetzgebungsvorschlag der EU zur Überarbeitung der CSR-Richtlinie an, das BMJV hat sich über eine seitens des DRSC angefertigte Studie zum Status Quo in Deutschland bereits in Stellung gebracht. Die Empfehlungen des Sustainable-Finance-Beirats gehen unter der Überschrift „Shifting the trillions - Ein nachhaltiges Finanzsystem für die Große Transformation“ in die gleiche Richtung. Nicht nur die Berichtstiefe, sondern auch der Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen soll ausgeweitet und (weiter) standardisiert werden. Der Sustainable-Finance-Beirat stellt die zunehmende Bedeutung eines nachhaltigen Handelns in den Vordergrund, beleuchtet den Aspekt aber im Hinblick auf die Positionierung und das Entwicklungspotenzial der Volkswirtschaft. In Summe lassen sich, Adressat ist die Bundesregierung, 31 Empfehlungen in fünf Handlungsbereichen entnehmen. Besondere Bedeutung misst der Beirat den „Vorschlägen zur Unternehmensberichterstattung und der Informationsstruktur“ (insgesamt neun) bei. Empfohlen wird

  • eine Ausweitung der Regelungen für die Berichterstattung auf alle Unternehmen ab 250 Mitarbeiter(inne)n unabhängig von der Finanzierungsform;

  • eine einheitliche Verortung der Berichterstattung im Lagebericht;

  • die Umsetzung verbindlicher zukunftsorientierter Berichtspflichten gem. TCFD ab dem Geschäftsjahr 2022 inklusive einer Berücksichtigung der doppelten Wesentlichkeit;

  • die schrittweise Einführung einer Pflicht zur Prüfung nichtfinanzieller Informationen;

  • eine klarstellende Ergänzung bestehender corporate governance-Pflichten;

  • eine Überprüfung der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) und eine Neufassung des Wesentlichkeitsbegriffs im Sinne einer „Oder“-Verknüpfung;

  • den Begriff der wesentlichen Risiken (§ 289 c Abs. 3 Satz 3 HGB) wegen unterschiedlicher Perspektiven (outside-in bzw. inside-out) zu aktualisieren und zu präzisieren;

  • eine kurzfristige Erweiterung des European Single Electronic Format (ESEF) auf nichtfinanzielle Informationen und den Einsatz einer zentralen, öffentlichen und kostenlos zur Verfügung gestellten digitalen Datenbank für standardisierte ESG-Rohdaten;

  • in Anlehnung an die Offenlegungs-VO und unter Berücksichtigung der Prinzipien der Proportionalität und Wesentlichkeit eine verpflichtende Regelung mit nachhaltigkeitsbezogenen Offenlegungsanforderungen für das Kreditgeschäft zu schaffen;

  • ein einheitliches Stresstestszenario zur Erfassung von Transformationsrisiken und -chancen für verschiedene Industriebereiche zu entwickeln.

Eine Standardisierung nichtfinanzieller Informationen bezogen auf die Verortung im Lagebericht und bestimmte ESG-Kennzahlen ist zu begrüßen. Es lässt sich (noch) eine Vielzahl von unterschiedlichen qualitativen Metriken für die ESG-Berichterstattung unterscheiden. Ohne eine Standardisierung über ESG-KPI (Key Performance Indicators) scheitert jeder unternehmensübergreifende Vergleich. Ein Referenzrahmen kann gleichermaßen für Unternehmen in allen Branchen gelten, auch wenn die Bedeutung einzelner Indikatoren durchaus in der Bedeutung variieren kann. Nicht nur die Verfügbarkeit und Vergleichbarkeit nichtfinanzieller Information ist bedeutsam, sondern auch die als doppelte Wesentlichkeit bezeichnete Perspektive. Neben der Berichterstattung über die Auswirkungen externer Faktoren auf das Unternehmen (outside-in) sind die positiven und negativen Folgen des unternehmerischen Handelns für Umwelt und Gesellschaft (inside-out) darzustellen. Anstatt einer „Und“-Verknüpfung, die eine Verengung der Informationen zur Folge hätte, ist eine differenzierte Betrachtung geboten. Auch wenn sich keine unmittelbaren Folgen eines bestimmten Handelns für das berichtende Unternehmen einstellen, können sich bedeutsame Auswirkungen auf die Umwelt oder Gesellschaft ergeben, über die daher auch separat zu berichten ist. Somit ist die inside-out-Perspektive von besonderer Bedeutung, lässt sich „nachhaltig“ doch eine Rückwirkung eines für die Umwelt oder Gesellschaft schädlichen Handelns nicht vermeiden. Jeder Investor sollte daher auch ein Interesse an potenziellen Chancen und Risiken haben, auch wenn sich diese (noch) nicht materialisiert haben. Die Ausweitung der Berichtspflichten auch auf nicht „große Unternehmen“ und unabhängig von der Finanzierungsform kommt nicht überraschend. Mit einem ähnlichen Ergebnis wartet auch die seitens des DRSC angefertigte Studie auf. Bestehenden (und gerechtfertigten) Bedenken einer potenziellen Überforderung kleinerer Unternehmen ohne notwendige Ressourcen kann (zunächst) mit einem abgestuften Anforderungskatalog begegnet werden. Das Interesse an einem nachhaltigen Handeln ist unabhängig von der Größe der Unternehmen. Da Informationen zur Nachhaltigkeit sowohl von Fremdkapitalgebern als auch Kunden/Lieferanten entlang der Wertschöpfungskette nachgefragt werden, ist eine Berichterstattung daher obligatorisch. Den fehlenden Ressourcen trägt der Beirat explizit Rechnung. Über die Schaffung einer digitalen, zentralen, öffentlich und kostenlos zugänglichen Rohdatenbank für ESG-Daten wird zumindest ein Teil der Hürden der Informationsbeschaffung genommen. Die Diskussion über die Zukunft der nichtfinanziellen Berichterstattung ist in vollem Gange. Einigkeit besteht zumindest bezogen auf das „Ob“. Es bedarf einer weiteren Auseinandersetzung über das „Wo“, „Wie“ und „Wer“. Aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit sind die Empfehlungen des Sustanable-FinanceBeirats begrüßen. Neben den neun Empfehlungen für die Fortentwicklung der Finanzberichterstattung umfasst der Ergebnisbericht weitere Anregungen für die Fortentwicklung der Volkswirtschaft. Empfehlungen kann man, muss diese aber nicht berücksichtigen. Das Ergebnis einer Diskussion kann auch die Verhinderung einer grünen Überregulierung sein.

Fundstelle(n):
PiR 4/2021 Seite 120
NWB EAAAH-74750

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