Online-Nachricht - Donnerstag, 30.03.2023

Verfahrensrecht | Verfassungsmäßigkeit von Säumnis­zuschlägen (BFH)

Gegen die Höhe des Säumnis­zuschlags nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO bestehen auch bei einem strukturellen Niedrig­zinsniveau keine verfas­sungs­recht­lichen Bedenken (BFH, Urteil v. 15.11.2022 - VII R 55/20; veröffent­licht am 30.3.2023).

Hintergrund: Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstags entrichtet, so ist für jeden ange­fangenen Monat der Säumnis ein Säumnis­zuschlag von 1 % des abge­rundeten rückständigen Steuer­betrags zu entrichten (§ 240 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AO). Säumnis­zuschläge fallen nach dem Gesetz unab­hängig davon an, ob eine Steuer zutreffend festgesetzt wird; nach § 240 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 AO bleiben die verwirkten Säumnis­zuschläge unberührt, wenn die Festsetzung einer Steuer aufge­hoben oder geändert wird (s.a. BFH-Urteil v. 18.9.2018 - XI R 36/16, BStBl II 2019, 87, Rz 32).

Sachverhalt: Der Kläger, Insolvenzverwalter über das Vermögen des Z, wendet sich gegen den Erlass von Säumnis­zuschlägen. Säumnis­zuschläge würden in ihrer Funktion als Druckmittel gegenstandslos, wenn der Steuer­schuldner aufgrund Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung nicht mehr zur rechtzeitigen Zahlung angehalten werden könne. Deshalb seien dem Steuer­schuldner in einem solchen Fall ‑ wie hier geschehen ‑ 50 % der Säumnis­zuschläge gemäß § 227 AO aus sachlichen Billigkeits­gründen zu erlassen. Dieser Erlass bewirke rechnerisch eine Verminderung der Säumnis­zuschläge von 12 % p.a. auf 6 % p.a. und orientiere sich nach der Rechtsprechung des BFH an der Höhe der Zinsen im Falle der Aussetzung der Vollziehung oder der Stundung. Damit würden 50 % der Säumnis­zuschläge rechnerisch ein fester Zinssatz, nämlich 6 % p.a., zugewiesen.

Die Höhe der Säumniszuschläge von 6 % pro Jahr sei angesichts des niedrigen Marktzinsniveaus verfassungs­widrig. Mit seiner Klage hatte er in allen Instanzen keinen Erfolg (Vorinstanz: FG Hamburg, Urteil v. 1.10.2020 - 2 K 11/18, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 22.12.2020).

Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:

  • Gegen die Höhe der Säumniszuschläge bestehen keine verfas­sungs­recht­lichen Bedenken.
  • Die vom BVerfG mit Beschluss v. 8.7.2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 herausgearbeiteten Grundsätze, nach denen die Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO in Höhe von 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, lassen sich nicht auf Säumniszuschläge übertragen, vgl. BFH, Beschluss v. 28.10.2022 - VI B 15/22 (AdV), BStBl II 2023, 12, Rz 23 (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 24.11.2022 mit Anmerkung Geserich); a.A. BFH, Beschluss v. 11.11.2022 - VIII B 64/22 (AdV), zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 18 (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 1.12.2022 mit Anmerkung Levedag).
  • Hinsichtlich der Säumniszuschläge fehlt es bereits an einer Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte; eine Ungleichbehandlung zwischen zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern und säumniszuschlagszahlungspflichtigen Steuerpflichtigen ist mangels vergleichbarer Sachverhalte nicht gegeben.
  • Die nach § 233a AO geregelte Vollverzinsung soll stark typisierend objektive Zins- und Liquiditäts­vorteile erfassen, die dadurch entstehen, dass zwischen der Entstehung des Steuer­anspruchs und seiner Fälligkeit nach Festsetzung ein Zeitraum von mehreren Jahren liegen kann. Nachzahlungszinsen sind dement­sprechend weder Sanktion noch Druckmittel, sondern ein Ausgleich für die Kapitalnutzung. Die Vollverzinsung hat keine zusätzliche Lenkungs­funktion dahingehend, die Steuerpflichtigen dazu anzuhalten, ihre Steuer­erklärungen frühzeitig abzugeben oder etwaige Voraus­zahlungen angemessen anzusetzen (vgl. BVerfG Beschluss v. 8.7.2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 in BGBl I 2021, 4303, Rz 126). Die Regelung wirkt sowohl zugunsten (im Fall der Steuererstattung) als auch zuungunsten (im Fall der Steuernachforderung) der Steuerpflichtigen.
  • Anders verhält es sich hingegen im Hinblick auf die verschiedenen Funktionen der Säumnis­zuschläge. Der im Vergleich zu den Zinsen doppelt so hohe Säumnis­zuschlag ist in erster Linie ein Druckmittel eigener Art zur Durchsetzung fälliger Steuern und erfüllt primär eine pönale Funktion. § 240 AO verfolgt das Ziel, den Bürger zur zeitnahen Erfüllung seiner Zahlungs­verpflichtungen anzuhalten und die Verletzung eben jener Verpflichtung zu sanktionieren. Daneben ist der Säumniszuschlag Gegenleistung bzw. Ausgleich für das Hinaus­schieben der Zahlung fälliger Steuern und dient letztlich auch dem Zweck, den Verwaltungs­aufwand der Finanz­behörden auszugleichen.
  • Die Höhe des Säumniszuschlags verletzt ferner nicht das Rechts­staatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG wegen eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot; sie ist auch in einer Niedrigzinsphase durch den vom Gesetzgeber intendierten Zweck der Norm gedeckt.

 
Quelle: BFH, Urteil v. 15.11.2022 - VII R 55/20; NWB Datenbank (il)

 
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