Online-Nachricht - Donnerstag, 29.10.2020
Umsatzsteuer | Vorsteuervergütung im Insolvenzeröffnungsverfahren (BFH)
§ 55 Abs. 4 InsO ist nur auf Masseverbindlichkeiten, nicht aber auch auf Vergütungsansprüche zugunsten der Masse anzuwenden (BFH, Urteil v. 23.7.2020 - V R 26/19; veröffentlicht am 29.10.2020).
Hintergrund: Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 55 Abs. 4 InsO als Masseverbindlichkeiten.
Sachverhalt: Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer KG. Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens war er bereits als vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter) bestellt worden. Für den Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung machte der Kläger Vorsteuerüberhänge geltend und beantragte eine entsprechende Festsetzung zugunsten der Insolvenzmasse. Dies lehnte das FA ab, da die Vorsteuern dem vorinsolvenzrechtlichen Vermögensteil zuzuordnen seien.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg (FG Münster, Urteil v. 12.6.2019 - 5 K 166/19 U). (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 15.7.2019).
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen:
- § 55 Abs. 4 InsO ist nur auf Masseverbindlichkeiten, nicht aber auch auf Vergütungsansprüche zugunsten der Masse anzuwenden. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus einer vom Kläger angenommenen Zuordnungswirkung im Voranmeldungsverfahren. Denn Voranmeldungen kommt für die Jahressteuerfestsetzung keine materiell-rechtliche Bindungswirkung zu.
- Der Vorauszahlungsbescheid ist zu keinerlei materiellen Bestandskraft in dem Sinne fähig, dass er mit gegenüber dem Jahressteuerbescheid durchsetzungsfähiger Verbindlichkeit über das Bestehen einer Umsatzsteuer(vorauszahlungs)schuld entscheidet (BFH, Urteil v. 15.6.1999 - VII R 3/97). Denn vorläufige Bescheide werden materiell nicht bestandskräftig. Nur der endgültige Jahressteuerbescheid ist uneingeschränkt anfechtbar, auch wenn er einen vorläufigen Bescheid nur bestätigt (vgl. BFH, Urteil v. 13.11.1975 - IV R 61/75).
- Diese unmittelbar das Steuerfestsetzungsverfahren betreffende Rechtsprechung ist auch bei der Zuordnung von Steueransprüchen zum Insolvenzbereich des § 38 InsO und zum Massebereich des § 55 InsO zu beachten. Daher ist für das Jahr der Insolvenzeröffnung nicht nur über das Bestehen und den Umfang des Steueranspruchs, sondern auch über seine insolvenzrechtliche Einordnung abschließend erst bei der Jahressteuerberechnung und der insolvenzrechtlichen Durchsetzung des Jahressteueranspruchs zu entscheiden. Dabei ist der Teil der Jahressteuer, die Insolvenzforderung ist, zur Insolvenztabelle anzumelden (§§ 174 ff. InsO), während der Teil der Jahressteuer, die zu einer Masseverbindlichkeit nach § 55 InsO führt, durch Steuerbescheid festzusetzen ist.
- Dabei ist die vom Kläger geschilderte Gefahr einer Doppelerfassung oder einer fehlerhaften Nichtberücksichtigung einzelner Besteuerungsgrundlagen zu verneinen, so dass auch dies nicht für die vom Kläger angenommene Zuordnungswirkung des Voranmeldungsverfahrens spricht.
- Auf die Überlegungen des FA zur Auszahlung der Vergütungsansprüche unter der Insolvenzsteuernummer ohne Aufrechnung mit anderen Insolvenzforderungen kommt es nicht an.
Quelle: BFH, Urteil v. 23.7.2020 - V R 26/19; NWB Datenbank (RD)