Online-Nachricht - Donnerstag, 19.05.2022
Umsatzsteuer | Unionsrechtliche Zweifel am Aufteilungsgebot des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG im Hotelgewerbe (BFH)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob das in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG im nationalen Recht angeordnete Aufteilungsgebot für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, mit Unionsrecht vereinbar ist (Anschluss an den BFH-Beschluss v. 26.5.2021 - V R 22/20: BFH, Beschluss v. 7.3.2022 - XI B 2/21 (AdV); veröffentlicht am 19.5.2022).
Hintergrund: Die Steuer beträgt gemäß § 12 Abs. 1 UStG für jeden steuerpflichtigen Umsatz 19 % der Bemessungsgrundlage (sog. Regelsteuersatz). Nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält, sowie die kurzfristige Vermietung von Campingflächen. Dies gilt nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind.
Sachverhalt: Streitig ist, ob Leistungen der Antragstellerin an ihre Hotelgäste als einheitliche Leistungen dem ermäßigten Steuersatz i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG unterliegen: Die Antragstellerin betreibt ein Hotel und Restaurant. In den Streitjahren 2014 bis 2017 erhielten alle Hotelgäste auch ein Frühstück sowie Zugang zum hoteleigenen Spa, bloße Übernachtungen bot die Antragstellerin nicht an.
Das FA vertrat die Auffassung, dass Übernachtung, Frühstück und Spa jeweils eigenständige Leistungen seien, von denen die Übernachtung einerseits dem ermäßigten Steuersatz und Frühstück sowie Spa anderseits dem allgemeinen Steuersatz zu unterwerfen seien. Die Antragstellerin hält unter Verweis auf das EuGH-Urteil v. 18.1.2018 C-463/16 „Stadion Amsterdam“ das Aufteilungsgebot des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG für europarechtswidrig und beantragte AdV beim FG der ersten Instanz, welches den Antrag ablehnte (FG Nürnberg, Beschluss v. 18.12.2020 - 2 V 1159/20, s. hierzu Gehm USt direkt digital 9/2021 S. 4).
Der BFH gab der Beschwerde teilweise statt und setzte die Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheids zum Teil aus:
- Das in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG normierte Aufteilungsgebot für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, wurde vom erkennenden Senat bisher als unionsrechtskonform angesehen (vgl. BFH, Urteil v. 24.4.2013 - XI R 3/11, BStBl II 2014, 86, Rz 51, m.w.N.; offen lassend BFH-Urteil v. 13.6.2018 - XI R 2/16, BStBl II 2018, 678, Rz 24).
- Es ist inzwischen jedoch fraglich, ob an dieser Rechtsprechung des Senats nach Ergehen des EuGH-Urteils Stadion Amsterdam festzuhalten ist.
- Der EuGH hat im Urteil Stadion Amsterdam entschieden, dass eine einheitliche Leistung, die aus zwei separaten Bestandteilen, einem Haupt- und einem Nebenbestandteil, besteht, für die bei getrennter Erbringung unterschiedliche Mehrwertsteuersätze gelten würden, nur zu dem für diese einheitliche Leistung geltenden Mehrwertsteuersatz zu besteuern ist, der sich nach dem Hauptbestandteil richtet, und zwar auch dann, wenn der Preis jedes Bestandteils, der in den vom Verbraucher für die Inanspruchnahme dieser Leistung gezahlten Gesamtpreis einfließt, bestimmt werden kann (vgl. EuGH, Urteil Stadion Amsterdam, Rz 36).
- Hieraus könnte für das gesetzliche Aufteilungsgebot in § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG folgen, dass bei unselbständigen Nebenleistungen die gesamte einheitliche Leistung dem ermäßigten Steuersatz der Hauptleistung "Übernachtung" zu unterwerfen ist.
- Die sich aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung ergebende Rechtsfolge, dass die unselbständige Nebenleistung stets das Schicksal der Hauptleistung zu teilen hat, könnte insoweit das Aufteilungsgebot aus § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG verdrängen.
- Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen darüber hinaus, nachdem der V. Senat des BFH durch Beschluss v. 26.5.2021 - V R 22/20 den EuGH um Vorabentscheidung dazu ersucht hat, ob das nationale Aufteilungsgebot des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG mit Unionsrecht vereinbar ist (Az. beim EuGH: C 516/21, s. hierzu auch Rapp/Engelhardt, NWB 40/2021 S. 2952).
- Es ist ungeklärt, ob den Grundsätzen zur Bestimmung eines einheitlichen Umsatzes Vorrang gegenüber Art. 135 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL, wonach die Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen steuerpflichtig ist, zukommt, oder aus Art. 135 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL ein Aufteilungsgebot abzuleiten sein könnte, so dass einheitliche Umsätze in einen (nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken betreffend) steuerfreien und einen (nach Art. 135 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL die Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen betreffend) steuerpflichtigen Teil aufzuspalten sind.
- Die vom EuGH in diesem Vorabentscheidungsersuchen zur Klärung der Frage, ob bei einer einheitlichen Leistung die Hauptleistung einerseits steuerfrei und die Nebenleistung andererseits steuerpflichtig sein können, heranzuziehenden Grundsätze könnten auf die den Streitfall betreffende Frage, ob bei einer einheitlichen Leistung unterschiedliche Steuersätze nach dem im nationalen Recht angeordneten Aufteilungsgebot i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG möglich sind, zu übertragen sein.
Quelle: BFH, Beschluss v. 7.3.2022 - XI B 2/21 (AdV); NWB Datenbank (il)
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