Online-Nachricht - Donnerstag, 15.12.2022
Verfahrensrecht | Restschuldbefreiung bei Betriebsaufgabe (BFH)
Die Erteilung der Restschuldbefreiung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens stellt für die Ermittlung des Gewinns aus einer Betriebsaufgabe auch dann ein rückwirkendes Ereignis dar, wenn der Betrieb erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben worden ist (Fortführung des Senatsurteils v. 13.12.2016 - X R 4/15). Die aus der Restschuldbefreiung resultierenden Steuern sind im Fall der Betriebsaufgabe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten i. S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da sie Folge der Verwaltung durch den Insolvenzverwalter sind (BFH, Urteil v. 6.4.2022 - X R 28/19; veröffentlicht am 15.12.2022).
Sachverhalt: Die Kläger wurden für die Streitjahre 2005 bis 2007 einzeln und für die Streitjahre 2008 bis 2012 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger betrieb ein Restaurant in Form eines Einzelunternehmens. Das FA stellte zum 31.12.2004 einen verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer fest. Anfang Januar 2005 beantragte der Kläger die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Im März 2005 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
Streitig ist, ob eine im Jahre 2011 erteilte Restschuldbefreiung auch dann in das Jahr der Betriebsaufgabe (2005) zurückwirkt, wenn diese erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt.
Der BFH hat das FG-Urteil, soweit es die Einkommensteuer 2005 bis 2012 und die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2005 bis 31.12.2011 betrifft, aufgehoben:
- Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Es fehlt an den notwendigen Feststellungen des FG, wann der Betrieb aufgegeben worden ist und ob das Insolvenzverfahren bei Erlass der angefochtenen Bescheide bereits beendet war.
- Zwar hat das FG materiell-rechtlich zutreffend entschieden, dass der sich aus der Restschuldbefreiung ergebende Gewinn im Streitjahr 2005 anzusetzen ist.
- Die Erteilung der Restschuldbefreiung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens stellt für die Ermittlung des Gewinns aus einer Betriebsaufgabe auch dann ein rückwirkendes Ereignis dar, wenn der Betrieb erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben worden ist (Fortführung des Senatsurteils v. 13.12.2016 - X R 4/15).
- Auch geht das FG zu Recht davon aus, dass eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung 2005 nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO möglich war. Dieser Änderung stehen auch die Vertrauensschutzregelungen des § 176 AO nicht entgegen.
- Folglich konnten auch die gesonderten Feststellungen der verbleibenden Verlustvorträge zur Einkommensteuer sowohl zum 31.12.2005 als auch zum 31.12.2006 bis 31.12.2011 sowie die Einkommensteuerfestsetzungen 2006 bis 2012 geändert werden.
- Da das FG allerdings zum einen rechtsfehlerhaft offengelassen hat, ob der Betrieb vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben wurde, und zum anderen nicht festgestellt hat, ob und wann das Insolvenzverfahren beendet wurde, vermag der Senat nicht zu beurteilen, ob der Einkommensteuerbescheid 2005 bei einer möglichen Betriebsaufgabe nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam bekanntgegeben worden ist.
Quelle: BFH, Urteil v. 6.4.2022 - X R 28/19; NWB Datenbank (RD)
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im X. Senat des BFH Honorarprofessor Dr. Gregor Nöcker gelangen Sie hier (Login erforderlich).