Online-Nachricht - Donnerstag, 23.02.2023
Einkommensteuer | Erste Tätigkeitsstätte bei Ableistung von Arbeitsbereitschafts- und Bereitschaftsruhezeiten (BFH)
Die Ableistung von Arbeitsbereitschafts- und Bereitschaftsruhezeiten in einer Einrichtung des Arbeitgebers ist eine Tätigkeit i.S. des § 9 Abs. 4 EStG (BFH, Urteil v. 26.10.2022 - VI R 48/20; veröffentlicht am 23.2.2023).
Hintergrund: Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen. Handelt es sich bei den Aufwendungen des Arbeitnehmers um solche für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG, ist zu deren Abgeltung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, grundsätzlich eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von (im Streitjahr) 0,30 € anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG).
Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.
Sachverhalt: Der Kläger ist Feuerwehrmann. Im Streitjahr 2016 war er an 112 Tagen in der Feuerwache B eingesetzt. Seine Fahrkosten zur Arbeit machte er nach Reisekostengrundsätzen geltend. Das FA erkannte lediglich die Entfernungspauschale an.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz Erfolg. Das FG war der Ansicht, der Kläger habe wegen der arbeitsvertraglichen Verpflichtung, seinen Dienst an verschiedenen Einsatzstellen zu leisten, keine erste Tätigkeitstätte (FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 28.11.2019 - 6 K 1475/18, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 8.1.2020).
Die Richter des BFH hoben das erstinstanzliche Urteil auf und wiesen die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück:
- Die Zuordnung zur ersten Tätigkeitsstätte wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Einer gesonderten Zuordnung für einkommensteuerliche Zwecke bedarf es nicht (BFH, Urteil v. 11.4.2019 - VI R 40/16, BStBl II 2019, 546, Rz 23, 35).
- Die arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers als solche muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden. Eine Dokumentationspflicht ist § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht zu entnehmen. Die Feststellung einer entsprechenden Zuordnung ist vielmehr durch alle nach der FGO zugelassenen Beweismittel möglich und durch das FG im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen.
- Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, nicht an.
- Von einer dauerhaften Zuordnung ist ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Eine Zuordnung ist unbefristet i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3, 1. Alternative EStG, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt (Senatsurteil in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 21).
- Vorliegend tragen die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht dessen Schlussfolgerung, dass der Kläger der Feuerwache B nicht dauerhaft zugeordnet worden ist.
- Das FG hat eine (dauerhafte) Zuordnung des Klägers zur Feuerwache B allein mit der Begründung verneint, der Kläger sei nach dem Arbeitsvertrag verpflichtet, nach entsprechender Einzelanweisung seinen Dienst an vier verschiedenen Einsatzstellen zu leisten, und sich dabei auf Ziffer 6 des Arbeitsvertrags gestützt. Darin wird als Beschäftigungsdienststelle/-ort allgemein auf die verschiedenen Standorte, nämlich "... ", hingewiesen, an denen der Kläger eingesetzt werden kann.
- Aufgrund dieser arbeitsvertraglichen Regelung mag der Kläger - wie das FG meint - zum Dienst an verschiedenen ortsfesten betrieblichen Einrichtungen des Arbeitsgebers verpflichtet sein. Ob der Arbeitgeber den Kläger einer dieser betrieblichen Einrichtungen tatsächlich zugeordnet hat, lässt sich dieser Bestimmung hingegen nicht entnehmen.
- Sie rechtfertigt auch nicht den vom FG gezogenen (Umkehr )Schluss, der Kläger sei keiner dieser betrieblichen Einrichtungen zugeordnet worden. Denn allein der Umstand, dass ein Arbeitnehmer auf Weisung seines Arbeitgebers in unterschiedlichen betrieblichen Einrichtungen tätig werden soll, steht seiner Zuordnung zu einer dieser betrieblichen Einrichtungen durch den Arbeitgeber nicht entgegen.
- Bei der Beurteilung der Frage, ob der Kläger aus der Ex-ante-Sicht B im Streitjahr zugeordnet war und ob es sich in diesem Fall um eine dauerhafte Zuordnung handelte, wird u.a. Folgendes zu berücksichtigen sein:
- Gelangt das FG im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis, dass eine dauerhafte Zuordnung vorlag, ist hinsichtlich der Frage, ob der Kläger dort im erforderlichen Umfang tätig geworden ist, zu beachten, dass nach Auffassung des Senats bei einem Angehörigen der Betriebs /Werksfeuerwehr auch die Arbeitsbereitschafts- und Bereitschaftsruhezeiten, soweit diese an der ersten Tätigkeitsstätte abzuleisten sind, Tätigkeiten i.S. des § 9 Abs. 4 EStG darstellen, die arbeitsvertraglich geschuldet sind und dem Berufsbild der Betriebs-/Werksfeuerwehr entsprechen (vgl. zur Beurteilung der Arbeitszeit einer Werksfeuerwehr, BAG, Urteil v. 23.6.2010 - 10 AZR 543/09).
Quelle: BFH, Urteil v. 26.10.2022 - VI R 48/20; NWB Datenbank (il)
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