Online-Nachricht - Donnerstag, 16.03.2023
Einkommensteuer | Verfassungsmäßigkeit des Übergangsrechts zur Einführung der Veräußerungsgewinnbesteuerung (BFH)
Die durch § 52 Abs. 28 Satz 16 Teilsatz 3 EStG bewirkte Einbeziehung unechter Finanzinnovationen in die Veräußerungsgewinnbesteuerung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG mit Wirkung vom 1.1.2009 ist verfassungsgemäß (BFH, Urteil v. 13.12.2022 - VIII R 23/20; veröffentlicht am 16.3.2023).
Hintergrund: Der Verkauf von "normalen" festverzinslichen Anleihen unterliegt nicht der Abgeltungsteuer, wenn diese vor dem 1.1.2009 erworben wurden. Der Bestandsschutz gilt nicht für den Verkauf sog. Finanzinnovationen. Gewinne wie Verluste aus Finanzinnovationen waren bereits nach der Rechtslage bis 2008 in Höhe der besitzzeitanteiligen Emissionsrendite oder der Marktrendite steuerpflichtig. Zwar hatte der BFH die Veräußerung sog. unechter Finanzinnovationen, bei denen eine Unterscheidung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich war, für Jahre bis 2008 aus dem Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG a.F. ausgenommen. Dennoch gewährt der Gesetzgeber hierfür keinen Bestandsschutz im Rahmen der Abgeltungsteuer.
Der Regelungsinhalt des jetzigen § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG wurde mit dem JStG 2009 dahingehend ergänzt, dass der Bestandsschutz (auch) nicht für Finanzinnovationen gilt, wenn die Rückzahlung nur teilweise garantiert ist oder wenn eine Trennung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich erscheint (Ronig, NWB-EV 3/2021 S 78, 84).
Sachverhalt: Streitig ist, ob die Versteuerung von Gewinnen aus der Rückzahlung von im Jahr 2008 erworbenen Inhaberschuldverschreibungen, bei denen eine Abgrenzung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich ist, nach Kündigung durch den Emittenten (hier: in den Streitjahren 2015 und 2016) gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG verfassungskonform ist. Das FG der ersten Instanz entschied, dass die vom Kläger in den Streitjahren vereinnahmten Gewinne aus der Rückzahlung der Anleihen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 EStG als steuerpflichtige Einkünfte aus Kapitalvermögen zu qualifizieren sind (FG Köln, Urteil v. 3.7.2020 - 12 K 449/18).
Dem folgten die Richter des BFH:
- Die Voraussetzungen des § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG für eine Fortgeltung des alten Rechts über den 31.12.2008 hinaus liegen im Streitfall nicht vor. Grund hierfür ist der dritte Teilsatz in § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG, der im Sinne einer Rückausnahme die im ersten Teilsatz normierte Ausnahme von der Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG für Kapitalforderungen, die vor dem 01.01.2009 erworben wurden, wieder ausschließt.
- Die Übergangsregelungen in § 52 Abs. 28 Sätze 15 ff. EStG führen nicht zu einem verfassungswidrigen Zustand. Sie verstoßen weder gegen das Rückwirkungsverbot noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den für die Anwendung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG im Streitfall entscheidenden dritten Teilsatz von § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG.
- Die unechte Rückwirkung (vgl. BT-Drucks 16/10189, S. 66 f.) ist verfassungsgemäß. Zu Recht hat das FG seine diesbezügliche Würdigung insbesondere auf den Beschluss des BVerfG v. 7.7.2010 - 2 BvL 14/02, BStBl II 2011, 76 gestützt (so auch FG Düsseldorf, Urteil v. 30.1.2018 - 13 K 2430/16 E) und danach eine Verletzung des grundrechtlichen Vertrauensschutzes des Klägers verneint.
- Die vom Kläger gerügte Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG liegt ebenfalls nicht vor. Die Einbeziehung von Veräußerungsgewinnen in die Besteuerung ab einem bestimmten gesetzlich definierten Zeitpunkt verstößt für sich genommen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.
- Ebenso wie kein grundrechtlicher Schutz des Vertrauens darauf besteht, dass das geltende Recht unverändert fortbesteht, bietet auch Art. 3 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen belastende Rechtsänderungen.
- Der allgemeine Gleichheitssatz begründet grundsätzlich keinen Anspruch auf eine zukünftig gleichbleibende Rechtslage; in diesem Sinne gibt es keine "Gleichheit in der Zeit" (so BFH, Urteil v. 11.8.2021 - I R 38/19, Rz 26, mit Verweis auf BVerfG, Beschluss v. 12.5.2009 - 2 BvL 1/00, BVerfGE 123, 111, BStBl II 2009, 685, Rz 14, und Kanzler, Finanz-Rundschau 2010, 987).
- Stichtags- und andere Übergangsvorschriften sind verfassungsrechtlich nur daraufhin zu prüfen, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die gefundene Lösung sich durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint.
- Anhaltspunkte dafür, dass die Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG als willkürlich anzusehen wäre, liegen nicht vor. Der sachliche Grund für die vorliegend entscheidungserhebliche Regelung ist den Gesetzesmaterialien zum JStG 2009 (BT-Drucks 16/10189, S. 66 f.) zu entnehmen.
- Dort wurde ausgeführt, die Übergangsregelung in § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG a.F. (inzwischen § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG) sehe vor, dass bei Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 generell der als Unterschied zwischen Erlös und Anschaffungskosten zu ermittelnde Gewinn oder Verlust den Abgeltungsteuerregelungen unterliege. Ausdrücklich benanntes Ziel war das öffentliche Interesse an einer einfachen und praktikablen Abgeltungsteuer.
- Ohne den letzten Teil von § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG wäre die Anwendung des Kapitalertragsteuerabzugs auf Kapitalforderungen, die die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 erfüllen, von einer Einzelfallprüfung der jeweiligen Anleihebedingungen abhängig gewesen, was entgegen dem vom Gesetzgeber mit der Einführung der abgeltenden Besteuerung angestrebten Vereinfachungszweck eine Vielzahl von Veranlagungsfällen zur Folge gehabt hätte.
Quelle: BFH, Urteil v. 13.12.2022 - VIII R 23/20; NWB Datenbank (il)
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