Es hat bereits begonnen: Anzeigepflichten für Steuergestaltungen – und hier „spielt die Musik“: Kennzeichen und Main benefit-Test
Schon heute akuter Handlungsbedarf
Wenngleich die neuen Anzeigepflichten für „meldepflichtige grenzüberschreitende Steuergestaltungen“ erst im nächsten Jahr gelten, besteht schon heute akuter Handlungsbedarf. Mit Inkrafttreten der EU-Richtlinie 2018/822 (DAC 6-Amtshilferichtlinie) am 25.6.2018 sind Anzeigepflichten unionsrechtlich verbindlich verankert. Der deutsche Gesetzgeber ist verpflichtet die bereits konkreten Vorgaben der EU-Richtlinie in den nächsten Monaten, bis spätestens zum 31.12.2019 in deutsches Recht umzusetzen. Nach der Richtlinie haben Steuer-, Rechts- und Wirtschaftsberater Gestaltungssachverhalte zu dokumentieren, deren erster Umsetzungsschritt bereits ab dem 25.6.2018 erfolgt ist.
Deutscher Umsetzungsentwurf 2019
Nachdem im September 2018 ein erster Diskussionsentwurf öffentlich geworden war, hat das BMF am 30.1.2019 einen Umsetzungsentwurf in die regierungsinterne Ressortabstimmung gegeben. Der deutsche Umsetzungsentwurf setzt die Regelungen aus der DAC6-Amtshilferichtlinie insbesondere in den neuen Paragraphen 138d bis 138f der Abgabenordnung um – und entspricht weitgehend einer 1:1-Umsetzung der EU-Vorgaben – die grundsätzlich dann eine Meldepflicht (nach deutschem Umsetzungsentwurf: Mitteilungspflicht) statuieren, wenn eine Steuergestaltung grenzüberschreitend ist und eines der sog. „Kennzeichen“ erfüllt.
Innerstaatliche Gestaltungen
Über die EU-Vorgaben hinaus soll nach derzeitigem Stand im Rahmen des deutschen Umsetzungsentwurfs aus Januar 2019 ein weiterer § 138j AO eingeführt werden, nach dem auch bestimmte innerstaatliche Gestaltungen gemeldet werden müssen. Analog zur Meldepflicht für grenzüberschreitende Gestaltungen wird auch die innerstaatliche Mitteilungspflicht ausgelöst, wenn eine Gestaltung ein sog. „Kennzeichen“ erfüllt. Für innerstaatliche Gestaltungen ist eine reduzierte Zahl von 7 statt 16 Kennzeichen vorgesehen, die inhaltlich zumeist deckungsgleich mit den Kennzeichen für grenzüberschreitende Gestaltungen sind.
Voraussetzungen der Meldepflicht
Eine Meldepflicht für grenzüberschreitende Gestaltung besteht übereinstimmend sowohl nach der DAC6-Amtshilferichtlinie, als auch nach dem deutschen Umsetzungsentwurf wenn:
- eine erfasste Steuerart betroffen ist,
- eine (nicht näher definierte) Gestaltung vorliegt,
- diese Gestaltung grenzüberschreitend ist und
- diese Gestaltung mindestens eines der (im Anhang IV der DAC6-Amtshilferichtlinie bzw. im Umsetzungsentwurf aufgeführten) sog. „Kennzeichen“ erfüllt, ggf. unter Hinzunahme des „Main benefit“/„Relevanz“-Tests.
Wenn alle vorgenannten Tatbestandsmerkmale zusammentreffen (erfasste Steuerart, Gestaltung, grenzüberschreitender Bezug, Kennzeichen), so handelt es sich um eine grenzüberschreitende meldepflichtige Gestaltung (Art. 3 Nr. 19 DAC6 i. V. m. Art. 2 EU-Amtshilferichtlinie (2011/16/EU) bzw. § 138d Abs. 2 AO-E).
Kennzeichen (engl. „Hallmarks“)
Die sog. „Kennzeichen“ sind das Herzstück der DAC6-Amtshilferichtlinie. Mit ihnen steht und fällt die Meldepflicht; sie verursachen dem Rechtsanwender die meiste Arbeit, mitunter wohl auch das meiste Kopfzerbrechen. Unterteilt sind die „Kennzeichen“ in generische (z.B. im Falle bestimmter Vertraulichkeitsklauseln oder Erfolgsvereinbarungen) und spezifische (z.B. Fälle von grenzüberschreitende Zahlungen verbundener Unternehmen oder Mehrfachabschreibung desselben Vermögenwerts).
Spezifische Kennzeichen beschreiben einen Sachverhalt, bei dem der Gesetzgeber ohne weiteres vom Vorliegen einer Steuervermeidungsstrategie ausgeht. Hingegen gilt dies bei den generischen Kennzeichen nicht, weshalb bei ihnen zusätzlich der sog. „Main benefit“-Test erfüllt sein muss.
„Main benefit“-Test
Der Nutznießer der jeweiligen Gestaltung muss sich nach dem „Main benefit“-Test die Frage gefallen lassen, ob er die Gestaltung zur Erzielung eines Steuervorteils als „einer der wesentlichen Vorteile“ der Gestaltung einsetzt. Der „Main benefit“-Test erinnert an den Nachweis beachtlicher außersteuerlicher Gründe für die Wahl einer Gestaltung bei § 42 AO. Er ist im deutschen Umsetzungsentwurf noch etwas konkretisiert worden (nicht gesetzlich vorgesehener Steuervorteil, § 138d Abs. 3 AO-E).
Praxistipp: Der „Main benefit“-Test bzw. Hauptvorteilstest ist ein objektiver Test, der die Abwägung der Steuervorteile mit denen der anderen finanziellen und nicht-finanziellen Vorteile voraussetzt. Der Hauptvorteilstest stellt die folgenden Fragen:
- Liegt ein Steuervorteil vor?
- Ist der Steuervorteil der oder einer der Hauptvorteil(e)?
Der Steuervorteil kann aus der Vermeidung/Verminderung der Besteuerung, einem Steuerfreibetrag oder der Erhöhung der Steuerverluste bestehen. Diese können entweder vorrübergehend oder auch definitiv sein (z. B. Steuerstundung oder zeitversetzte Steuerrückzahlungen).
Beispiel: Eine Firma hat eine gewinnbringende Betriebsstätte in einem EU-Mitgliedsstaat. Sie kauft eine verlustmachende Gesellschaft im selben Staat, beendet deren Haupttätigkeit, und bringt die Betriebsstätte in die Gesellschaft ein, so dass sie die Verluste nutzen kann. Die Vergleichstransaktion ist in diesem Fall wahrscheinlich der Kauf einer Gesellschaft, so dass die Verluste nur mit zukünftigen Gewinnen der erworbenen Gesellschaft verrechnet werden können. Wenn der Vorteil aus der Nutzung der Verluste mehr als nebensächlich ist, wäre die Verlustverwendung als Hauptvorteil zu klassifizieren.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um Zusammenschnitte aus der Praxiskommentierung Anzeigepflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen