Der Brexit ist fast vollzogen, die Zukunft aber bleibt ungewiss

Viereinhalb Jahre nachdem das Vereinigte Königreich für den Austritt aus der EU gestimmt hat, ist das Ziel der Brexit-Befürworter nun fast erreicht. Das Königreich verlässt nach Ablauf der Brexit-Übergangsphase zum Jahreswechsel nun den EU-Regelungsrahmen, und damit auch den europäischen Binnenmarkt sowie die Zollunion, und befindet sich nun wieder dort, wo es 1992 vor Unterzeichnung der Verträge von Maastricht einmal war.

Mehr unabhängig, aber auch mehr abgekoppelt von ihrem größten Handelspartner, der EU, die immerhin auch nach dem Brexit der zweitgrößte Wirtschaftsraum der Welt bleibt. Zu welchen neuen Ufern segelt das Königreich mit der neu gewonnen Freiheit nun? Auch nach Vollzug des Brexits könnte die Zukunft nicht ungewisser sein.

Ein holpriger Start ins neue Jahr

Probleme gleich zu Beginn des neuen Jahres sind unvermeidlich. Trotz langjähriger Vorbereitung auf den Ausstieg aus dem europäischen Rechtsgeflecht sind viele wichtige britische Wirtschaftssektoren nicht ausreichend vorbereitet, teilweise bedingt durch die katastrophalen Auswirkungen der Coronapandemie, aber auch durch die zum Teil zu spät organisierten Vorbereitungsmaßnahmen der britischen Regierung. Der administrative Aufwand der neuen Zollabfertigungen für Warenbewegungen zwischen der Insel und dem Kontinent werden die Unternehmen viel Zeit und Geld kosten, und das nicht nur weil es nicht annähernd genügend Zollagenturen gibt, die Warenimporte abwickeln können.

Besonders schlimm trifft es Nordirland, das aufgrund der Bewahrung des Friedensabkommens von einer Grenze mit der Republik Irland im Südteil der Insel verschont wird, und deshalb im EU-Binnenmarkt verbleibt. Im Ergebnis bekommt Nordirland damit eines der komplexesten dualen Umsatzsteuer- und Zollsysteme der Welt, was am Ende die dortige lokale Wirtschaft zu bezahlen hat. Allein deshalb wird eine Anpassungsphase über das Jahresende hinaus mit Erleichterungen für Unternehmen unausweichlich sein.

Aber auch der eingeschränkte Zugang zu europäischen Fachkräften, bedingt durch das Ende der Personenfreizügigkeit mit der EU und Einführung eines strikten britischen Einwanderungsrechts, wird es der britischen Wirtschaft erschweren, künftig mit den Wachstumsraten der anderen G7-Staaten mitzuhalten. Dies trifft kurzfristig vor allem den britischen Einzelhandel, die Gastronomie und die Bauwirtschaft besonders hart, die in den letzten 20 Jahren verstärkt auf europäische Arbeitskräfte gesetzt haben, viele aber aufgrund der Coronapandemie in ihre Heimat zurückgekehrt sind und nun das Recht verlieren im Vereinigten Königreich zu leben und Arbeit aufzunehmen. Die britische Finanzindustrie, sicherlich eine der britischen Schlüsselindustrien, hat sich auf das anstehende Problem des Fachkräftemangels bereits seit Jahren vorbereitet und zehntausende von Arbeitsplätzen von der Londoner City in europäische Finanzplätze, wie Frankfurt oder Paris, verlagert. Ein Exodus an Finanzkraft und Kompetenz, der 2021 weitergehen wird.

Die politischen Hintergründe

Die politische Strategie hinter dem Brexit war immer ein abgewogener Kompromiss zwischen mehr Autonomie gegenüber Brüssel bei gleichzeitig weniger Markzugang zur EU, aber mehr Annäherung zu anderen Volkswirtschaften, wie z. B. den USA, um Wachstumsdefizite auszugleichen. Ein schnelles Handelsabkommen mit den USA im Jahr 2021 spielte dabei eine besonders wichtige Rolle, um den Brexit-Skeptikern zu zeigen, wie schnell verloren gegangener Boden wieder gut zu machen sei. Diese Strategie dürfte jedoch mit der Wahl Joe Bidens zum neuen US-Präsidenten einen erheblichen Dämpfer erhalten haben. Der neue US-Präsident Biden sieht seine außenpolitische Strategie u. a. in einer Wiederbelebung des amerikanisch-europäischen Bündnisses. Ein Handelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich hat dabei keine Priorität und sei auch nur möglich, insofern der Brexit zu keinen Verwerfungen mit der EU führe.

Im Ergebnis: Mehr Autonomie von der EU bedeutet nicht automatisch mehr Marktzugang zu anderen Volkswirtschaften, wenn es der EU schadet. Dies wird sich in den kommenden Jahren schmerzlich an der Entwicklung der britischen Wirtschaftsleistung ablesen lassen.

Aber auch innenpolitisch ist das Vereinigte Königreich gespalten wie nie zuvor. Die negativen Auswirkungen des Brexits befeuern die schottischen Unabhängigkeitsträume neu, die bei einem Wahlsieg mit absoluter Mehrheit für die schottischen Nationalisten bei den Regionalwahlen im Mai 2021 auch wahr werden könnten. Die innenpolitischen Probleme in Nordirland existieren sicherlich auch nicht erst seit der Brexit-Entscheidung, doch haben die Diskussionen um eine Grenze auf der irischen Insel die Sensibilität des Friedensprozesses offengelegt. Es ist die gemeinsame europäische Identität, mit offenen Grenzen und offenen Märkten, die diese tiefe Spaltung der Briten in den letzten 40 Jahren überschattet hat, da diese irrelevant war. Der „harte“ Brexit lässt diese alten Konflikte nun wiederaufleben, die das Potenzial für tektonische Machtverschiebungen im Vereinigten Königreich in den nächsten Jahren haben.

Der „weiche“ Brexit

Theresa Mays ursprünglicher Ansatz für einen „weichen“ Brexit, mit weitestgehend offenen europäischen Grenzen und Märkten, war nach dem Referendum politisch nicht durchsetzbar. Aber ein „weicher“ Brexit könnte langfristig die Lösung sein, um eine Spaltung des Königreichs abzuwenden und das Land wieder wettbewerbsfähig zu machen. Politische Mehrheiten sind Momentaufnahmen und künftige britische Regierungen werden die Option haben das Land wieder näher an die europäischen Institutionen heranzuführen.

Doch bis dahin müssen sich Unternehmen und Privatpersonen auf beiden Seiten des Ärmelkanals zunächst einmal mit einer komplizierten Entflechtung des britischen Rechtssystem aus dem EU-Rahmen auseinandersetzen. Künftig werden bilaterale Abkommen, wie die Doppelbesteuerungs-abkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und den europäischen Staaten neu an Wert gewinnen. Nicht durch die DBA abgedeckte Bereiche, wie z. B. das Zoll- oder Umsatzsteuerrecht, müssen jedoch so zwischen der EU und Großbritannien harmonisiert werden, dass es zu keiner Doppelbesteuerung, oder Nullbesteuerung, kommt.


Von Alexander Altmann erscheint im ersten Quartal 2021 „Großbritannien nach dem Brexit – Der zukünftige Steuer- und Investitionsstandort“. Dieses Handbuch bietet einen vertieften Einblick in den Wirtschaftsstandort nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU – aktuell mit dem ab 1.1.2021 geltenden Recht!

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