Kosten und Nutzen der nicht-finanziellen Publizität

Die grundlegende Rechnungslegungsforschung und mögliche Implikationen für die Praxis sowie die Beurteilung der Berichterstattung sind nach § 4 WiPrPrüfV wesentliche Inhalte des Prüfungsgebiets „Angewandte Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre“.

I. Einordnung

Empirische, also auf Beobachtungsdaten gestützte Forschung spielt in der Betriebswirtschaftslehre derzeit eine zentrale Rolle, gerade aus der Perspektive der sogenannten A-Journals. Diese Entwicklung basiert beispielsweise darauf, dass in der BWL (wie auch in allen anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen) die Verfügbarkeit und IT-Rechenleistung in den letzten beiden Jahrzehnten rapide zugenommen hat. Zudem hat sich die betriebswirtschaftliche Forschung internationalisiert, was auch breitere methodische Anforderungen an die veröffentlichenden Wissenschaftler stellt. Die meisten dieser empirischen Arbeiten stammen aus dem Bereich Marketing. Aber auch andere Teilbereiche der BWL haben sich immer weiter in Richtung empirischer Arbeiten bewegt, etwa das Controlling und die Finanzierung, 1 wobei die Methodenvielfalt der Forschung nicht gefährdet werden sollte. Gerade in angewandten Wissenschaften wie der Rechnungslegung inklusive der (gesetzlich geregelten) Unternehmensberichterstattung sind beispielsweise auch normative Forschungsansätze unverzichtbar. 2

Ein zweiter zu beobachtender wesentlicher Trend ist ein stärkerer Fokus auf Nachhaltigkeitsaspekte und die Nachhaltigkeitsberichterstattung, deren Bedeutung derzeit deutlich wächst. So regelt die 2014 beschlossene und seit 2017 geltende Non-Financial Reporting Directive (NFRD) 3 noch, dass bestimmte Unternehmen von öffentlichem Interesse in der EU 4 über ihre Nachhaltigkeit Bericht erstatten müssen. Künftig wird die NFRD allerdings durch die im Dezember 2022 veröffentlichte Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ersetzt. Als Folge der Einführung der CSRD werden in Deutschland ab dem Geschäftsjahr 2025 deutlich mehr Unternehmen als bisher Nachhaltigkeitsberichte vorlegen; die Anzahl der berichtspflichtigen Unternehmen in Deutschland wird sich von ca. 500 Unternehmen auf ca. 15.000 Unternehmen erhöhen. 5 Die vorliegende Examensaufgabe widmet sich dem Zusammenspiel von empirischer Forschung und nachhaltiger Berichterstattung.

II. Aufgabenstellung 6

a) Die Berichterstattung kapitalmarktorientierter Gesellschaften über ihre sogenannte „Corporate Social Responsibility“ (CSR) hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen.

Diskutieren Sie die Gründe, warum einige Unternehmen bereits seit vielen Jahren freiwillig CSR-Berichte
aufstellen, andere wiederum nicht. (10 Punkte)

Die sogenannte „CSR-Richtlinie“ der EU wurde 2014 verabschiedet und schreibt für Geschäftsjahre beginnend ab 2017 vor, dass „große“ börsennotierte Gesellschaften jährliche CSR-Berichte („nichtfinanzielle Berichte“) erstellen und veröffentlichen. In einer 2018 veröffentlichten empirischen Studie mit dem Titel „Market Reaction to Mandatory Nonfinancial Disclosure“ untersuchen Wissenschaftler (Grewal, Riedl, Serafeim in Management Science) Kursreaktionen am Aktienmarkt auf die Verabschiedung der CSR-Richtlinie 2014. Zu diesem Zweck bestimmen die Verfasser das Datum, an dem erstmalig die Verabschiedung der CSR-Richtlinie der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde. Für ein Fünf-Tages-Fenster um dieses Datum (zwei Tage vorher bis zwei Tage danach) bestimmen sie für eine Stichprobe von 1.249 von der Richtlinie erfasste Unternehmen die Aktienrendite, deren Mittelwert -2,22 % beträgt. Zum Vergleich wird für eine sogenannte Kontrollgruppe von 1.249 vergleichbaren Unternehmen, die nicht unter die Richtlinie fallen, für denselben Zeitpunkt eine mittlere Rendite von -1,51 % ermittelt. Mithilfe eines sogenannten T-Tests wird gezeigt, dass der Unterschied beider Mittelwerte statistisch signifikant ist (auf dem 5 %-Niveau).

b) Interpretieren Sie den geschilderten empirischen Befund; gehen Sie hierbei auch auf das Konzept der statistischen Signifikanz ein. Erläutern Sie ökonomisch, was Aktienkursreaktionen ausdrücken und was die ökonomischen Gründe für die Befunde der geschilderten Studie sein können. (10 Punkte)

Im nächsten Schritt der geschilderten Studie schätzen die Verfasser ein sogenanntes „Determinantenmodell“ mit dem Verfahren der multivariaten Regressionsanalyse. Stichprobe sind nun lediglich die von der Richtlinie erfassten Unternehmen. Für diese Unternehmen wird die folgende
Regressionsgleichung geschätzt:

(1) Return i = α 1 + β 1EnvScore 1 + β 2ESG_Discl i + Kontrollvariablen + ε i

Die nachfolgende Tabelle 1 definiert die in der Regression (1) verwendeten Variablen sowie deren Messung:

Tabelle 1:

Abhängige Variable:
Return i Aktienrendite des Unternehmens im Fünf-Tage-Fenster (-2; +2) um das öffentliche Bekanntwerden der CSRRichtlinie.
Unabhängige Variablen:
EnvScore 1 MSCI (Morgan Stanley Capital International) Score zwischen 1 und 10 zur Messung der Performance des Unternehmens im Bereich Umwelt (u. a. Klimawandel, Ressourcennutzung).
ESG_Discli „Disclosure Score“ misst den Umfang der freiwilligen CSR-Berichterstattung des Unternehmens i zum Zeitpunkt
der Verabschiedung der CSR-Richtlinie (von 1 bis 100).

Die nachfolgende Tabelle 2 zeigt die Ergebnisse der Schätzung der Regressionsgleichung (1):

Tabelle 2:

Ergebnisse der Schätzung von Modell (1)
Variable Koeffizient T-Wert
Regressionskonstante -0,1127 3,63***
EnvScore 0,0033 2,30**
ESG_Discl 0,0004 2,23**
Kontrollvariablen berücksichtigt
R2 6,70 %
Erläuterung zu T-Werten: * bedeutet signifikant auf 10 %-Niveau; ** bedeutet signifikant auf 5 %-Niveau; *** bedeutet signifikant
auf 1 %-Niveau.

c) Erläutern Sie zunächst bezugnehmend auf die Regressionsgleichung (1) das statistische Verfahren der multivariaten Regressionsanalyse. Interpretieren Sie dann konkret die Ergebnisse der Schätzung von (1). Diskutieren Sie hierbei ökonomische Gründe für die empirischen Befunde. (12 Punkte)

d) Was sagt das Bestimmtheitsmaß (R2) aus und wie ist es für die vorliegende Studie zu interpretieren? (5 Punkte)

e) Was versteht man unter Kontrollvariablen und welchen Zweck erfüllt deren Einbeziehung in Regressionsmodelle? Schlagen Sie begründet eine potenzielle Kontrollvariable für die Gleichung (1) vor. (5 Punkte)

f) Die CSR-Richtlinie stellt eine Form der Regulierung der Unternehmenspublizität dar. Schildern Sie grundsätzlich wann eine solche Regulierung geboten erscheint. Interpretieren Sie die Ergebnisse der obigen Studie von Grewal et al. (2018) vor diesem Hintergrund. (8 Punkte)

g) Aktuelle empirische Studien untersuchen auch das Verhalten von Unternehmen nach der Verabschiedung der CSR-Richtlinie 2014. Ein markantes Ergebnis dieser Studien ist, dass einige der Unternehmen, die 2014 nicht bereits freiwillig einen CSR-Bericht aufstellten, insbesondere in den Jahren 2014 und 2015 den Umfang ihrer CSR-Investitionen erhöht haben. Wie lässt sich dieser Befund ökonomisch deuten? (5 Punkte)

III. Lösungshinweise

a) Die freiwillige Berichterstattung über nicht-finanzielle Aspekte hat vor allem im letzten Jahrzehnt zunehmend an Bedeutung gewonnen. So sind freiwillige Berichtsformate wie der Nachhaltigkeitsbericht in der EU zu einem festen Bestandteil der Berichtspraxis geworden, vor allem bei kapitalmarktorientierten Unternehmen. 7 Die Gründe für die (freiwillige) nicht-finanzielle Berichterstattung sind vielfältig. Zu nennen ist zunächst die steigende Bedeutung der unternehmerischen sozialen Verantwortung. Die soziale Verantwortung der Unternehmen hat sich inzwischen als wichtiger Bestandteil des unternehmerischen Handelns etabliert. Die Gewinnerzielung wird nicht mehr als alleiniges Unternehmensziel angesehen. Vielmehr hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass nicht nur die Ziele der Unternehmenseigentümer (Shareholder), sondern auch aller anderen Interessengruppen (Stakeholder) berücksichtigt werden müssen. 8 Mit der (freiwilligen) Berichterstattung möchten Unternehmen zum einen die wachsenden Informationsbedürfnisse aller Stakeholder erfüllen. So ist die Nachhaltigkeit der Geschäftsaktivitäten von Unternehmen nicht nur für die Eigenkapitalgeber zunehmend entscheidungsrelevant, auch die Gläubiger benötigen beispielsweise entsprechende Informationen zur adäquaten Einschätzung der (Ausfall-)Risiken und die Lieferanten sowie Kunden zur (Risiko-) Bewertung der Lieferbeziehungen. 9

Darüber hinaus kann die nicht-finanzielle Berichterstattung als „Vervollständigung der Berichterstattung über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft betrachtet werden“ 10, da CSR-Initiativen einen erheblichen Einfluss auf die künftige wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens haben können. Beispielsweise können CSR-Initiativen die Reputation und damit Umsätze und Gewinne erhöhen, die Missachtung von CSR-Faktoren aber auch zu massiven Umsatz- und auch Gewinneinbußen führen. 11 Zudem berichten Unternehmen häufig zunächst freiwillig über nicht-finanzielle Aspekte, um auf die künftig folgende verpflichtende Berichterstattung vorbereitet zu sein.

Allerdings verzichten auch Unternehmen auf die freiwillige CSR-Berichterstattung, so etwa weil diese Unternehmen CSR-Initiativen oder die Berichterstattung über CSR-Aspekte (lediglich) als Kostenfaktor sehen oder schlichtweg nicht die finanziellen Ressourcen zur Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten haben. So unterstellt auch die vorab zitierte Studie, dass Investoren in der Regel Nettokosten aufgrund der Nachhaltigkeitsberichterstattung erwarten. 12 Zudem agieren Unternehmen zum Teil lediglich kurzfristig und übersehen dabei die Bedeutung des nachhaltigen Wirtschaftens für die langfristige Wertschöpfung.

Darüber hinaus wird die freiwillige Berichterstattung durch divergierende Verbindlichkeitsgrade und Unterschiede bei der inhaltlichen Ausgestaltung der nichtfinanziellen Berichtsformate negativ beeinflusst, da die unterschiedlichen Berichtsformate die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit der Publikationen bzw. der offenlegenden Unternehmen gefährden können. 13 Zudem können Unternehmen aufgrund von Ungenauigkeiten und anderweitigen Fehlern befürchten, dem Vorwurf des „Greenwashing“ ausgesetzt zu sein, d. h. die Geschäftstätigkeit nachhaltiger und verantwortungsbewusster zu beschreiben als sie tatsächlich ist. 14

b) Die Studie ergibt, dass in dem Fünf-Tages-Zeitraum um die Veröffentlichung der CSR-Richtlinie die Aktienrendite von Unternehmen, die von ihr betroffen sind, im Durchschnitt um 2,22 % sinkt. Dies allein erlaubt noch keine Aussage hinsichtlich des tatsächlichen Effekts. Zentral für das Studiendesign ist die Hinzunahme einer Kontrollgruppe, die aus vergleichbaren Unternehmen besteht, die in ihren beobachtbaren Eigenschaften den betroffenen Unternehmen ähneln, aber nicht von der CSR-Richtlinie betroffen waren (über ein Matching-Verfahren ermittelt). Deren Aktienrendite sinkt in demselben Zeitraum nur um durchschnittlich 1,51 %.

Einfluss auf die Aktienkurse nehmen, etwa Ölpreisanstiege, hohe Inflationserwartungen oder Leitzinserhöhungen der Zentralbank. Es scheint, als hätten solche Events in dem Untersuchungszeitraum der Studie stattgefunden, da die Aktienkurse aller betrachteten Unternehmen im Durchschnitt sinken.

Die Differenz in den Mittelwerten der Aktienrendite zwischen betroffenen und nicht betroffenen Unternehmen beträgt 2,22 % - 1,51 % = 0,71 %. Der Rückgang der Aktienrendite fällt also stärker aus für Unternehmen, die von der CSR-Richtlinie betroffen waren als für vergleichbare nicht betroffene Unternehmen. Dies könnte bedeuten, dass die Gewinnerwartungen für betroffene Unternehmen aufgrund der CSR-Richtlinie sinken, z. B. aufgrund von höheren Kosten, die für das Reporting anfallen.

Um zu testen, ob der Unterschied in der durchschnittlichen Rendite statistisch signifikant ist, wird der T-Test verwendet. Der T-Test hat die Nullhypothese, dass die Differenz zwischen den beiden Mittelwerten (μ) gleich null ist bzw. sie sich entsprechen, also H0 : μ1 = μ2 . 15 Die Gegenhypothese ist üblicherweise H1 : μ1 ≠ μ2 .

Der Grundgedanke des Tests ist sehr einfach: Entsprechen sich die Mittelwerte nicht, wird die Nullhypothese verworfen. Allerdings könnten Abweichungen in den Mittelwerten rein zufälliger Natur sein; H0 würde verworfen, obwohl sie nicht falsch ist. Erst wenn die Differenz in den Mittelwerten einen bestimmten Wert überschreitet, wird davon gesprochen, dass sie statistisch signifikant ist; dann würde H0 zugunsten von H1 verworfen.

Um zu entscheiden, ob die Abweichung groß genug bzw. statistisch signifikant ist, wird die Verteilung der Variablen herangezogen. Dazu wird die Prüfgröße berechnet als

t =

| μ1- μ2 |
--------------
sp

wobei sp ein Schätzer für den Standardfehler der Differenz zwischen den Mittelwerten der beiden Unternehmensgruppen darstellt. Die Nullhypothese ist zu verwerfen, sofern der Prüfwert den sogenannten kritischen Wert überschreitet, sozusagen das tolerierte Fehlerrisiko bzw. die Irrtumswahrscheinlichkeit. In den meisten empirischen Anwendungen in der BWL und VWL beträgt das tolerierte Fehlerniveau α = 5 %. Dieses Signifikanzniveau stellt die maximale Wahrscheinlichkeit dar, dass eine Nullhypothese fälschlicherweise abgelehnt wird (sogenannter Fehler 1. Art). So bedeutet ein Signifikanzniveau von α = 0,05, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass H0 fälschlicherweise
abgelehnt wird, nicht mehr als 5 % beträgt.

c) Die Regressionsgleichung (1) aus der Aufgabenstellung zeigt den erwarteten Zusammenhang zwischen der Aktienrendite eines von der Richtlinie betroffenen Unternehmens (Returni) und den Regressoren. Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Unternehmensperformance im Bereich Umwelt (EnvScorei) und dem Umfang der freiwilligen CSR-Berichterstattung (ESG_Discli). Dabei werden weitere Einflussgrößen als Kontrollvariablen aufgenommen (z. B. Unternehmensgröße, Kapitalisierung), um mögliche Störfaktoren zu berücksichtigen. εi stellt den normalverteilten Fehlerterm dar.

Es handelt sich um ein lineares Regressionsmodell, da die enthaltenen Regressoren additiv verknüpft sind. Es wird als multivariat bezeichnet, da mehrere Variablen in die Regression aufgenommen werden. Ziel des Regressionsmodells ist es, die quadrierte Summe der Residuen, d. h. die Differenz zwischen dem tatsächlich beobachteten und dem geschätzten Wert, zu minimieren. 16

Die in der Aufgabenstellung dargestellte Ergebnistabelle suggeriert, dass sowohl die Unternehmensperformance im Umweltbereich als auch die freiwillige CSR-Berichterstattung positiv mit der Aktienrendite korrelieren. Konkret führt jeder zusätzliche Punkt des MSCI-Scores zu einer Steigerung der Aktienrendite um 0,0033 Prozentpunkte. Jeder zusätzliche Punkt im Disclosure Score erhöht die Aktienrendite um 0,0004 Prozentpunkte. Die Konstante gibt die mittlere Rendite an, wenn alle Regressoren den Wert null annehmen würden. In diesem Fall ist sie also aussagelos.

Sowohl die Umweltperformance als auch freiwillige CSR-Berichterstattung haben also gemäß der dargestellten Studie einen positiven Effekt auf die Aktienrendite (bzw. einen abschwächenden Effekt, weil der mittlere Effekt negativ ist). Da der Aktienmarkt vor allem Erwartungen widerspiegelt, kann davon ausgegangen werden, dass Investoren (privat und institutionell) erwarten, dass jene Unternehmen, die die CSR-Regeln besser umsetzen können, künftig höhere Ergebnisse erwirtschaften oder einem geringeren Risiko ausgesetzt sind.

d) Das Bestimmtheitsmaß R2 beschreibt, welcher Anteil der Variation in der abhängigen Variable von den im Modell berücksichtigten Regressoren erklärt wird. Es setzt also die von dem Modell erklärte Varianz ins Verhältnis zur Gesamtvarianz der abhängigen Variablen. R2 ist standardisiert und reicht von null bis 100 %. Je größer der Wert ist, desto besser erklärt das Modell die beobachteten Daten. Da das Bestimmtheitsmaß üblicherweise mit der Anzahl der in das Modell aufgenommenen Variablen steigt, wird häufiger das korrigierte R2 verwendet, welches diesem Umstand Rechnung trägt.

In dem vorliegenden Anwendungsfall beträgt das R2 6,7 %, es werden also knapp 7 % der totalen Variation in der Aktienrendite durch die im Regressionsmodell enthaltenen Faktoren erklärt. Der Wert scheint niedrig, in den Sozialwissenschaften sind kleine Werte des Bestimmtheitsmaßes jedoch keine Seltenheit (vor allem bei der Verwendung von Querschnittsdaten). Ein niedriges R2 sagt somit wenig über die Qualität einer Regression aus, sondern zeigt an, dass es schwierig ist, individuelles Verhalten vorherzusagen. Stattdessen ist es dennoch möglich, dass das Modell eine gute – d. h. effiziente und konsistente – Schätzung der Effekte erlaubt.17

e) Als Kontrollvariablen werden Größen bezeichnet, die für die eigentliche empirische Forschungsfrage unerheblich sind, aber dennoch mit der abhängigen Variable korrelieren können. In dem vorliegenden Fall ist der Zusammenhang von Umweltperformance sowie freiwilliger CSR-Berichterstattung und Aktienrendite von Interesse. Allerdings gibt es noch weitere Größen, welche die Aktienrendite beeinflussen können (siehe Aufgabenteil b)).

Wie in Aufgabenteil b) erwähnt, spielen auch gesamtwirtschaftliche Entwicklungen eine Rolle für die Aktienrendite von Unternehmen. Da es sich um eine Studie handelt, die Querschnittsdaten aus der gesamten EU verwendet, könnte eine wichtige Kontrollvariable das Land des Unternehmenssitzes sein. Durch die Berücksichtigung dieser Variablen kann explizit für die wirtschaftlichen Bedingungen in den Mitgliedsstaaten der EU kontrolliert werden, z. B. Inflationsrate und Arbeitslosenquote.

Durch die Hinzunahme der Kontrollvariablen kann der Zusammenhang zwischen Aktienrendite und z. B. Umweltperformance sauberer geschätzt werden, d. h. nach „Herausrechnen“ dieser Effekte. Die Interpretation ist folglich: Jeder zusätzliche Punkt der Umweltperformance erhöht die Aktienrendite um 0,0033 Prozentpunkte, wenn alle anderen Kontrollvariablen konstant gehalten werden (ceteris paribus). Durch das Weglassen von wichtigen Kontrollvariablen würden die geschätzten Ergebnisse verzerrt.

f) Unter dem Begriff „Regulierung“ werden vor allem im öffentlichen Interesse durchgeführte staatliche Eingriffe zusammengefasst, die sowohl Marktversagen korrigieren als auch zivilisatorische Risiken mindern (sollen).18 Allerdings gibt es kein einheitliches Verständnis der „Regulierung“. Verwendet wird der Begriff in der Regel, um die staatliche Einflussnahme auf gesellschaftliche bzw. vor allem wirtschaftliche Vorgänge durch z. B. Gesetze oder Verordnungen zu beschreiben.19

Eine Regulierung der Unternehmenspublizität wird als Mittel der Kontrolle von Macht und Einfluss angesehen. So wird ein Unternehmen negative Publicity scheuen und daher Anlässe vermeiden, die zu negativer Publicity führen könnten. Entsprechend fördern Publizitätsvorgaben indirekt die Selbstkontrolle eines Unternehmens.20

Vor diesem Hintergrund könnten die Ergebnisse der Studie von Grewal et al. derart interpretiert werden, dass der Markt eine gewisse Skepsis gegenüber den unternehmerischen Aktivitäten im Hinblick auf Nachhaltigkeitsfaktoren hat, die als Folge der CSR-Richtlinie 2014 zu veröffentlichen sind, und entsprechend eher negative Publicity erwartet.

Kritisch zu hinterfragen ist allerdings, wie aussagekräftig die Aktienkursreaktion in einem Fünf-Tages-Fenster vor und nach der Bekanntgabe der erstmaligen Verabschiedung der CSR-Richtlinie in der Öffentlichkeit ist, um die Folgen der CSR-Berichterstattung tatsächlich einzuschätzen. So wird in der vorliegenden Studie – wie in Teilaufgabe d) dargestellt – auch nur knapp 7 % der totalen Variation in der Aktienrendite durch die im Regressionsmodell enthaltenen Faktoren erklärt. Ein entsprechend geringes R2 ist allerdings in den Sozialwissenschaften keine Seltenheit und erlaubt damit nicht einen direkten Rückschluss auf die Qualität der Daten.

g) Ein markantes Ergebnis aktueller empirischer Studien zum Verhalten von Unternehmen nach der Verabschiedung der CSR-Richtlinie 2014 ist, dass Unternehmen, die 2014 nicht bereits freiwillig einen CSR-Bericht aufstellten, insbesondere in den Jahren 2014 und 2015 den Umfang ihrer CSR-Investitionen erhöht haben. Zwar können natürlich die Gründe für die erhöhten Investitionen im Einzelfall vielschichtig sein. Indes ist naheliegend, dass sich die Unternehmen zunächst auf die künftig erhöhten Publizitätserfordernisse vorbereiten, es sich entsprechend um einen Effekt als Folge der Regulierung handelt. Die Unternehmen investieren, um – wie in Teilaufgabe f) beschrieben – negativer Publicity vorzubeugen. Zudem ist beispielsweise möglich, dass die Unternehmen erst aufgrund der künftigen Transparenzanforderungen die Bedeutung nachhaltiger Unternehmensführung erkannt haben. Darüber hinaus ist als Folge der Regulierung der Druck der Stakeholder gewachsen.


1 Vgl. Homburg, Betriebswirtschaftslehre als empirische Wissenschaft – Bestandsaufnahme und Empfehlungen, zfbf Sonderheft 56/2007 S. 27 ff.
2 Vgl. Fülbier/Weller, JGPS 2008 S. 351 ff.
3 CSR-R 2014/95/EU, ABl EU 2014 Nr. L 330/1 ff.
4 Der Anwendungsbericht umfasst kapitalmarktorientierte Unternehmen, Finanzdienstleister und Versicherungen mit mindestens 500 Arbeitnehmern im Jahresdurchschnitt und einer Bilanzsumme von über 20 Mio. € oder einem Umsatz von über 40 Mio. €.
5 Vgl. DRSC, Kernbotschaften des DRSC-Verwaltungsrates zur Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), https://go.nwb.de/j2gjo (letzter Abruf am 3.5.2024).
6 Aus: 2. Aufsichtsarbeit in dem Modul „Angewandte Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre“, 2. Halbjahr 2020, 25.6.2020, Aufgabe 3.
7 Vgl. Sopp/Baumüller/Scheid, Nachhaltigkeitsberichterstattung, 3. Aufl. 2023, S. 6 f.
8 Vgl. Sopp/Baumüller/Scheid, Nachhaltigkeitsberichterstattung, 3. Aufl. 2023, S. 1 f.
9 Vgl. zu den Adressaten der CSR-Berichterstattung z. B. Mock, ZIP 2017 S. 1196.
10 Mock, ZIP 2017 S. 1196.
11 Vgl. Mock, ZIP 2017 S. 1196
12 Vgl. Grewal/Riedl/Serafein, Market Reaction to Mandatory Nonfinancial Disclosure, Working Paper 16-025 der Harvard Business School, 2015, S. 3.
13 Vgl. Sopp/Baumüller/Scheid, Nachhaltigkeitsberichterstattung, 3. Aufl. 2023, S. 7.
14 Vgl. Kopp, ESGZ 2023 S. 31 ff.
15 Vgl. Schira, Statistische Methoden der VWL und BWL, 6. Aufl. 2021, S. 474 ff.
16 Vgl. Schira, Statistische Methoden der VWL und BWL, 6. Aufl. 2021, S. 535 ff.
17 Vgl. Wooldridge, Introductory Econometrics: A Modern Approach, 5. Aufl. 2012, S. 80 f.
18 Vgl. Döher/Wegrich, dms 2010 S. 31.
19 Vgl. Dahlke/Neumann, CR 2006 S. 377.
20 Vgl. Zetzsche in Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht, 3./4. Auflage 2022/2024, vor § 325 Rz. 1.


Die Autoren

Prof. Dr. Henner Klönne und Prof. Dr. Stephan Sommer

 

Buch WP Examen von NWB

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