Baubranche: Expertentipps zum Umgang mit den drastisch gestiegenen Materialpreisen

Die Lockdowns während der Corona-Pandemie haben die Lieferketten empfindlich gestört und u. a. zu deutlichen Materialpreissteigerungen geführt. Die Auswirkungen für die am Bau beteiligten Unternehmen sind gravierend, vor allem, weil neue Risiken entstehen. Wie sollen Auftraggeber und Auftragnehmer rational mit diesen Unwägbarkeiten umgehen? Die Bauexperten Werner Broeckmann und Dieter Rettner aus der Fachgruppe Bauwirtschaft des Bundesverbands „Die KMU-Berater“ geben darauf Antworten.

Aktuell: Die neuesten Entwicklungen und Konsequenzen

Die hohe Dynamik im Markt hat sich in den vergangenen Wochen noch einmal beschleunigt. Durch Engpässe bei den Materiallieferungen und weitere Preissteigerungen über die ganze Produktpalette hinweg sind viele Projekte nicht mehr kalkulierbar.

Wenn man fast nur noch tagesaktuelle Preise mit einer Bindefrist von 1 Tag (!) erhält, kann man schwerlich ein Projekt kalkulieren! Die Versorgungssituation durch gestörte Lieferketten könnte sich aufgrund des Lockdowns in Shanghai weiter verschärfen.

Zu dem Preis-, Material- und Energierisiko kommt nun ein Nachfragerisiko hinzu, denn wie der Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie am 11.4.2022 sagte, stellen rund 40 % der Auftraggeber Projekte zurück und 30 % würden sogar Aufträge stornieren. Wir rechnen daher mit einem drastischen Rückgang der Nachfrage.

Bisher hat die Baubranche händeringend um Arbeitskräfte geworben. Jetzt müssen sich die Firmen Gedanken machen, wie sie die Leute halten können. Aktuell muss man sich darauf einstellen, dass die Unternehmen bald Kurzarbeit anmelden. Eine österreichische Branchenvertreterin brachte es neulich auf den Punkt und sagte: „Das ist hungern bei voller Schüssel“.

Praxishinweis: Wir empfehlen daher, Termine für Bauleistungen nur noch bedingt zuzusagen. Auch bei den Preisen sollten die Auftragnehmer nur noch eine Bindung eingehen, wenn dies von Seiten der Vorlieferanten abgesichert ist.

Beispiele „längerfristiger Fertigungsaufträge"

Wir wollen anhand einzelner Beispiele die Probleme in der Praxis verdeutlichen. Alle Beispiele sind abgewandelte, echte Fälle:

Beispiel Einfamilienhaus: Eine junge Familie will sich den Wunsch vom eigenen Einfamilienhaus in einer ländlichen Region verwirklichen. Das Eigenkapital von 80 T€ steckt im bezahlten Grundstück. Daneben sind kleinere Eigenleistungen im Außenbereich und bei den Malerarbeiten geplant.

Als Baukosten hatte man 300 T€ angesetzt. Dieser Betrag beinhaltet eine kleine Reserve von 20 T€. Diese wurde dann aber schon bei den Rohbauarbeiten verbraucht. Bei den weiteren Vergaben wurde dann klar, dass die Annahmen zu optimistisch waren. Man ging daher noch einmal zur Bank und finanzierte 50 T€ nach. Auch dies erwies sich als unzureichend. Eine weitere Nachfinanzierung wollte die Bank nicht genehmigen.

Beispiel Wohnhaus: Eine Gruppe privater Investoren plante den Bau eines Wohnhauses mit 23 Wohneinheiten. Das Gesamtvorhaben rechnete sich unter Einbeziehung von Zuschüssen im Jahr 2020 gut. Es wurde ein lokaler Generalunternehmer beauftragt, der den Auftrag für 3,2 Mio. € angenommen hat.

Bereits während der Erdarbeiten, als der Generalunternehmer die weiteren Gewerke beauftragen wollte, stellte er fest, dass nicht nur sein Deckungsbeitrag verschwindet, sondern er voraussichtlich deutliche Verluste hinnehmen muss, die seine Existenz gefährden.

Er wendet sich daher an seinen Auftraggeber. Dieser steht vor dem Dilemma, dass er zwar eine Vertragserfüllungsbürgschaft hat, aber im Falle einer Insolvenz seines Generalunternehmers viel Ärger, Bauzeitenverzögerungen und zusätzliche Kosten in unkalkulierbarer Höhe entstehen werden.

Man einigt sich auf eine Beteiligung an den Kostensteigerungen, die das Überleben des Generalunternehmers sichern sollen und die Kosten für den Auftraggeber in „überschaubarer“ Größe halten.

Problemstellungen

Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer in Schwierigkeiten kommen können, wenn vertragliche Bindungen eingegangen werden, bei denen für mindestens eine der Seiten das Risiko nicht mehr überschaubar ist. Dieses Risiko kann aber auch Auftragnehmer treffen. Im Extremfall kann einer der Partner in seiner Existenz bedroht sein. Spätestens der wirtschaftliche Ausfall einer Seite führt auch für die Gegenseite oftmals zu deutlichen Kostensteigerungen.

  • So führt der Ausfall des Auftraggebers d. R. zu offenen Forderungen, die nicht mehr beglichen werden, oder aber es entsteht eine mangelhafte Auslastung.
  • Kann der Auftragnehmer seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen, so muss meistens ein Drittunternehmen zu einem oftmals höheren Preis beauftragt werden. Gleichzeitig können Probleme mit der Gewährleistung entstehen.

Gerade größere Bauunternehmen und Handwerksbetriebe benötigen aber auch die größeren Aufträge, die die Auslastung für die Mitarbeiter gewährleisten. Trotz eines „boomenden Marktes“ wachsen hier die Margen nicht so stark an, dass „beliebig“ hohe Preise genommen werden können. Aus unserer Sicht ist die Wettbewerbsintensität immer noch hoch.

Grundlegende strategische Ansätze für Auftraggeber und Auftragnehmer

Der Baumarkt ist insgesamt sehr stark fragmentiert. Viele Nachfrager von Bauleistungen treten nur einmalig am Markt auf. Typisch ist hier z. B. der „Häuslebauer“. Diese lassen sich dann aber häufig von Erfüllungsgehilfen vertreten, die die Ausschreibungen und die Bauleitung übernehmen. Aus Sicht der Auftragnehmer sind diese dann die Partner der Bauunternehmen.

Um die Risiken überschaubar zu halten ist daher für beide Seiten die „Zuverlässigkeit“ von entscheidender Bedeutung. Wir würden dabei als zentrale Begriffe, die diese Zuverlässigkeit beschreiben, folgende Kriterien benennen:

  • Transparenz in der Umsetzung,
  • partnerschaftliches Verhalten und
  • ausreichende Bonität.

Der Katalog lässt sich sicherlich erweitern und die einzelnen Begriffe müssen individuell interpretiert werden.

  • So würden wir die „Transparenz der Umsetzung“ so interpretieren, dass die Auftraggeber ihrer Planungspflicht pünktlich nachkommen und dass bei auftretenden Problemen schnelle sachgerechte Lösungen erfolgen, die nicht versuchen, das Problem auf den Auftragnehmer zu verlagern. Umgekehrt muss auch der Auftragnehmer seinen vertraglichen Verpflichtungen vollständig nachkommen. Dazu gehört beispielsweise, dass er Engpässe in der eigenen Leistungserbringung frühzeitig transparent macht.
  • Ähnlich umfassend sollen die anderen Begriffe interpretiert werden. So muss eine Bonität nicht nur vorhanden sein, sondern die erbrachten Leistungen sollen auch zeitnah gezahlt werden.

Wir empfehlen, dass diese Kriterien bei der Annahme von Aufträgen zukünftig wieder ein stärkeres Gewicht erlangen.

Eine tatsächliche Beurteilung der jeweiligen Partner ist – abgesehen von formalen Prüfungen – aber nur möglich, wenn hier Erfahrungswerte vorliegen, die sich aus der praktischen Zusammenarbeit entwickelt haben. Wir halten daher den verstärkten Aufbau solcher Partnerschaften für ein entscheidendes Kriterium, da nur durch eine langfristige Zusammenarbeit die o. g. Kriterien praktisch erprobt werden können.

Denn diese langfristigen Partnerschaften stellen für beide Seiten einen nicht zu unterschätzenden Wert dar:

  • Ein Auftragnehmer, der regelmäßig für „seine“ Auftraggeber arbeitet, wird ein Interesse daran haben, dass er auch weiterhin Aufträge bekommt.
  • Umgekehrt kann sich auch der Auftraggeber darauf verlassen, dass der Auftragnehmer seine Besonderheiten kennt und diese bereits im Angebot mitberücksichtigt, währenddessen ein Dritter – als potenzieller Auftragnehmer – daraus oftmals Mehrkosten ableiten wird.

Den ausführlichen Beitrag inkl. umfangreicher Betrachtung der Auftraggeber- und Auftragnehmersicht mit zahlreichen weiteren Praxistipps finden Sie im Themenpaket „NWB Betriebswirtschaftliche Beratung“ (NWB-BB) in Ausgabe NWB-BB 5/2022 S. 131 und in der NWB Datenbank unter NWB PAAAI-59978.

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