Rückstellungsreport 2020 – Darstellung ausgewählter Rückstellungssachverhalte

Das Jahr 2020 stand ganz im Zeichen der Corona-Pandemie, die alle Lebensbereiche (Politik, Wirtschaft und Gesellschaft) erfasst hat. Auch in den (Konzern-)Abschlüssen und (Konzern-)Lageberichten hat sie ihre Spuren hinterlassen, insbesondere durch die Erfassung von Wertminderungen von Vermögensgegenständen oder durch die Bildung von Rückstellungen.

Jenseits der Pandemie verdienen insbesondere die Rechtsprechung des XI. Senats des BFH zum Rückstellungsverbot bei einem eigenbetrieblichen Interesse des Stpfl. an der Erfüllung einer Drittverpflichtung sowie die Entwicklungen zu Altersversorgungs-verpflichtungen besondere Beachtung. Unsere Autoren, Prof. Dr. Peter Oser und Dr. Holger Wirtz, stellen ausgewählte Rückstellungssachverhalte des Jahres 2020 vor und geben Handlungsempfehlungen für Aufsteller, Prüfer und Berater.

Corona-Krise: Mögliche Rückstellungen infolge der Pandemie

Drohverlustrückstellungen

Schwebende Geschäfte i. S. des § 249 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. HGB sind verpflichtende Verträge, die auf einen Leistungsaustausch gerichtet sind und aus Sicht jedes Vertragspartners einen Anspruch und eine Verpflichtung begründen (gegenseitige Verträge, §§ 320 ff. BGB). Dabei kann es sich um einmalige Lieferungen oder Leistungen oder – als Dauerschuldverhältnis – um ein dauerndes Verhalten (z. B. Miete, Pacht) oder um wiederkehrende Einzellieferungen oder -leistungen (z. B. Energielieferungen) handeln. Schwebende Geschäfte können Beschaffungs- oder Absatzgeschäfte sein.

Für schwebende Geschäfte gilt grds. eine Ausgewogenheitsvermutung. Droht aus einem schwebenden Geschäft indes ein Verlust, weil der Wert der Leistungsverpflichtung des Bilanzierenden den Wert seines Gegenleistungsanspruchs übersteigt, ist für diesen Verpflichtungsüberschuss in der Handelsbilanz eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (im Folgenden: Drohverlustrückstellung) zu bilden (§ 249 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. HGB). Für die Steuerbilanz hat der Gesetzgeber dagegen (seit dem Veranlagungszeitraum 1997) ein Ansatzverbot für Drohverlustrückstellungen angeordnet (§ 5 Abs. 4a EStG) – vor diesem Hintergrund ist die Abgrenzung von Verbindlichkeits- und Drohverlustrückstellungen von zentraler Bedeutung.

Im Zuge der Corona-Pandemie werden insbesondere mögliche Drohverlustrückstellungen aus Miet- und aus Beschäftigungsverhältnissen diskutiert.

Mietverhältnisse

Mietverhältnisse sind schwebende (Dauer-)Beschaffungsgeschäfte über nicht bilanzierungsfähige Leistungen. Bei Beschaffungsgeschäften über nicht bilanzierungsfähige Leistungen ist der Anspruch auf die Gegenleistung absatzmarktorientiert zu bewerten (= Beitrag der beschafften Leistung zum Unternehmenserfolg). Kann dieser – so der Regelfall – nicht hinreichend objektiv ermittelt werden (z. B. wegen fehlender Ertragszurechenbarkeit), ist die Bildung einer Drohverlustrückstellung nur bei vollends fehlender oder nicht nennenswerter Nutzungs- oder Verwertungsmöglichkeit der beschafften Leistung (Fehlmaßnahme) geboten. Für diese Beurteilung ist – aus Sicht des Bilanzstichtags – der gesamte künftige Leistungsaustausch aus dem schwebenden Geschäft maßgeblich (Restlaufzeitbetrachtung).

Kommt es infolge eines Lockdowns zur Schließung von Geschäften, steht den zu leistenden Mietzahlungen kein (gegenwärtiger) wirtschaftlicher Nutzen aus der Nutzungsüberlassung gegenüber. Für zukünftige Mietzahlungen, die auf Zeiträume der Nicht-Nutzung entfallen, sind deshalb Drohverlustrückstellungen zu bilden, es sei denn, dass der Zeitraum der Nicht-Nutzung im Verhältnis zur zukünftigen Nutzung nicht wesentlich ist (= temporäre Unausgewogenheit, die durch künftige Vorteile kompensiert wird). Mietzugeständnisse von Vermietern (z. B. Mietkürzungen) reduzieren die Höhe der Drohverlustrückstellung. Dies gilt nicht, falls die Mietzahlungen lediglich gestundet werden.

Wird ein Geschäft dagegen nicht geschlossen, scheidet – bei der gebotenen absatzmarktorientierten Bewertung – die Bildung einer Drohverlustrückstellung grds. aus, da ein Verlust nicht zwingend durch den Mietvertrag verursacht sein muss. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann sich in Fällen ergeben, in denen der Mietvertrag eine Betriebspflicht anordnet (z. B. bei sog. Shop in Shop-Geschäften). Infolge der Betriebspflicht bilden Beschaffungs- und Absatzmarkt eine Einheit, so dass sämtliche aus dem Betrieb des Geschäfts resultierenden Erträge und Aufwendungen einander gegenüber zu stellen sind. Ein sich dabei ergebender Aufwandsüberschuss ist durch die Bildung einer Drohverlustrückstellung zu erfassen.

Arbeitsverhältnisse/Aufstockungsbeträge zum Kurzarbeitergeld

Auch Arbeitsverhältnisse sind schwebende (Dauer-)Beschaffungsgeschäfte über nicht bilanzierungsfähige Leistungen. Infolge der Corona-Pandemie nutzen zahlreiche Arbeitgeber das Instrument der Kurzarbeit, das sich bereits im Zuge der Finanzmarktkrise bewährt hat. Nach § 95 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Kurzarbeitergeld (KUG), wenn

  • ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt,
  • die betrieblichen und persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und
  • der Arbeitsausfall der Bundesagentur für Arbeit angezeigt worden ist.

Anspruchsberechtigter für das KUG ist gem. § 95 SGB III der jeweils betroffene Arbeitnehmer. Für den Arbeitgeber, der hinsichtlich des KUG lediglich als Auszahlungsstelle dient, stellen die Zahlungen an die Arbeitnehmer bzw. die Erstattungen der Bundesagentur für Arbeit durchlaufende Posten dar, die in dessen GuV weder als Aufwand noch als Ertrag ausgewiesen werden dürfen.

Zum Ausgleich des Netto-Verdienstausfalls leisten einzelne Arbeitgeber – teils freiwillig, teils aufgrund entsprechender Regelungen nach Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung – ihren Arbeitnehmern Aufstockungsbeträge zum KUG. Diese Zahlungen zielen auf die Fortführung des Beschäftigungsverhältnisses, damit die Unternehmen ihre vorhandene Kapazität aufrechterhalten und nach Beendigung der Krise ihre Produktions- und Leistungsfähigkeit alsbald wieder hochfahren können. Die Aufstockungsbeträge sind Teil der Entgeltpflichten im Rahmen des arbeitsrechtlichen Synallagmas und sind daher als laufender Personalaufwand auszuweisen.

Bei der gebotenen absatzmarktorientierten Bewertung des Arbeitsverhältnisses und bei Berücksichtigung sämtlicher Leistungen und Gegenleistungen in der erwarteten (Rest-)Laufzeit der Arbeitsverträge fehlt es an einem Verpflichtungsüberschuss, so dass für die Aufstockungsbeträge eine Drohverlustrückstellung nach § 249 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. HGB grds. ausscheidet.

Restrukturierungsrückstellungen

Nimmt ein Unternehmen im Rahmen von betrieblichen Umstrukturierungen Personalmaßnahmen vor, müssen wirtschaftliche Nachteile der betroffenen Belegschaft ggf. durch einen Sozialplan (§ 112 BetrVerfG) oder vergleichbare Maßnahmen ausgeglichen bzw. gemildert werden. Für Verpflichtungen aus einem Sozialplan ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu passivieren (§ 249 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 HGB). Entscheidendes Passivierungskriterium ist hierbei das Vorliegen einer hinreichend konkretisierten Außenverpflichtung.

Sofern neben der Beschlussfassung durch die zuständigen Organe auch eine Information der Belegschaft/des Betriebsrats über die Restrukturierung vor dem Bilanzstichtag erfolgt ist, liegt eine hinreichend konkretisierte Außenverpflichtung vor. Die Information des Betriebsrats ist indes keine zwingende Voraussetzung für die Rückstellungsbildung (so auch R 5.7 Abs. 9 EStR). Steht die Benachrichtigung der Belegschaft/des Betriebsrats nachweisbar kurz bevor oder bestehen an der Ernsthaftigkeit des Beschlusses über die Restrukturierungsmaßnahmen aus anderen Gründen (z. B. Information von Investoren oder der Öffentlichkeit) keine wesentlichen Zweifel, ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden.

Rückstellungen im Zusammenhang mit Sanierungsmaßnahmen

Rückstellungen können sich auch aus verbindlich zugesagten Sanierungsmaßnahmen ergeben. In der Praxis anzutreffende Sanierungsmaßnahmen sind insbesondere harte Patronatserklärungen, Forderungserlasse (häufig mit Besserungsschein) und Werthaltigkeitsgarantien.

Die sog. harte Patronatserklärung begründet eine rechtsverbindliche Einstandspflicht des Patrons, sei es gegenüber des begünstigen Tochterunternehmens (= konzerninterne Patronatserklärung) oder sei es gegenüber dem Gläubiger des Tochterunternehmens (= konzernexterne Patronatserklärung). Eine Patronatserklärung ist – wie eine Bürgschaft – ein einseitig verpflichtendes Rechtsgeschäft, so dass bei einer drohenden Inanspruchnahme des Patrons – mangels eines schwebenden (synallagmatischen) Geschäfts – keine Drohverlustrückstellung, sondern eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden ist. Eine Inanspruchnahme des Patrons droht z. B. bei bestehender Zahlungsunfähigkeit des Schuldners infolge unzureichender Liquidität. Zuvor besteht für die Einstandspflicht lediglich eine Vermerk- und Berichterstattungspflicht im Anhang oder unter der Bilanz.

Hat ein Gläubiger mit dem Schuldner einen Forderungserlass mit Besserungsschein vereinbart, ist die Verbindlichkeit beim Schuldner auflösend bedingt (§ 158 Abs. 2 BGB) erfolgswirksam auszubuchen; ist der Gläubiger ein Gesellschafter des Schuldners, ist – entsprechend dem Willen des Gesellschafter-Gläubigers – auch eine unmittelbare Leistung ins Eigenkapital des Schuldners zulässig (§ 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB). Bei einer Besserung der Vermögensverhältnisse ist die Verpflichtung aus dem Besserungsschein – bereits bei Aufstellung der Bilanz – wieder erfolgswirksam einzubuchen. Sofern der Schuldner – ungeachtet des Forderungserlasses – weiterhin die laufenden Zinsen schuldet, muss für die künftigen Zinszahlungsverpflichtungen eine Verbindlichkeit (nicht: Rückstellung!) gebildet werden, es sei denn, dass – nach Maßgabe der Besserungsklausel – auch die laufenden Zinsen nur aus einer künftigen Vermögensmehrung des Schuldners zu tragen sind. Solchenfalls ist das Stichtagsvermögen nicht mit den laufenden Zinsen belastet, so dass eine Rückstellung oder Verbindlichkeit ausscheidet.

Zur Vermeidung einer Abwertung von Vermögensgegenständen werden teilweise Werthaltigkeitsgarantien ausgesprochen. Solche Werthaltigkeitsgarantien können entweder in der Form eines Andienungsrechts (Put-Option) oder eines Ausgleichsanspruchs ausgestaltet werden. Die Einräumung einer Option ist eine wirtschaftlich und rechtlich selbständige Leistung, die unabhängig von dem nachfolgenden Erfüllungsgeschäft zu beurteilen ist. Da es sich beim Optionsrecht um ein schwebendes Geschäft handelt, muss der Garant am Bilanzstichtag prüfen, ob dem Unternehmen auf Basis der Vereinbarung aus dem schwebenden Geschäft zukünftig ein Verlust droht. Ein solcher liegt insbesondere vor, wenn die zugesagte Garantie über dem Marktwert des Vermögensgegenstands liegt.

Zu weiteren Rückstellungssachverhalten des Jahres nimmt der Beitrag aus dem Paket NWB Unternehmensteuern und Bilanzen – StuB ausführlich Stellung. Den vollständigen Aufsatz von Prof. Dr. Peter Oser und Dr. Holger Wirtz finden Sie als Abonnent in der NWB Datenbank unter NWB DAAAH-67093.

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