Das erste Jahr mit der #25StundenWoche

„Wie kommt man eigentlich auf die gewagte Idee, einen 5-Stunden-Tag in einer Steuerkanzlei zu implementieren?“, werde ich von vielen Menschen gefragt.

 

Inspiriert wurde ich von Lasse Rheingans, der mit seinem Unternehmen solch ein Projekt im Jahr 2017 gestartet und für großes Aufsehen gesorgt hat. Sein 2019 erschienenes Buch „Die 5-Stunden-Revolution“ habe ich geradezu in mich aufgesogen und es hat letztendlich dafür gesorgt, dass ich dieses Projekt in meiner Steuerkanzlei ebenfalls umgesetzt habe.

 

Im Folgenden werde ich darüber berichten, wie ich die #25StundenWoche in meiner Kanzlei implementiert habe, trotz aller Hürden, die wir im letzten Jahr überwinden mussten. Begeben Sie sich mit mir auf eine spannende Reise, die es so in der Steuerberatung noch nicht gegeben hat!

 

Was ich aus dieser Reise bisher mitnehmen konnte, ist folgendes Statement: Machen ist wie wollen, nur krasser!

Der Impuls

Den Anfang machte meine Mitarbeiterin Mareike: Sie kam Ende 2018 auf mich zu und bat darum, ihre Arbeitszeit von 37 auf 29 Stunden pro Woche reduzieren zu dürfen, da ihr Sohn in die Schule käme.

Für mich stellte dies kein Problem dar. Also vereinbarten wir, das Gehalt entsprechend zu reduzieren, was zu diesem Zeitpunkt auch völlig legitim war. Zudem bestand ich darauf, die Mandatsliste zur Bearbeitung erst einmal in dem bisherigen Umfang zu belassen, um im Laufe des Jahres zu schauen, ob alles passt und das Arbeitspensum auch geschafft wird.

Mareike meldete sich in den folgenden Monaten bezüglich ihrer Arbeitsbelastung nicht zu Wort, so dass ich sie im Juli in einer Bilanzbesprechung ansprach und fragte, ob sie das Arbeitspensum denn bewältigen könne. Mareike bestätigte dies und erklärte zudem, dass sie sogar noch Luft nach oben habe. Ihre Antwort erstaunte mich, obwohl ich in den vergangenen Monaten an unseren Checklisten bereits gesehen hatte, dass es wirklich keinerlei Versäumnisse ihrerseits gab.

Auf meine Frage, warum das so wäre, erhielt ich die Antwort: „Weil ich das schaffen will! Ich konzentriere mich stärker, rede weniger mit den Kollegen privat und arbeite entsprechend intensiver an meinen Aufgaben.“

Das gab für mich den ersten Impuls, über unser Arbeitspensum nachzudenken. Ich war schon länger der Meinung, dass man am Vormittag fokussierter arbeitet. Bei mir persönlich lässt die Arbeitsintensität bzw. die Konzentration am Nachmittag auch stark nach.

In einem Zeitungsartikel wurde ich dann auf die Veröffentlichung des bereits oben erwähnten Buchs „Die 5-Stunden-Revolution“ von Lasse Rheingans aufmerksam. Das Buch erschien am 21.8.2019 und berichtet von seinem Experiment, die #25StundenWoche in seiner digitalen Werbeagentur „Rheingans Digital Enabler“ umzusetzen. Im Herbst 2017 wurde das Projekt eingeführt, als erstes Mal in einem deutschen Unternehmen überhaupt. Der Weg wird in seinem Buch sehr interessant und spannend beschrieben. Ich habe das Buch an einem Samstagnachmittag verschlungen und sagte danach zu meiner Frau: „Das mache ich auch!“

Die Mitarbeiter

Ich konfrontierte meine Mitarbeiter mit dieser Idee und die erste Reaktion war natürlich bombastisch: Weniger Arbeit und dafür das gleiche Gehalt – das kam gut an!

So einfach war es dann aber doch nicht für mein Team. Zuerst einmal mussten dieselben Bücher zu dem Thema gelesen werden, die auch ich las. Kurzerhand lud ich meine Familie aus der Apple-Familienfreigabe aus und meine Mitarbeiter ein. Jeden Freitag hielten wir ein längeres Meeting ab, in dem wir über den gelesenen Inhalt diskutierten. Ich wollte meine Mitarbeiter auf demselben Fachkenntnisstand haben. Das hat sehr gut funktioniert.

In der folgenden Zeit entwickelten wir einen Kanzleileitfaden, in dem zusammengefasst wurde, wie wir die #25StundenWoche in unsere Kanzlei einbinden können. Wir haben vor allem Zeitfresser definiert. Zum einen existieren globale Zeitfresser, wie beispielsweise private Gespräche, Social Media, langsames Arbeiten, uneffektive Prozesse etc. Zum anderen mussten auch persönliche Zeitfresser ermittelt und vor den Kollegen präsentiert werden. Da kamen teilweise kuriose Dinge zum Vorschein: Ein Mitarbeiter verbrachte z. B. 45 Minuten seines 8-Stunden-Arbeitstags damit, „Bild online“ zu lesen. Die selbstkritische Auseinandersetzung mit den eigenen Arbeitsprozessen führte definitiv zu einer Verbesserung. Nach dieser intensiven Zeit der Vorbereitung und der ständigen Verbesserung des Kanzleileitfadens begannen wir Anfang November 2019 mit der Testphase. Wir arbeiteten vormittags von 8.00-13.00 Uhr fünf Stunden effektiv und sehr stringent an den täglichen Aufgaben. Am Nachmittag konzentrierten wir uns wieder auf die Prozesse, um am 6.1.2020 den Livebetrieb starten zu können.

Das gelang uns so gut, dass wir bis zum 20.12.2019, unserem letzten Arbeitstag vor Weihnachten, alle 2018er-Abschlüsse fertigstellen konnten. Danach ging es bis zum 6.1.2020 in den Weihnachts-/Neujahrsurlaub. Wir konnten also perfekt starten.

Der Startschuss

Die erste Woche war von der Sorge geprägt, alle Aufgaben in einem 5-Stunden-Tag schaffen zu können. Zumal in der ersten Woche wahnsinnig viele Steuerbescheide bearbeitet werden mussten. Der erste Tag ging um 13:15 Uhr zu Ende, an den folgenden Tagen war es ähnlich. In der zweiten Woche wurde das Arbeiten zusehends entspannter, man gewöhnte sich an die neue Arbeitsweise. Und in der dritten Woche merkten meine Mitarbeiter dann endgültig, dass die Arbeit zu bewältigen war.

Nachmittags wurde das Telefon auf eine Hotline-Nummer umgestellt, die jeder Mitarbeiter im Wechsel wöchentlich übernahm. Die Zahl der eingehenden Anrufe am Nachmittag war jedoch sehr gering. Unsere Mandanten traten dem neuen Prozess gespannt entgegen und es gab keine negativen Äußerungen, vor allem auch deshalb, weil die Arbeiten trotz Kürzung der Arbeitszeit pünktlich und zügig abgewickelt wurden.

Digitale Prozesse

Um solch einen harten Einschnitt in die Arbeitsgewohnheiten vorzunehmen, sind im Voraus schon gewisse Strukturen zu schaffen, d. h. es müssen ausreichend digitale Prozesse vorhanden sein.

Meine Steuerkanzlei hat zwar erst im Jahr 2017 mit der Umstellung auf digitale Prozesse begonnen, allerdings wurde dies in einer enormen Geschwindigkeit vorangetrieben. Im Jahr 2018 führten wir ein Datenmanagementsystem (DMS) ein und verbannten sodann sämtliche Papiere aus der Kanzlei. Dies führte zu einem hocheffizienten Arbeiten. Ende 2019 hatten wir bereits 80 % aller Mandanten auf eine digitale Buchhaltung umgestellt.

All diese Maßnahmen halfen dabei, einen 5-Stunden-Tag realisieren zu können. Meines Erachtens ist es nicht möglich, so ein Arbeitszeitverkürzungsmodell mit analogen Arbeitsprozessen umzusetzen.

Die Corona-Krise

Bis zur Corona-Krise lief der 5-Stunden-Tag wirklich hervorragend. Wir hatten uns bis zum 16.3.2020 mit dieser neuen und spannenden Arbeitsweise sehr gut eingefunden.

Am 18.3.2020 beschlossen wir dann gemeinschaftlich, komplett ins Homeoffice zu wechseln. Für uns stellte dies kein großes technisches Problem dar, da wir schon vorher die Voraussetzungen für einen HomeofficeArbeitsplatz geschaffen hatten. Letztendlich nahm sich jeder seinen Laptop, wechselte nur die Räumlichkeiten und die Arbeit lief grundsätzlich wie gewohnt weiter.

Im Homeoffice wurde unser Modell nun zum ersten Mal richtig auf die Probe gestellt, und das gerade einmal zweieinhalb Monate nach der Einführung. Die ersten Tage waren für alle neu, jeder musste sich in diese neue Situation einfinden. Es folgten tägliche Videokonferenzen und wir stellten fest, dass man Homeoffice auch erst einmal „lernen“ muss.

Es gab die Losung, dass bei Homeoffice die Betonung auf „Office“ liegt, und nicht auf „Home“, d. h. das Team sollte beispielsweise nicht in Schlabberklamotten vor dem Monitor sitzen. Das hat meines Erachtens einen Einfluss auf die Haltung, wie man mit dem Thema Homeoffice umgeht.

Wir mussten während dieser Zeit aber auch feststellen, dass die festen Arbeitszeiten von 8:00-13:00 Uhr so nicht einzuhalten waren. Die fünf Stunden Arbeitszeit an sich schon, aber wann diese ausgeführt wurden, verschob sich – besonders bei den Mitarbeitern mit schulpflichtigen Kindern.

Als Fazit der ersten fünf Monate im Homeoffice lässt sich festhalten, dass auch in diesem Umfeld eine #25StundenWoche funktioniert.

In der jetzigen Situation, d. h. mitten im zweiten harten Lockdown, hat sich die Art zu arbeiten nochmals gewandelt. Einige Mitarbeiter arbeiten im Homeoffice, andere kommen in die Kanzlei, und es wird auch viel „gemischt“. Die Arbeitszeit wird eingehalten, nur nicht mehr zwingend starr an einem Stück.

Die Krankheits-Krise

Nicht, dass wir im ersten Jahr genug mit der Corona-Krise zu tun gehabt hätten, nun fiel auch noch eine Mitarbeiterin krankheitsbedingt für fünf Monate aus.

Das war für mich und die Kollegen ein echter Schock, denn dadurch wurden die Rahmenbedingungen für das erste Jahr mit der #25StundenWoche schwieriger und, ganz ehrlich, das hatte ich mir so auch nicht vorgestellt.

Aber wir mussten die Situation irgendwie meistern und verteilten die laufenden Arbeiten entsprechend auf die verbliebenen Mitarbeiter. Das funktionierte in den fünf Monaten der Abwesenheit auch wirklich gut.

Im Herbst wurde allerdings deutlich, dass wir die Abschlüsse nicht mehr so zeitnah erstellen konnten wie im Vorjahr. Bevor ich mir jedoch darüber Gedanken machen konnte, musste ich mich selbst krankheitsbedingt aus der Kanzlei verabschieden. Meine Gallenblase bereitete Probleme und bei der folgenden OP gab es Komplikationen, so dass ich insgesamt fünf Wochen ausfiel.

Es blieb uns nichts anderes übrig, als unsere Vorgehensweise zu ändern und den 5-Stunden-Tag vorübergehend wieder abzuschaffen. Im November und im Dezember arbeiteten wir weitestgehend wieder normal, um den Rückstand im Abschlussbereich aufzuholen. An dieser Stelle muss ich ganz klar einen großen Dank an mein Team aussprechen!

Wir hatten in der Planungsphase immer gesagt, wenn außergewöhnliche Situationen eintreten, müssen wir das Projekt für eine Zeit aussetzen. Das hat ohne Probleme funktioniert und seit Januar arbeiten wir wieder fünf Stunden am Tag.

Der externe Berater

Wenn man so ein radikales Projekt einführt, dann wird auch Unterstützung von außen benötigt. Ich habe mir daher einen befreundeten Unternehmensberater ins Team geholt, der – neben den täglichen Stand-ups, die ich mit meinem Team durchführe, um meine Mitarbeiter und mich auf dem aktuellen Stand zu halten – Teamgespräche durchführt. Dies verbessert den Informationsfluss und die Arbeitsweise nochmals deutlich.

Udo, der Unternehmensberater, führt alle zwei Wochen mit meinem Team Gespräche zu den aktuellen Themen im Rahmen der #25StundenWoche und dem allgemeinen Arbeitsumfeld. Ich führe ebenfalls wöchentliche Gespräche mit dem Team, in denen es sowohl um fachliche Dinge als auch um das Persönliche geht. Ein „Externer“ hat jedoch einen viel besseren Blick auf das Team, vergleichbar mit einer Drohne, die die Dinge von oben betrachtet.

Die Ergebnisse der jeweiligen Gespräche sind völlig unterschiedlich, da die Mitarbeiter viel offener mit Udo kommunizieren als mit mir. Wir werten immer alles zusammen aus, das wissen natürlich auch die Mitarbeiter. Aber dennoch bekommen wir Ergebnisse, die ich selbst so nicht erzielt hätte. Daher war es eine hervorragende Entscheidung, jemand Externes dazu zu holen. Ich bin der Meinung, dass dies auch ein Grund für das Gelingen des Projekts ist.

Grundsätzlich sollte sich jeder Unternehmer darüber Gedanken machen, so eine Art Supervisor ins Team zu holen. Das stärkt die Teambildung und die Bindung zum Unternehmen enorm.

Das Mentoring-Programm

Die mediale Aufmerksamkeit, die das Projekt auf sich zog, und besonders der gesteigerte Bekanntheitsgrad in der Steuerberaterbranche führten dazu, dass mich viele Kollegen ansprachen, wie das Projekt im Detail funktioniert und umsetzbar ist.

Darum entwickelte ich ein Mentoring-Programm, welches bei mir buchbar ist. Ich begleite dann die Interessenten mit meiner Erfahrung auf ihrem Weg zu einem passenden Arbeitszeitverkürzungsmodell. Das muss nicht zwingend die #25StundenWoche sein, sondern kann auch bedeuten, endlich wieder einmal nur 40 Stunden zu arbeiten oder eine 4-Tage-Woche einzuführen.

Das Fazit

Wir sind unter anderen Voraussetzungen im Januar 2020 gestartet: Weder haben wir die Corona-Krise kommen sehen noch war zu erahnen, dass eine Mitarbeiterin fünf Monate und ich fünf Wochen ausfallen würden. Dennoch haben wir es geschafft, uns nicht in all diesen Hiobsbotschaften zu verlieren, sondern suchten erfolgreich nach Problemlösungen und haben letztendlich den Kurs nur kurzfristig verlassen.

Vielleicht haben wir gerade durch die ganzen Krisen bewiesen, dass solch ein Projekt funktionieren kann. Ich bin am Ende nicht unglücklich darüber, dass wir in unserem ersten Jahr so geprüft worden sind.

Und wie sehen nun die Ergebnisse aus? Wir haben den Umsatz deutlich gesteigert und auch der Gewinn ist entsprechend gestiegen. Durch den Kraftakt im November und Dezember holten wir den Rückstand im Abschlussbereich auf und starteten mit wenigen Fällen aus dem Jahr 2019 in das Jahr 2021.

Insgesamt sind wir alle glücklich, sagen zu können: „Ja, solch ein Projekt funktioniert, wenn man bereit ist, andere, völlig fremde Wege zu gehen.“

Mein Fazit ist, dass wir diesen Weg auf jeden Fall weitergehen werden und hoffen, dass 2021 ein etwas weniger turbulentes Jahr wird, da bereits die nächste Herausforderung wartet: Ich werde eine weitere Steuerkanzlei übernehmen und dort gilt es dann ebenfalls, die #25StundenWoche einzuführen. Es bleibt spannend!


Steuerberater Erich Erichsen
ist seit 2007 Inhaber der Erich Erichsen Steuerberatung

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