Online-Nachricht - Donnerstag, 05.12.2024
Umsatzsteuer | Umsatzsteuerbefreiung für Haarwurzeltransplantationen bei Haarausfall (Alopezie) (BFH)
Ein therapeutischer Zweck im umsatzsteuerrechtlichen Sinne kann auch dann vorliegen, wenn eine Haarwurzeltransplantation nicht auf die Ursachen des Haarausfalls einwirkt, sondern lediglich ihre Folgen beseitigt (BFH, Urteil v. 25.9.2024 - XI R 17/21; veröffentlicht am 5.12.2024).
Sachverhalt: Der Kläger, ein Facharzt für Chirurgie, führt zunächst Untersuchungen und anschließend Haarwurzeltransplantationen bei Patienten mit androgenetischer, hereditärer und vernarbender Alopezie durch. Für die Streitjahre erklärte er 90 % seiner Umsätze als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin i. S. des § 4 Nr. 14 Buchst. a UstG und somit umsatzsteuerfrei. Nach einer Außenprüfung entschied das Finanzamt, dass nur Transplantationen bei Patienten mit narbiger Alopezie steuerfrei seien, da nur diese als Krankheit i. S. § 27 Satz 1 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch anerkannt seien. Die übrigen Umsätze wurden als steuerpflichtig eingestuft, da keine ärztliche Heilbehandlung gegeben sei.
Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers wurde zurückgewiesen Das Finanzgericht gab der Klage nur zu einem geringen Teil statt, indem es die Diagnosetätigkeit des Klägers als steuerfrei ansah.
Die Richter des BFH hoben das Urteil auf und wiesen die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück:
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Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG umsatzsteuerfrei sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL. Danach sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, steuerfrei. § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG ist im Lichte des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL unionsrechtskonform auszulegen (vgl. z.B. Senatsbeschluss v. 11.10.2017 XI R 23/15, BFHE 259, 567, BStBl II 2018, 109, Rz 24 f., m.w.N.), wozu auch weiterhin die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates v. 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern herangezogen werden kann (vgl. EuGH-Urteile Future Health Technologies v. 10.6.2010 - C 86/09, EU:C:2010:334, Rz 27; Peters v. 18.9.2019 - C 700/17, EU:C:2019:753, Rz 18).
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Hiervon ausgehend hat das FG zu Unrecht entschieden, eine Haartransplantation habe keinen therapeutischen Zweck.
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Bei hereditärer und vernarbender Alopezie besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein behandlungsbedürftiger Zustand vorliegt.
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Die Diagnose einer androgenetischen Alopezie rechtfertigt noch nicht die tatsächliche Vermutung, dass ein behandlungsbedürftiger Zustand vorliegt.
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Zum Nachweis der Steuerbefreiung einer Haarwurzeltransplantation ist bei androgenetischer Alopezie eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorzulegen; pauschale, nicht näher substantiierte Erklärungen des transplantierenden Arztes genügen insoweit nicht.
Quelle: BFH, Urteil v. 25.9.2024 - XI R 17/21 (gr)
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im XI. Senat des BFH Prof. Dr. Alois Nacke gelangen Sie hier (Login erforderlich).