Online-Nachricht - Donnerstag, 19.12.2024

Einkommensteuer | Erschüt­terung des An­scheins­beweises für eine private Fahr­zeug­nutzung (BFH)

Bei der Prüfung, ob der für eine private Nutzung betrieb­licher Fahr­zeuge streitende Anscheins­beweis erschüt­tert ist, müssen sämt­liche Um­stände berück­sichtigt werden. Ein Fahrten­buch darf nicht von vorn­herein mit der Begrün­dung außer Betracht gelas­sen werden, es handele sich um ein nicht ordnungs­gemäßes Fahrten­buch (BFH, Urteil v. 22.10.2024 - VIII R 12/21; veröf­fent­licht am 19.12.2024).

Hintergrund: Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG ist die private Nutzung eines Fahrzeugs, das zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird, für jeden Kalendermonat mit 1 % des inländischen Listen­preises im Zeitpunkt der Erst­zulas­sung zuzüglich der Kosten für Sonder­aus­stattung einschließlich Umsatz­steuer anzu­setzen. Die Vorschrift ist auch auf zu mehr als 50 % betrieb­lich genutzte Fahrzeuge anzu­wenden, die der Steuerpflichtige, ohne deren wirt­schaft­liches Eigentum erlangt zu haben, lediglich als Leasingnehmer nutzt (BFH, Urteil v. 12.3.2024 - VIII R 1/21, BStBl II 2024, 633, Rz 17, m.w.N.).

Sachverhalt: Der Kläger erzielte in den Streitjahren 2011 bis 2013 Einkünfte aus freiberuf­licher Tätigkeit. Im Jahr 2010 leaste er einen BMW 740d X Drive. Die Leasingkosten sowie weitere Fahrzeug­aufwen­dungen machte er in voller Höhe als Betriebsausgaben geltend.

Im Jahr 2012 leaste der Kläger zusätzlich einen Lamborghini Aventador, welches er mit einer Werbefolie versah. Auch die Aufwen­dungen für dieses Fahrzeug machte er in voller Höhe als Betriebsausgaben geltend.

Für beide Fahrzeige führte der Kläger handschrift­lich Fahrten­bücher.

Neben den beiden o.g. Fahrzeugen hatte der Kläger zwei weitere Fahrzeuge im Privat­vermögen, einen Ferrari 360 Modena Spider und einen Jeep Commander.

Das FA erkannte die Fahrten­bücher des Klägers nicht an und erhöhte unter Anwendung der 1%-Regel dessen Einnahmen um die Entnahmen für die Privat­nutzung des Lamborghini sowie des BMW.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg (FG München, Urteil v. 9.3.2021 - 6 K 2915/17).

Die Richter des BFH hoben das Urteil auf und wiesen die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück:

  • Im Streitfall ist der betriebliche Nutzungs­umfang des BMW und des Lamborghini nicht streitig.

  • Fehlt es mangels privater Nutzung des Fahrzeugs an einer Entnahme, ist die Bewer­tungs­regel in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG nicht anzuwenden.

  • Hierfür spricht zwar der Beweis des ersten Anscheins, dieser kann jedoch erschüttert werden. Hierzu ist der Vollbeweis des Gegen­teils nicht erforderlich. Der Kläger muss nicht beweisen, dass eine private Nutzung der von der Anscheins­beweis­regel erfassten Fahrzeuge nicht statt­gefunden hat.

  • Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass ein Sach­verhalt dargelegt (und im Zweifels­fall nach­gewiesen) wird, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung ent­sprechen­den Geschehens ergibt (vgl. BFH, Urteil v. 4.12.2012 - VIII R 42/09, BStBl II 2013, 365, Rz 16, m.w.N.).

  • Der Beweis des ersten Anscheins für eine private Nutzung betrieb­licher Fahrzeuge wird im Regelfall noch nicht erschüttert, wenn lediglich behauptet wird, für privat veran­lasste Fahrten hätten private Fahrzeuge zur Verfügung gestanden. Er kann aber erschüttert sein, wenn für private Fahrten ein anderes Fahrzeug zur Verfügung steht, das dem betrieblichen Fahrzeug in Status und Gebrauchs­wert vergleichbar ist (BFH, Urteile v. 6.8.2013 - VIII R 33/11, BFH/NV 2014, 151, Rz 30; v. 4.12.2012 - VIII R 42/09, BStBl II 2013, 365).

  • Entsprechendes gilt, wenn im Privatvermögen und im betrieb­lichen Bereich jeweils mehrere Fahrzeuge zur Verfügung stehen. Dabei ist der für eine Privat­nutzung sprechende An­scheins­beweis umso eher erschüttert, je geringer die Unter­schiede zwischen den Fahrzeugen ausfallen. Denn bei einer Gleich­wertig­keit der Fahrzeuge ist keine nachvollziehbare Veranlassung ersichtlich, für Privatfahrten das Dienstfahrzeug zu nutzen (BFH, Urteil v. 19.5.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974, unter II.3.b).

  • Nach diesen Vorgaben hat das FG bei der Prüfung, ob der Kläger den für eine Privat­nutzung des BMW und des Lamborghini sprechenden Beweis des ersten Anscheins erschüt­tert hat, bereits den gesetzlichen Maßstab für die Über­zeugungs­bildung verkannt.

  • Das FG ist bereits rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass der Anscheins­beweis nur durch ein ordnungs­gemäßes Fahrten­buch erschüttert werden könne. Damit hat das FG in revisions­recht­lich beacht­licher Weise das gesetz­liche Beweismaß verkannt.

  • Des Weiteren fehlen Feststellungen des FG, die die Würdi­gung tragen können, dass die dem Kläger im Privat­vermögen zur Verfügung stehenden Fahr­zeuge nicht geeignet waren, den Anschein der Privatnutzung zu erschüttern.

Quelle: BFH, Urteil v. 22.10.2024 - VIII R 12/21; NWB Datenbank (il)

 
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