Online-Nachricht - Donnerstag, 06.02.2025

Bewertungsgesetz | Ableitung des Anteils­werts einer Kapital­gesell­schaft aus Verkäufen zwischen fremden Dritten (BFH)

Der Wert von Anteilen an einer nicht börsen­notierten Kapital­gesell­schaft ist nicht nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG auf den Substanz­wert begrenzt, wenn eine Ablei­tung des (niedrigeren) gemeinen Werts aus Ver­käufen unter fremden Dritten, die weniger als ein Jahr zurück­liegen, nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG möglich ist (BFH, Urteil v. 15.9.2024 - II R 15/21; veröf­fent­licht am 6.2.2025).

Hintergrund: Nach § 12 Abs. 2 ErbStG sind Anteile an Kapital­gesell­schaften, für die ein Wert nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG festzu­stellen ist, mit dem auf den Bewertungs­stichtag (§ 11 ErbStG) festgestellten Wert anzusetzen. Nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG ist der Wert von Anteilen an Kapital­gesell­schaften i.S.d. § 11 Abs. 2 BewG gesondert festzustellen (§ 179 AO). Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG sind Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht unter § 11 Abs. 1 BewG fallen, da sie am Stichtag nicht an einer deutschen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Lässt sich der gemeine Wert nicht aus Verkäufen unter fremden Dritten ableiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, so erfolgt die Bewertung der Anteile nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG unter Berück­sichtigung der Ertragsaussichten der Kapital­gesell­schaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöh­nlichen Geschäfts­verkehr für nicht­steuerliche Zwecke üblichen Methode; dabei ist die Methode anzuwenden, die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zugrunde legen würde. Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG darf die Summe der gemeinen Werte der zum Betriebs­vermögen gehörenden Wirtschafts­güter und sonstigen aktiven Ansätze abzüglich der zum Betriebs­vermögen gehörenden Schulden und sonstigen Abzüge (Substanz­wert) der Gesell­schaft nicht unter­schritten werden.

Sachverhalt: Die Klägerin zu 1. ist eine GmbH, die insbesondere Beteili­gungen an anderen Gesell­schaften hielt. Des Weiteren treten als Kläger zu 2. und 3. die Erben ihrer verstorbenen Mutter auf, die 9,95 % der Anteile an der Klägerin 1 hielt. Bereits in der Vergangenheit waren mehrfach Einziehungen von Teilgeschäftsanteilen an der Klägerin zu 1. jeweils zu einem Einziehungskurs von 400 % des jeweiligen Nenn­kapitals sowie ein Anteils­verkauf unter Gesellschaftern zu einem Veräußerungs­preis von 400 % des Nenn­kapitals erfolgt. Im Jahr 2015 erfolgten zwei Einziehungen von Teilgeschäftsanteilen an der Klägerin zu 1. zu einem Einziehungskurs von 400 %. Die jeweils verbliebenen Anteile wurden verhältnis­mäßig aufgestockt. Im Jahr 2018 wurde ein weiterer Anteil an der Klägerin zu 1. unter Gesellschaftern zu einem Kurs von 380 % des Nennkapitals verkauft. Das Finanzamt stellte den Wert der Anteile an der Klägerin zu 1. im Rahmen der Veranlagung unter Ansatz des Substanz­werts fest.

Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG Münster, Urteil v. 15.4.2021 – 3 K 3724/19 F).

Die Richter des BFH weisen die Revision zurück, eine Ableitung des gemeinen Werts der Anteile an der Klägerin zu 1. kommen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG aus zeitnahen Verkäufen unter Heranziehung eines Einziehungskurses von 400 % des Nennwerts nicht in Betracht:

  • Der Mindestwert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG findet bei der Ableitung des gemeinen Werts aus zeitnahen Verkäufen unter fremden Dritten keine Anwendung. Dies ergibt sich aus dem Zweck der Norm, den gemeinen Wert der Anteile an einer Kapital­gesell­schaft zu ermitteln (teleolo­gische Auslegung) und aus der inneren Systematik (syste­matische Auslegung).

  • § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG enthält das Bewertungsziel des Gesetzgebers und entspricht § 9 Abs. 1 BewG sowie den verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 3 Abs. 1 GG, nach denen die einzelnen Vermögens­gegen­stände wegen der zugrunde liegenden Belastungs­entschei­dung des Gesetzgebers bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit einem Annäherungs­wert an den gemeinen Wert zu bewerten sind (vgl. BVerfG, Beschluss v. 7.11.2006 - 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192, Leitsatz 2.a).

  • Ist die Ableitung des gemeinen Werts aus zeitnahen Verkäufen zwischen fremden Dritten möglich und damit das verfassungsrechtlich gebotene Bewertungsziel nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG erreicht, ist kein Grund ersichtlich, den durch Ableitung aus zeitnahen Verkäufen gefundenen gemeinen Wert durch einen anderen, namentlich höheren Substanz­wert nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG zu ersetzen.

  • Ein Ansatz der Anteile an der Klägerin zu 1. mit einem Ein­ziehungskurs in Höhe von 400 % des Nennkapitals als Ableitung des gemeinen Werts aus zeitnahen Verkäufen unter fremden Dritten nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG kommt allerdings nicht in Betracht, so dass nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG der Substanzwert als Mindestwert anzusetzen ist.

  • Denn zur Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen zwischen fremden Dritten nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG können solche Verkäufe nicht heran­gezogen werden, bei denen über Jahre hinweg regelmäßig derselbe Preis zugrunde gelegt wird.

  • Ein solcher Ansatz zeigt, dass die Beteiligten den Preis gerade nicht unter den Bedingungen des gewöhn­lichen Geschäfts­verkehrs nach den markt­wirtschaft­lichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage unter Heranziehung objektiver Wertmaßstäbe, zu denen vor allem das Gesamtvermögen und die Ertragsaussichten gehören, gebildet haben (vgl. BFH, Urteil v. 15.7.1998 - II R 23/97, BFH/NV 1998, 1463, m.w.N., unter II.1.).

  • Ist eine Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen zwischen fremden Dritten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, nicht möglich, so ist nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG der gemeine Wert unter Berück­sichtigung der Ertrags­aussichten der Kapital­gesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäfts­verkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln.

Quelle: BFH, Urteil v. 25.9.2024 – II R 15/21; NWB Datenbank (lb)

 
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im II. Senat des BFH Prof. Dr. Matthias Loose gelangen Sie hier (Login erforderlich).