Online-Nachricht - Donnerstag, 27.03.2025
Einkommensteuer | Anscheinsbeweis für Privatnutzung eines Pickup und Anwendung der Ein-Prozent-Regelung (BFH)
Stellt das FG nur Tatsachen fest, aus denen weder bei einer Einzelbetrachtung noch in ihrer Zusammenschau die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs abgeleitet werden kann, fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Annahme, mit einem zum Betriebsvermögen gehörenden, typischerweise zum privaten Gebrauch geeigneten Kraftfahrzeug seien möglicherweise keine Privatfahrten unternommen worden. Geht das FG unter diesen Umständen von der Erschütterung des Anscheinsbeweises für die Privatnutzung aus, liegt ein Fehler der Rechtsanwendung vor, der dazu führt, dass der Bundesfinanzhof an die Würdigung des FG nicht gebunden ist (BFH, Urteil v. 16.1.2025 - III R 34/22; veröffentlicht am 27.3.2025).
Hintergrund: Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 1 EStG ist die private Nutzung eines Kfz, das zu mehr als 50 Prozent betrieblich genutzt wird, für jeden Kalendermonat mit einem Prozent des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung einschließlich Umsatzsteuer anzusetzen. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 Halbsatz 1 EStG kann die private Nutzung abweichend von dieser Vorschrift mit den auf die Privatfahrten entfallenden Aufwendungen angesetzt werden, wenn die für das Kraftfahrzeug insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der privaten zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden.
Sachverhalt: Streitig ist, ob das FA die in den Streitjahren 2015 und 2016 festzusetzende Einkommensteuer der Kläger zu Recht gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 1 EStG unter Berücksichtigung zusätzlicher Entnahmen in Höhe von einem Prozent des Bruttolistenpreises des im Betriebsvermögen des Klägers bilanzierten Pickup erhöht hat: Die Kläger wurden in den Streitjahren 2015 und 2026 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie lebten zusammen mit zwei volljährigen Kindern (A und B) auf einem großen Grundstück. Dort befand sich neben dem Wohnhaus auch der Firmensitz beziehungsweise die Betriebsstätte des Betriebs des Klägers.
Der Kläger erzielte aus dem Betrieb, in dem rund zwei Dutzend Arbeitnehmer und Aushilfen beschäftigt waren und dessen Gewinn durch Bestandsvergleich gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG ermittelt wurde, Einkünfte aus Gewerbebetrieb, außerdem Einkünfte aus einer nichtselbständigen Arbeit sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Die Klägerin arbeitete als Aushilfe auf Mini-Job-Basis im Betrieb des Klägers. Beide Kinder studierten beziehungsweise waren in Ausbildung.
Im Betriebsvermögen des Betriebs befanden sich in den Streitjahren neben dem Dienstwagen eines Vorarbeiters unter anderem ein BMW sowie ab dem xx.02.2015 der im Streit stehende Pickup, dessen Bruttolistenpreis sich auf 44.458 € belief. Für beide Fahrzeuge wurde kein Fahrtenbuch geführt.
Für den Pickup, auf den nach den Feststellungen des FG sämtliche Familienmitglieder eine uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit hatten, nahm der Kläger keine Versteuerung eines privaten Nutzungsanteils vor. Zur Bewertung der Privatnutzung des BMW wendete er die 1 %-Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 1 EStG an.
Im Privatvermögen hielten die Kläger (teilweise nacheinander) insgesamt drei Kleinwagen, die in erster Linie von den Kindern genutzt wurden, jedoch auch dem Kläger nach Bedarf zur Verfügung standen.
Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass der Beweis des ersten Anscheins für eine private Mitbenutzung des Pickup spreche, setzte mangels Fahrtenbuchs die Privatnutzung mit der 1 %-Regelung an und erhöhte den Gewinn des Klägers entsprechend.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz Erfolg (FG Münster, Urteil v. 16.8.2022 - 6 K 2688/19 E, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 16.9.2022).
Dem folgten die Richter des BFH nicht, hoben das Urteil auf und wiesen die Klage ab:
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Der Beweis des ersten Anscheins für eine Privatnutzung des betrieblichen Kfz kann durch den sog. Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert werden.
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Erforderlich, aber auch ausreichend ist hierfür, dass der Steuerpflichtige substantiiert einen Sachverhalt darlegt und im Zweifelsfall nachweist, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens ergibt (BFH, Urteil v. 4.12.2012 - VIII R 42/09, BStBl II 2013, 365, Rz 16).
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Der Vollbeweis des Gegenteils ist nicht erforderlich. Der Steuerpflichtige muss also nicht beweisen, dass eine private Nutzung des betrieblichen Kfz nicht stattgefunden hat (vgl. u.a. BFH, Urteil v. 4.12.2012 - VIII R 42/09, BStBl II 2013, 365, Rz 16).
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Die bloße Behauptung des Steuerpflichtigen, mit dem betrieblichen Kfz sei niemand privat gefahren, genügt nach ständiger Rechtsprechung nicht, um den Beweis des ersten Anscheins einer Privatnutzung eines betrieblich genutzten Kfz zu erschüttern (vgl. z.B. BFH, Urteil v. 22.10.2024 - VIII R 12/21, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 22).
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Über die Frage, ob der Steuerpflichtige den für eine Privatnutzung sprechenden Beweis des ersten Anscheins entkräftet oder erschüttert hat, entscheidet das FG unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.
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Die Vorentscheidung entspricht diesen Rechtsgrundsätzen nicht. Es fehlt an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Annahme des FG, mit dem Pickup seien möglicherweise keine Privatfahrten unternommen worden. Denn das FG hat nur solche Tatsachen festgestellt, aus denen weder bei einer Einzelbetrachtung noch in ihrer Zusammenschau die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs abgeleitet werden kann.
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Das FG ist somit zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Anscheinsbeweis erschüttert sei und das FA deshalb die Behauptungen der Kläger widerlegen und eine Privatnutzung des Pickup beweisen müsse.
Quelle: BFH, Urteil v. 16.1.2025 - III R 34/22; NWB Datenbank (il)
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