Online-Nachricht - Donnerstag, 10.04.2025

Erbschaftsteuer | Anwen­dung geschlech­ter­differen­zierender Sterbe­tafeln im Rahmen der Bewer­tung für Zwecke der Erb­schaft- und Schenkung­steuer (BFH)

Die Anwendung geschlechter­differen­zieren­der Sterbe­tafeln bei der Bewertung lebens­läng­licher Nutzun­gen und Leistun­gen für Zwecke der Erb­schaft- und Schenkung­steuer im Rahmen von § 14 Abs. 1 BewG ver­stößt nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG (BFH, Urteil v. 20.11.2024 - II R 38/22; veröf­fent­licht am 10.4.2025).

Hintergrund: Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BewG ist der Kapitalwert von lebens­läng­lichen Nutzungen und Leistun­gen mit dem Viel­fachen des Jahreswerts nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 anzu­setzen. Die Verviel­fältiger sind nach der Sterbe­tafel des Statis­tischen Bundes­amtes zu ermitteln und ab dem 1. Januar des auf die Veröf­fent­lichung der Sterbetafel durch das Statis­tische Bundesamt folgenden Kalender­jahres anzu­wenden (§ 14 Abs. 1 Satz 2 BewG).

Sachverhalt: Der Vater V des Klägers übertrug diesem und dessen beiden Geschwistern im Wege der vorweg­genom­menen Erbfolge jeweils 23,33 % seiner Anteile an einer GmbH. An den über­tragenen Geschäfts­anteilen behielt sich V den lebens­langen unentgelt­lichen Nießbrauch vor. V hatte während der Dauer des Nießbrauchs alle mit den über­tragenen Geschäfts­anteilen verbundenen Lasten, insbe­sondere fällig werdende Einlagen und Nach­schüsse, zu tragen.

Das FA setzte Schenkung­steuer in Höhe von 1.918 € gegen­über dem Kläger fest. Dabei legte es für die an den Kläger über­tragenen Anteile einen Wert in Höhe von 781.864 € zugrunde. Dieser Wert beruhte auf einem Bescheid des für die GmbH zuständigen Belegen­heits­finanzamts über die gesonderte und einheit­liche Fest­stellung nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG. Von dem Anteils­wert brachte das FA den Kapitalwert des Nießbrauchsrechts des V in Höhe von 354.406 € in Abzug, so dass sich der Wert des Erwerbs auf 427.458 € belief. Zur Ermitt­lung dieses Kapital­werts setzte es den Jahres­wert des Nießbrauchs gemäß § 16 BewG mit 1/18,6 des Werts der übertragenen Anteile an (781.864 € : 18,6 = 42.036 €) und multiplizierte diesen Betrag gemäß § 14 Abs. 1 BewG mit dem sich aus der amtlichen Sterbetafel ergebenden Vervielfältiger von 8,431 aufgrund des im Zeitpunkt der Schenkung vollendeten 74. Lebens­jahres des V als Nieß­brauchs­berech­tigtem.

Hiergegen wandte der Kläger u.a. ein, dass die Verwendung geschlech­ter­differen­zierender Sterbe­tafeln bei der Bewertung des Nießbrauchs gegen das Diskri­minierungs­verbot aus Art. 3 Abs. 3 GG verstoße. Der Gesetz­geber sei im Rahmen des § 14 BewG nicht berechtigt, das Geschlecht bei der Anwendung der Sterbetafeln mit steuer­licher Wirkung zu berücksichtigen.

Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg (Vorinstanz: FG Köln, Urteil v. 18.8.2022 - 7 K 1800/21):

  • Die Anwendung geschlechter­differen­zierender Sterbe­tafeln bei der Bewertung lebens­länglicher Nutzungen und Leistungen für Zwecke der Erbschaft- und Schenkung­steuer im Rahmen von § 14 Abs. 1 BewG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.

  • Indem § 14 Abs. 1 BewG zur Bestimmung der Verviel­fältiger unmittel­bar an die sich aus den Sterbe­tafeln ergebende statistisch unterschiedliche Lebens­erwartung von Männern und Frauen anknüpft (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG), führt die Regelung insoweit zu einer geschlechterbedingten Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, als der zu versteuernde Kapital­wert des Nießbrauchs zugunsten einer Frau aufgrund ihrer statistisch höheren Lebens­erwartung ent­sprechend höher ausfällt als bei einem (gleichaltrigen) Mann.

  • Diese geschlechterbedingte Differenzierung im Rahmen der Bewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist jedoch verfas­sungs­recht­lich gerecht­fertigt.

  • Die Verwendung geschlechterdifferenzierender Sterbetafeln ist zur Förderung des verfas­sungsrecht­lich gebotenen Regelungsziels, eine möglichst realitäts­gerechte Bewertung lebens­länglicher Nutzungen und Leistungen für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer zu gewähr­leisten, geeignet und erforderlich.

  • Da sich die Vergleichsgruppe der Frauen von der Vergleichs­gruppe (gleich­altriger) Männer ausweislich der Sterbetafeln durch eine statistisch höhere Lebens­erwartung unterscheidet, führt die Verwendung geschlechts­spezifisch unter­schiedlicher Verviel­fältiger bei der Ermittlung des Kapitalwerts lebens­länglicher Nutzungen und Leistungen zu genaueren und in ihrer Relation realitäts­gerech­teren Bewer­tungs­ergeb­nissen als die Verwendung von um das Geschlecht be-reinigten Verviel­fältigern.

  • Es ist nicht ersichtlich, dass eine ebenso realitäts­gerechte Schätzung der voraus­sicht­lichen Dauer lebens­länglicher Nutzungen und Leistungen durch eine andere, gleich wirksame Regelung auf der Bewertungs­ebene, die nicht an das Geschlecht der jeweils berech­tigten Person anknüpft, erreicht werden könnte.

  • Da die statistische Lebenserwartung ausgehend von einem bestimmten Lebens­alter je nach Geschlecht unter­schiedlich hoch ist, kann der tatsächliche Wert lebens­länglicher Nutzungen und Leistungen vielmehr nur bei Zugrunde­legung geschlechts­spezifisch unter­schied­licher Sterbe­tafeln und daraus abgeleiteten Vervielfältigern an­näherungs­weise ermittelt werden.

  • Darüber hinaus stehen die mit der Verwendung geschlechts­spezifisch unter­schied­licher Sterbe­tafeln verfolgten verfassungsrechtlichen Ziele nicht außer Verhältnis zu den mit einer solchen Regelung verbun­denen Nachteilen. Vielmehr überwiegt das verfassungsrechtliche Erfordernis einer möglichst genauen Erfassung der Kapital­werte für Zwecke der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit das Interesse an einer geschlechts­neutralen Bewertung.

Hinweise:

Die Entscheidung des BFH erging zur Rechtslage im Jahr 2014. Der BFH hatte nicht darüber zu entscheiden, welche Auswirkungen sich aus dem am 01.11.2024 in Kraft getretenen Gesetz über die Selbst­bestimmung in Bezug auf den Geschlechts­eintrag für die Bewertung lebens­länglicher Nutzungen und Leistungen ergeben.

Im Wesent­lichen inhalts­gleich entschied der BFH in zwei weiteren, nicht zur amtlichen Veröf­fent­lichung bestimmten Urteilen v. 20.11.2024 mit den Az. II R 41/22 sowie II R 42/22.


Quelle: BFH, Urteil v. 20.11.2024 - II R 38/22; NWB Datenbank (il)

 
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im II. Senat des BFH Prof. Dr. Matthias Loose gelangen Sie hier (Login erforder­lich).