Online-Nachricht - Donnerstag, 10.04.2025

Verfahrensrecht | Verfassungs­mäßig­keit der Säumnis­zu­schläge ab dem durch den russi­schen Über­fall auf die Ukraine im Februar 2022 ausge­lösten An­stieg der Markt­zinsen (BFH)

Aufgrund des deutlichen und nach­haltigen Anstiegs der Markt­zinsen, der seit dem russi­schen Über­fall auf die Ukraine im Februar 2022 zu verzeich­nen ist, bestehen jeden­falls seit März 2022 keine ernst­lichen Zweifel mehr an der Verfas­sungs­mäßig­keit der gesetz­lichen Regelung über die Höhe der Säumnis­zuschläge (BFH, Urteil v. 21.3.2025 - X B 21/25 (AdV); veröf­fent­licht am 10.4.2025).

Hintergrund: Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fällig­keits­tages entrichtet, so ist für jeden ange­fangenen Monat der Säumnis ein Säumnis­zuschlag von 1 % des abge­rundeten rück­ständigen Steuer­betrags zu ent­richten; abzu­runden ist auf den nächsten durch 50 € teil­baren Betrag (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO).

Sachverhalt: Die Antragstellerin war an einer gewerb­lichen Personen­gesell­schaft beteiligt. Das Finanz­amt (FA) erließ einen geän­derten Ein­kommen­steuer­bescheid, da sich aufgrund des erhöhten Ansatzes des Gewinn­anteils an der gewerb­lichen Personen­gesell­schaft eine Nach­zahlung zur Einkommen­steuer und zum Soli­daritäts­zuschlag ergab. Das FA gewährte der Antrag­stellerin zunächst Aussetzung der Voll­ziehung (AdV) ohne Sicher­heits­leistung für die Steuer­nach­zahlung. Mit geändertem AdV-Bescheid machte das FA die Fortdauer der AdV von einer Sicher­heits­leistung abhängig. Daraufhin wurde am 20.12.2022 als Sicher­heits­leistung ein Grundstück der Antrag­stellerin mit einer Grundschuld zugunsten des FA belastet und das FA gewährte ab diesem Zeitpunkt erneut AdV. Für den Zeitraum vor der Grund­schuld­bestellung (19.3.2022 bis 19.12.2022) setzte das FA Säumnis­zuschläge fest. Das FA lehnte den AdV-Antrag der Antrag­stellerin hinsichtlich dieser Säumnis­zuschläge ab.

Das FG gewährte auf Antrag der Antragstellerin AdV hinsicht­lich der im Zeitraum vom 19.3.2022 bis 19.12.2022 angefallenen Säumnis­zuschläge, da mehrere Senate des BFH in vergleich­baren Fällen AdV wegen Zweifeln an der Verfas­sungs­mäßig­keit der Höhe der Säumniszuschläge gewährt hätten und die Antrag­stellerin ein berechtigtes Interesse an der Aussetzung habe (FG München, Urteil v. 5.10.2023 – 14 V 98/23).

Die Richter des BFH stimmen dem FG-Urteil und somit der AdV-Gewährung im Ergebnis zu:

  • Das FG hat zu Unrecht ernstliche Zweifel an der Verfas­sungs­mäßig­keit der gesetz­lichen Regelung über die Höhe der Säumnis­zuschläge (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO) für die hier in Rede stehende Zeit ab März 2022 bejaht. Aufgrund des deutlichen und nachhaltigen Anstiegs der Marktzinsen, der seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 zu verzeichnen ist, bestehen jedenfalls seit März 2022 keine ernstlichen Zweifel mehr an der Verfas­sungs­mäßigkeit der gesetz­lichen Regelung über die Höhe der Säumnis­zuschläge.

  • Gleichwohl stellt sich die vom FG ausgesprochene AdV-Gewährung aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar. Auch wenn der Senat die gesetzliche Regelung über die Höhe der Säumnis­zuschläge für verfas­sungs­gemäß hält, bestehen im Streitfall gleichwohl ernst­liche Zweifel an der Recht­mäßigkeit der im ange­fochtenen Abrech­nungs­bescheid doku­mentierten Entscheidung des FA, die Antragstellerin habe für die Zeit vom 19.3.2022 bis zum 19.12.2022 Säumnis­zuschläge verwirkt.

  • Wenn das FA zwar AdV gewährt, deren Wirkung aber von der Erbringung einer Sicher­heits­leistung abhängig macht, bewirkt die spätere Leistung der Sicherheit im Regelfall, dass die AdV mit (Rück) Wirkung ab dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Verfügung eintritt und zuvor etwaig entstandene Säumniszuschläge entfallen.

  • Das FA kann allerdings ausdrücklich anordnen, dass die Wirkung der AdV erst im Zeitpunkt der tatsäch­lichen Leistung der Sicherheit beginnt (Anschluss an den Beschluss des BFH v. 10.12.1986 - I B 121/86, BFHE 149, 6, BStBl II 1987, 398, unter II.3.d).

Quelle: BFH, Urteil v. 21.3.2025 - X B 21/25 (AdV); NWB Datenbank (lb)

 
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im X. Senat des BFH Prof. Dr. Gregor Nöcker gelangen Sie hier (Login erforder­lich).