Online-Nachricht - Donnerstag, 15.05.2025
Einkommensteuer/Verfahrensrecht | Verzinsung von Kapitalertragsteuerbeträgen, die nach § 50d Abs. 1 Satz 2 i. V. mit § 43b EStG und Art. 5 MTR zu erstatten sind (BFH)
Ausländische Anteilseignergesellschaften, denen einbehaltene Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen nach Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie (MTR) i.V.m. § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. (heute § 50c Abs. 3 Satz 1 EStG) zu erstatten ist, haben auf der Grundlage des Unionsrechts einen Verzinsungsanspruch, wenn ihnen die Erstattung der Steuerbeträge unter Verstoß gegen das Unionsrecht vorenthalten wird oder die Kapitalertragsteuer von vornherein unter Verstoß gegen das Unionsrecht einbehalten wird (BFH, Urteil v. 25.2.2025 - VIII R 32/21; veröffentlicht am 15.5.2025).
Hintergrund: Nach der EuGH-Rechtsprechung verstößt § 50d Abs. 3 EStG gegen die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit (EuGH, Urteile v. 20.12.2017 - C 504/16 „Deister Holding“ und C 613/16 „Juhler Holding“ (s. hierzu Kahlenberg, IWB 4/2018 S. 145) sowie EuGH, Beschluss v. 14.6.2018 - C-440/17 „GS“ (s. hierzu Wagemann, IWB 21/2018 S. 829) und ist daher nur eingeschränkt anwendbar. Die dort aufgestellte generelle Missbrauchsvermutung kann im Einzelfall durch den Steuerpflichtigen erfolgreich widerlegt werden.
Sachverhalt: Die Klägerin ist eine in Österreich ansässige deutsche AG, die Gewinnausschüttungen an eine österreichische Muttergesellschaft vorgenommen hat. Für drei der Gewinnausschüttungen wurde die Erstattung der von der AG einbehaltenen Kapitalertragsteuer im Erstattungsverfahren vom BZSt unter Verstoß gegen das Unionsrecht gemäß § 50d Abs. 3 EStG 2007 abgelehnt. Für eine weitere Gewinnausschüttung war der österreichischen Muttergesellschaft zunächst eine sog. Freistellungsbescheinigung erteilt worden, nach der die AG keine Kapitalertragsteuer hätte einbehalten müssen. Diese Freistellungsbescheinigung wurde vom BZSt unter Berufung auf § 50d Abs. 3 EStG 2007 in unionsrechtswidriger Weise widerrufen. Das BZSt hatte nach Ergehen der EuGH-Entscheidung Deister Holding und Juhler Holding die Kapitalertragsteuer im Rahmen der zeitweise ruhenden Einspruchsverfahren erstattet. Die allein streitgegenständlichen Verzinsungsanträge der österreichischen Muttergesellschaft hatte es abgelehnt. Eine Verzinsung für erstattete Kapitalertragsteuerbeträge sei nicht zu gewähren, wenn die Steuer unter Abhilfe eines Einspruchs erstattet werde.
Der Klage wurde teilweise stattgegeben (FG Köln, Urteil v. 17.11.2021 - 2 K 1544/20; s. hierzu unsere NWB YAAAI-02538).
Die Richter des BFH gaben der Revision der Klägerin statt:
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Der österreichischen Muttergesellschaft steht eine Verzinsung nach dem unionsrechtlichen Zinsanspruch zu.
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Das zweigeteilte Verfahren des Kapitalertragsteuereinbehalts mit dem Erfordernis für den Anteilseigner, sich die Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 43b EStG antragsgebunden erstatten zu lassen, ist mit dem Unionsrecht grundsätzlich vereinbar.
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Erstattungsbeträge zur Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 43b EStG und Art. 5 der MTR sind nach dem Unionsrecht zu verzinsen, wenn dem Anteilseigner vom BZSt die Erstattung der Kapitalertragsteuer unter Bezugnahme auf § 50d Abs. 3 EStG 2007 ohne Anhaltspunkte, die auf eine missbräuchliche Gestaltung im Einzelfall hindeuten, vorenthalten wird.
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Das FG hat der Ermittlung der Zinsansprüche der Klägerin jedoch zu kurze Verzinsungszeiträume zugrunde gelegt. Aus diesem Grund ist das FG-Urteil für die mit der Revision der Klägerin weiterverfolgten Zinsansprüche aufzuheben.
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Der Zinslauf beginnt in Fällen, in denen ohne ein vorheriges Freistellungsbescheinigungsverfahren die Erstattung der Kapitalertragsteuer beantragt wird, drei Monate nach der Einreichung eines formal ordnungsgemäßen Erstattungsantrags. Er endet mit dem Tag der Auszahlung des Erstattungsbetrags.
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Der Zinslauf beginnt in Fällen, in denen eine zunächst erteilte Freistellungsbescheinigung unter Bezugnahme auf § 50d Abs. 3 EStG 2007 vom BZSt widerrufen wird, ohne dass Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Gestaltung vorliegen, mit dem Tag des Einbehalts der Kapitalertragsteuer und endet mit dem Tag der Auszahlung des Erstattungsbetrags.
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Die Zinsen sind für den relevanten Zinslauf nach dem Zinssatz gemäß § 238 AO (6 % p.a.) ohne Begrenzung auf volle Zinsmonate und unter Berücksichtigung der Regelung in § 187 Abs. 1 BGB taggenau zu ermitteln.
Hinweis: Die Entscheidung dürfte lt. BFH eine beträchtliche finanzielle Tragweite für den Fiskus haben. In der Vergangenheit hatte das BZSt vielen ausländischen Anteilseignern die Erstattung von Kapitalertragsteuer unter Berufung auf § 50d Abs. 3 EStG (i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13.12.2006, BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28) verweigert, was nach den Entscheidungen des EuGH Deister Holding und Juhler Holding vom 20.12.2017 - C 504/16 und C 613/16 (EU:C:2017:1009) jedoch gegen das Unionsrecht verstieß. In all diesen Fällen kann es nunmehr zur Festsetzung von Zinsen kommen.
Quelle: BFH, Pressemitteilung v. 15.5.2025 und BFH, Urteil v. 25.2.2025 - VIII R 32/21; NWB Datenbank (lb)
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