Online-Nachricht - Donnerstag, 22.05.2025
Verfahrensrecht | Erlass von Säumniszuschlägen wegen sachlicher Unbilligkeit (BFH)
Ob der Steuerpflichtige einen Anspruch auf den Erlass von Säumniszuschlägen hat, weil er alles Erforderliche getan hat, um die – tatsächlich nicht erwirkte – Aussetzung der Vollziehung (AdV) zu erreichen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das gilt auch für die Frage, ob er einen Antrag auf AdV beim Finanzgericht hätte stellen müssen (BFH, Urteil v. 25.2.2025 - VIII R 2/23; veröffentlicht am 22.5.2025).
Hintergrund: Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls aus persönlichen oder sachlichen Gründen unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch Ansprüche auf Säumniszuschläge (§ 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 4 Nr. 5 AO; vgl. auch BFH, Urteil v. 18.9.2018 - XI R 36/16, BStBl II 2019, 87, Rz 26, m.w.N.).
Sachverhalt: Streitig ist, ob Säumniszuschläge aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sind. Das FG der ersten Instanz hatte den Erlass von Säumniszuschlägen abgelehnt. Die Kläger hätten im Streitfall nicht alles getan, um eine AdV des Einkommensteuerbescheids des Streitjahres zu erreichen. Hierfür wäre jedenfalls auch ein gerichtlicher Antrag auf AdV erforderlich gewesen.
Die Richter des BFH hoben das erstinstanzliche Urteil auf und wiesen die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück:
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Sachlich unbillig ist die Einziehung einer Steuer oder steuerlichen Nebenleistung, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall zuwiderläuft.
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Nach der Rechtsprechung des BFH sind Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, wenn die Steuerfestsetzung später aufgehoben wird und der Steuerpflichtige alles getan hat, um die AdV des Steuerbescheids zu erreichen, das Finanzamt oder das FG aber die Aussetzung, obwohl möglich und geboten, abgelehnt haben (vgl. BFH, Urteil v. 18.9.2018 - XI R 36/16, BStBl II 2019, 87, Rz 36, unter Verweis auf BFH, Urteile v. 29.8.1991 - V R 78/86, BStBl II 1991, 906; BFH, Urteil v. 20.5.2010 - V R 42/08, BStBl II 2010, 955, Rz 22; BFH, Urteil v. 24.4.2014 - V R 52/13, BStBl II 2015, 106, Rz 12 sowie v. 10.3.2016 - III R 2/15, BStBl II 2016, 508, Rz 31). Unter diesen Umständen wären Säumniszuschläge nicht entstanden. Deshalb kann das Ermessen unter Umständen so reduziert sein, dass in einem solchen Fall nur der Erlass der Säumniszuschläge ermessensfehlerfrei ist (vgl. BFH, Urteil v. 18.9.2018 - XI R 36/16, BStBl II 2019, 87, Rz 37, m.w.N.).
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Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob der Steuerpflichtige nach der Ablehnung seines AdV-Antrags durch das Finanzamt auch noch bei Gericht AdV beantragt haben muss, um den Erlass von Säumniszuschlägen beanspruchen zu können ("alles getan").
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Dies erscheint z.B. denkbar, wenn die Ablehnung der AdV darauf beruht, dass das Finanzamt an Richtlinien oder andere Verwaltungsanweisungen gebunden ist (vgl. hierzu BFH, Urteil v. 4.7.2023 - VIII R 29/20, BStBl II 2023, 1005, Rz 18). In einem solchen Fall kann es erfolgversprechend sein, einstweiligen Rechtsschutz auch noch beim FG zu beantragen. Dafür müssen aber besondere Umstände vorliegen.
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Fehlt es daran, kann der begehrte Erlass von Säumniszuschlägen nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, der Steuerpflichtige habe es versäumt, AdV auch noch bei Gericht zu beantragen. Eine dahin gehende starre Obliegenheit lässt sich der Rechtsprechung nicht entnehmen. Hat der Steuerpflichtige seinen AdV-Antrag beim Finanzamt ausreichend substantiiert, hat er grundsätzlich alles Erforderliche getan, um AdV zu erlangen.
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Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Finanzbehörde im AdV-Verfahren zur Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen verpflichtet bleibt (§ 88 AO). Auch das Finanzamt darf die Zweifelsprüfung auf die vom Antragsteller dargelegten Umstände begrenzen (vgl. BFH, Urteil v. 18.9.2018 - XI R 36/16, BStBl II 2019, 87, Rz 40, m.w.N.).
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Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des FG ist die Sache zurückzuverweisen: Ob die Kläger vor der erfolgreichen Minderung der Steuerfestsetzungen im Sinne der Rechtsprechung "alles getan" haben, um im Hinblick auf diese Besteuerungsgrundlagen die AdV des Steuerbescheids zu erreichen, hängt vor allem vom Inhalt der beiden AdV-Anträge ab, die die Kläger gestellt haben. In den vom FG beigezogenen Akten fehlen diese Schreiben.
Quelle: BFH, Urteil v. 25.2.2025 - VIII R 2/23; NWB Datenbank (il)
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