Online-Nachricht - Donnerstag, 10.07.2025

Abgabenordnung | Anspruch auf Infor­mations­zugang in die der Richt­satz­samm­lung zugrunde liegenden Unter­lagen (BFH)

Bei § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 des Finanz­ver­wal­tungs­gesetzes (FVG) han­delt es sich um eine spezial­gesetz­liche Rege­lung, die nach ihrem Wort­laut eine Ver­trau­lich­keits­pflicht anord­net und ins­beson­dere einen Anspruch auf Einsicht in die Dokumente nach den Infor­mations­frei­heits­gesetzen des Bundes und der Länder aus­schließt. Daher wird ein An­spruch nach dem Infor­mations­frei­heits­gesetz des Landes Mecklen­burg-Vorpom­mern hin­sicht­lich der Unter­lagen für die amtliche Richt­satz­samm­lung aus­ge­schlos­sen (BFH, Urteil v. 9.5.2025 - IX R 1/24; veröf­fent­licht am 10.7.2025).

Hintergrund: Nach § 21a Abs. 1 Satz 1 FVG können zur Verbes­serung und Erleich­terung des Vollzugs von Steuer­gesetzen und im Interesse des Zieles der Gleich­mäßig­keit der Besteue­rung vom Bundes­minis­terium der Finanzen (BMF) mit Zustim­mung der obersten Finanz­behörden der Länder unter anderem einheit­liche Verwal­tungs­grund­sätze bestimmt werden. Nach § 21a Abs. 1 Satz 4 FVG ist die Vertrau­lichkeit zugehöriger Sitzungen zu wahren, wenn nicht im Einzelfall einstimmig etwas anderes beschlossen wurde. Ent­sprechendes gilt nach § 21a Abs. 1 Satz 5 FVG für Beratungen im schrift­lichen Verfahren.

Die amtliche Richt­satz­sammlung ist ein Hilfsmittel, das von den Betriebs­prüfern der Finanz­ämter als Hilfs­mittel für die Verprobung von Umsätzen und Gewinnen von Steuer­pflich­tigen heran­gezogen wird. Sie wird jährlich in Form eines Schreibens vom Bundes­minis­terium der Finanzen (BMF) auf seiner Homepage veröf­fentlicht.

Sachverhalt: Der Kläger beantragte beim Finanz­minis­terium Mecklen­burg-Vorpom­mern (FinMin) als oberste Behörde bei den Landes­finanz­behörden u.a. die Beantwortung von vier Fragen hinsichtlich der Erstellung der steuer­lichen Richt­satz­sammlung. Das FinMin erteilte dem Kläger unter anderem Auskünfte in Form allge­meiner Aus­führungen zur Entstehung, Bekannt­gabe und Anwen­dung der Richt­satz­sammlung. Weitere Informationen seien gemäß § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG vertraulich und nicht zur Weitergabe an Dritte außerhalb der Finanz­verwal­tung bestimmt. Einer Aufhebung der Vertraulichkeit und damit einer Offen­legung hatte die für die Richt­satzsamm­lung zuständige Bund-Länder-Arbeits­gruppe nicht zuge­stimmt. Das FinMin lehnte daher die Erteilung weiterer Infor­mationen ab.

Das FG gab der Klage hinsichtlich der vom Kläger gestellten Fragen zu 1. und 2. statt (FG Mecklen­burg-Vorpom­mern, Urteil v. 23.11.2023 - 2 K 349/21). Soweit der Kläger mit seiner Frage unter 1. die Information begehre, wie viele Betriebe in den Jahren 2016 bis 2020 einer Außenprüfung unterzogen worden seien, mit dem Ziel, die Prüfungs­daten in die Richtsatz­samm­lung einfließen zu lassen (soge­nannte Richtsatz­prüfung), sei die Klage begründet. Dies gelte auch für die unter 2. ange­sprochenen weiteren Fragen, nach welchen Kriterien diese Betriebe ausgewählt werden, ob es Vorgaben dazu gebe und wer entscheide, welche Betriebs­prüfung zur Grundlage gemacht werde. Die begehrten Informa­tionen unterfielen nicht dem Anwen­dungs­bereich des § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG.

Die Richter des BFH hoben das FG-Urteil insoweit auf, als das FinMin zur Beantwortung der vom Kläger aufge­worfenen Fragen zu 1. und 2. verurteilt wurde:

  • Die Revision des FinMin ist begründet. Das FG hat Bundes­recht verletzt, indem es das FinMin verpflichtet hat, die zu 1. und 2. vom Kläger gestellten Fragen zu beantworten. Denn insoweit steht § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG einem Auskunftsanspruch des Klägers nach § 32e AO i.V.m. dem Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen für das Land Mecklen­burg-Vor­pommern (Infor­mations­freiheits­gesetz MV v. 10.7.2006, Gesetz- und Verord­nungsblatt für das Land Mecklen­burg-Vorpom­mern 2006, 556) entgegen.

  • § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG schließt ein Auskunftsrecht nach dem Informa­tions­freiheits­gesetz MV aus. Das Informationsfreiheitsgesetz MV wird nur durch bundes­recht­liche Normen verdrängt, die einen mit ihm iden­tischen sachlichen Regelungs­gegen­stand aufweisen.

  • Im FVG besteht mit § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG eine spezial­gesetzliche Regelung, die eine Vertraulichkeit hinsicht­lich des Zustande­kommens von Schreiben des BMF und damit auch der Richtsatzsammlung anordnet. Denn die Sitzungen der für die Ermittlung der Richtsätze zuständigen Gremien erfordern einen allein an der Sache orientierten freien und vertrauensvollen Austausch von Argumenten und eine unbeeinflusste Abstimmung. Die Sitzungs­inhalte und zugehörigen Unterlagen (zum Beispiel Protokolle, Entwürfe) sind daher grundsätzlich vertraulich und nicht zur Weitergabe an Empfänger außerhalb der Finanz­verwaltung bestimmt. Daher wird ein Anspruch nach dem Informa­tions­freiheits­gesetz MV hinsicht­lich der Unter­lagen für die amtliche Richt­satz­sammlung ausgeschlossen.

  • Das FG hat daher rechtsfehlerhaft die Anwend­barkeit des § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG verneint und auf der Grundlage des § 32e AO i.V.m. den Regelungen des Informa­tions­freiheits­gesetzes MV einen Aus­kunfts­anspruch des Klägers bejaht.

Quelle: BFH, Presse­mitteilung v. 10.7.2025 und BFH, Urteil v. 9.5.2025 - IX R 1/24; NWB Datenbank (lb)

 
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im IX. Senat des BFH Dr. Nils Trossen gelangen Sie hier (Login erforder­lich).