Online-Nachricht - Donnerstag, 17.07.2025

Einkommensteuer | Aktivierung von Provi­sions­ansprüchen bei Versiche­rungs­vertretern (BFH)

Der Zeitpunkt, zu dem Provi­sions­ansprüche von Ver­siche­rungs­ver­tretern zu akti­vieren sind, be­stimmt sich nach der Vertrags­gestal­tung im jewei­ligen Einzel­fall. Diese kann an das in § 92 Abs. 4 HGB gere­gelte gesetz­liche Leit­bild an­knüpfen, muss dies aber nicht (BFH, Urteil v. 30.4.2025 - X R 12 13/22; veröf­fent­licht am 17.7.2025).

Hintergrund: Nach § 92 Abs. 4 HGB hat der Versiche­rungs­vertre­ter Anspruch auf Provision (§ 87a Abs. 1 HGB), sobald der Versiche­rungs­nehmer die Prämie gezahlt hat, aus der sich die Provision nach dem Vertrags­verhält­nis berechnet.

Sachverhalt: Streitig ist, zu welchem Zeitpunkt Provi­sions­forde­rungen aus einer Tätigkeit als Versiche­rungs­vermitt­ler unter Beachtung des § 92 Abs. 4 HGB zu aktivieren sind:

Der Kläger arbeitet als Versiche­rungs­vermitt­ler für das Unter­nehmen U als Handels­vertreter i.S. der §§ 9284 ff. HGB. Seinen Gewinn ermittelt er durch Betriebs­vermögens­vergleich. Für die Vermittlung von Versiche­rungs­verträgen erhält er Provi­sionen i.S. des § 92 HGB von der U. Bei Verträgen, bei denen Storno­haftungs­zeiten zu beachten sind, entsteht der Provi­sions­anspruch erst, wenn der geworbene Kunde die nach den Provi­sions­bedin­gungen vorgesehene Anzahl an Beiträgen entrichtet hat (Nr. IV Abs. 11 des "Vermögens­berater-Vertrags" i.V.m. Anlage A Nr. II; entspricht § 92 Abs. 4 HGB). Dennoch leistet U für die Vermittlung solcher Verträge auch vor dem rechtlichen Entstehen des Provisions­anspruchs auf frei­williger Basis und im Wege der Vor­finan­zierung Zahlungen an seine Vermittler, die laufzeit­anteilig zurück­zugewähren sind, wenn der vermit­telte Vertrag vor Ablauf der Storno­haftungs­zeit aufgelöst wird. Zur Sicherung der vorfinan­zierten Beträge nimmt U einen als "Rück­stellung" bezeich­neten Einbehalt vor, dessen Höhe sich - in Abhän­gigkeit vom erzielten Umsatz - auf 10 bis 20 % der vorfinanzierten Beträge beläuft (Nr. IV Abs. 12 des Vertrags). Gutschriften, Belastungen und Zahlungen werden in einem von U für den jeweiligen Vermittler geführten Konto­korrent­konto erfasst. Über Provi­sionen und deren Stornie­rungen soll nach dem Vertrag monatlich abgerechnet werden, über die "Rück­stellungen" viertel­jährlich (vgl. Nr. IV Abs. 12, 13 des Vermögensberater-Vertrags).

In den Jahresabrechnungen über die "Rück­stellungen" werden zum einen die sog. "erforder­lichen Rück­stellungen" ausgewiesen. Hierbei handelt es sich um die nach Nr. IV Abs. 12 des Vermögens­berater-Vertrags einzu­behaltenden Beträge, die sich rechnerisch nach Maßgabe der vorfinanzierten Provisionen und des vertraglichen Rückstel­lungs-Prozentsatzes ergeben (vom FG der ersten Instanz als "Soll-Rückstellung" bezeichnet). Zum anderen wird in den Jahresabrechnungen der Ist-Stand der "Rückstel­lung" angegeben (Bezeichnung des FG: "Ist-Rückstellung"). Dieser Ist-Stand wird nicht direkt erläutert. Allerdings wird eine "Überdeckung" (die "Ist-Rückstel­lung" übersteigt die "Soll-Rückstellung") auf das laufende Konto­korrent­konto umgebucht und steht dem Vermitt­ler dort zur Verfügung. Im Fall einer "Unterdeckung" (die "Soll-Rück­stellung" übersteigt die "Ist-Rückstel­lung") können aus dem Pro­visions­rückstel­lungs­konto keine Auszahlungen erfolgen, bis wieder eine Überdeckung vorliegt. Das Abrechnungs-Musterformular enthält einen Hinweis darauf, dass die "Ist-Rückstellung" in der Bilanz des Vermögens­beraters zum jeweiligen 31.12. des Jahres zu aktivieren sei.

Das FA vertrat die Auffassung, dass die auf dem Provi­sions­rück­stellungs­konto ausge­wiesenen Beträge zu akti­vieren seien; maßgebend hierfür sei die Soll-Rückstel­lung. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Forde­rungen gegen U nur mit dem Ist-Stand des Provi­sionsrück­stellungs­kontos angesetzt werden dürften, da nur in dieser Höhe eine Forderung bestanden habe. Der höhere Soll-Betrag sei nicht maßgebend. Die Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg (Schleswig-Holstein­isches FG, Urteil v. 26.10.2021 - 3 K 28/20, 3 K 29/20; s. hierzu Rätke, BBK 13/2023 S. 575).

Die Richter des BFH hoben das Urteil auf und wiesen die Sache zur ander­weitigen Verhandlung und Entschei­dung zurück:

  • Der Zeitpunkt, zu dem Provisions­ansprüche von Versiche­rungs­vertretern zu aktivieren sind, bestimmt sich nach der Vertrags­gestaltung im jeweiligen Einzelfall. Diese kann an das in § 92 Abs. 4 HGB geregelte gesetzliche Leitbild anknüpfen, muss dies aber nicht.

  • Wenn sich aus der maßgeblichen Provisionsregelung ergibt, dass ein Provisionsanspruch für ein vermitteltes Geschäft noch nicht entstanden ist, handelt es sich bei gleichwohl vom Auftrag­geber vorge­nommenen Auszahlungen lediglich um Pro­visions­vorschüsse. Diese sind beim Versiche­rungs­vertreter als erhaltene Anzahlungen zu passivieren und daher zunächst noch nicht gewinnrealisierend (Fortführung des BFH-Urteils v. 17.3.2010 - X R 28/08, BFH/NV 2010, 2033, Rz 13 f.).

  • Demgegenüber ist ein Provisions­anspruch zu aktivieren, wenn er rechtlich entstanden ist und der Leistungs­verpflich­tete seine Verpflich­tung wirtschaft­lich erfüllt hat. Auf den Zeitpunkt der Fällig­keit und der tatsäch­lichen Auszahlung der Provi­sions­for­derung kommt es für die ertrag­steuer­recht­liche Gewinn­reali­sierung nicht an (zum Ganzen BFH-Urteil v. 9.10.2013 - I R 15/12, BFH/NV 2014, 907, Rz 16). Daher ist ein Pro­visions­anspruch bereits dann zu aktivieren, wenn die maßgebende Verein­barung vorsieht, dass der Provisions­anspruch schon mit Zahlung des ersten Monatsbeitrags durch den Versicherungsnehmer in vollem Umfang entsteht, selbst wenn die Fälligkeit in Anknüpfung an weitere Beitrags­zahlungen des Versiche­rungs­nehmers hinaus­geschoben wird (vgl. auch hierzu BFH-Urteil v. 9.10.2013 - I R 15/12, BFH/NV 2014, 907, Rz 15).

  • Gegenstand einer Schätzung nach § 162 Abs. 1, 2 AO können nur quantitative Größen sein, nicht aber qualitative Besteue­rungs­merkmale wie ganze Sach­verhalte oder Tatsachen­fragen.

Quelle: BFH, Urteil v. 30.4.2025 - X R 12 13/22; NWB Datenbank (il)

 
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im X. Senat des BFH Prof. Dr. Gregor Nöcker gelangen Sie hier (Login erforder­lich).