Online-Nachricht - Donnerstag, 17.07.2025
Verfahrensrecht | Beihilfeprüfung und steuerrechtliche Gemeinnützigkeit von Servicekörperschaften (BFH)
Der BFH hat dem EuGH drei Fragen zur Auslegung von Art. 107 und Art. 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (AEUV) in Bezug auf gemeinnützigkeitsrechtliche Steuervergünstigungen im nationalen Recht (§§ 51 bis 68 AO) vorgelegt (BFH, Beschluss v. 22.5.2025 - V R 22/23; veröffentlicht am 17.7.2025).
Hintergrund: Nach § 57 Abs. 3 AO verfolgt eine Körperschaft ihre steuerbegünstigten Zwecke auch dann unmittelbar i.S.d. § 57 Abs. 1 S. 1 AO, wenn sie satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit mindestens einer weiteren Körperschaft, die im Übrigen die Voraussetzungen des §§ 51 bis 68 AO erfüllt, einen steuerbegünstigten Zweck verwirklicht.
Sachverhalt: Die Klägerin ist eine GmbH, die nach ihrer Satzung gemeinnützig tätig sein sollte und den Satzungszweck durch planmäßiges Zusammenwirken mit einer gemeinnützig tätigen Stiftung durch Erbringung von Service- und Dienstleistungen im Bereich der Finanzbuchhaltung und des Rechnungswesens verwirklichte. Das Finanzamt erkannte die GmbH nicht als gemeinnützig an, weil die Satzung der Stiftung keinen Hinweis auf ein planmäßiges Zusammenwirken mit der GmbH enthielt. § 57 Abs. 3 AO erfordere, dass die Körperschaft, mit der kooperiert werde, und die Art und Weise der Kooperation in den Satzungen beider Körperschaften bezeichnet würden (sogenanntes doppeltes Satzungserfordernis), was in der Satzung der Stiftung nicht der Fall sei.
Der hiergegen erhobenen Klage wurde stattgegeben (FG Hamburg, Urteil v. 26.9.2023 - 5 K 11/23; s. hierzu Rätke, BBK online und Seeger / Imberg, NWB 2/2024 Seite 90). Die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die Gemeinnützigkeit seien erfüllt.
Ist im Rahmen des streitigen Feststellungsverfahrens nach § 60a AO aufgrund der Neuregelung von einer unmittelbaren steuerbegünstigten Zweckverfolgung auszugehen, kann die Klägerin z.B. ihre Leistungen an die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Stiftung zum ermäßigten Umsatzsteuersatz erbringen, während Wettbewerber dieselben Leistungen nur zum Regelsteuersatz erbringen können. Damit kann die Neuregelung des § 57 Abs. 3 AO in Bezug auf die Erbringung beliebiger marktgängiger Leistungen auf dem Nachfragemarkt steuerbegünstigter Körperschaften als zu Lasten anderer Anbieter wettbewerbsrelevant angesehen werden.
Daher hat der EuGH nunmehr unter Auslegung von Art. 107 und Art. 108 AEUV zu entscheiden, ob eine beihilferelevante Unternehmensbegünstigung vorliegt. Somit setzten die Richter des BFH das Verfahren aus und legten dem EuGH die folgenden Fragen vor:
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Ist Art. 107 Abs. 1 AEUV dahingehend auszulegen, dass eine unter diese Vorschrift fallende staatliche Beihilfe vorliegt, wenn einer Körperschaft nach einer nationalen Regelung für eine wirtschaftliche Tätigkeit die Steuerbegünstigung eines Zweckbetriebs auch dann zusteht, wenn sie ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke nicht unmittelbar selbst zu verwirklichen hat, sondern diese Zwecke satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit einer anderen steuerbegünstigten Körperschaft verfolgen kann, so dass sie als Servicekörperschaft an diese andere Körperschaft steuerbegünstigt Leistungen jeglicher Art im Wettbewerb zu nicht steuerbegünstigten Leistungsanbietern erbringen kann?
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Steht es dem hierfür erforderlichen selektiven Vorteil entgegen, dass die Servicekörperschaft gemeinnützigkeitsrechtlichen Beschränkungen insbesondere im Hinblick auf Mittelverwendung und Vermögensbindung unterliegt?
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Bei Bejahung der Beihilfe: Ist Art. 108 Abs. 3 AEUV dahingehend auszulegen, dass eine dieser Vorschrift unterliegende Umgestaltung einer Beihilfe vorliegt, wenn das nationale Recht zwar bereits vor dem 1.1.1958 eine Steuerbegünstigung für wirtschaftliche Tätigkeiten als Zweckbetrieb vorsah, der Anwendungsbereich dieser Steuerbegünstigung aber danach in der Weise erweitert wurde, dass eine Servicekörperschaft an andere steuerbegünstige Körperschaften steuerbegünstigt Leistungen jeglicher Art im Wettbewerb zu nicht steuerbegünstigten Leistungsanbietern erbringen kann?
Hinweis: Nach § 108 Abs. 3 AEUV ist die Kommission grundsätzlich vor jeder Neueinführung oder Umgestaltung einer Beihilfe zu unterrichten. Die Notifizierung bedeutet nicht per se, dass die Beihilfe wettbewerbsverzerrend sein muss. Sie dient vielmehr der Prüfung durch die Kommission, ob die Beihilfe genehmigungsfähig ist. Ein solches Notifizierungsverfahren wurde nach Auskunft des Bundesministeriums der Finanzen aber im Streitfall nicht durchgeführt. Sollte der EuGH entscheiden, dass § 57 Abs. 3 AO eine neue Beihilfe darstellt, die wettbewerbsverzerrend wirkt, dürfte die Vorschrift nicht mehr angewendet werden. Servicekörperschaften wie auch der Klägerin wäre der Status der steuerbegünstigten Gemeinnützigkeit zu versagen.
Quelle: BFH, Beschluss v. 22.5.2025 - V R 22/23; NWB Datenbank (lb)
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