Online-Nachricht - Donnerstag, 24.07.2025

Umsatzsteuer | Zur Steuer­befrei­ung der vertre­tungs­weisen Über­nahme eines ärzt­lichen Not­fall­dienstes gegen Ent­gelt (BFH)

Die entgelt­liche Über­nahme ärzt­licher Not­fall­dienste durch einen Arzt (unter Frei­stel­lung des ur­sprüng­lich ein­geteil­ten Arztes von sämt­lichen Ver­pflich­tungen im Zusam­men­hang mit diesem Dienst) ist unab­hängig davon, wem gegen­über diese sonstige Leistung er­bracht wird, als Heil­behand­lung im Sinne des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei (BFH, Urteil v. 14.5.2025 - XI R 24/23; veröf­fent­licht am 24.7.2025).

Hintergrund: Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG sind "Heil­behand­lungen im Bereich der Human­medizin, die im Rahmen der Aus­übung der Tätig­keit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden", steuerfrei.

Sachverhalt: Der Kläger war selbständiger Arzt in der Allgemeinmedizin. In den Streitjahren nahm der Kläger am ärztlichen Notfalldienst im Sitz- und Fahrdienst als Ver­treter für andere Ärzte unter Über­nahme der Verant­wortung für die ordnungs­gemäße Durch­führung des Not­dienstes teil. Einen eigenen Praxis­betrieb unter­hielt der Kläger nicht. Daneben führte der Kläger in den Streit­jahren für eine Polizei­behörde Blutent­nahmen durch. Im Zuge einer Außen­prüfung ermit­telte das FA ent­sprechende Ein­nahmen aus Privat­liquida­tionen. Im Bericht über die Betriebs­prüfung stellte das FA darüber hinaus unter anderem fest, dass die Haupt­tätig­keit des Klägers darin bestehe, zum ärzt­lichen Notfall­dienst verpflich­tete Ärzte zu vertreten und den Notdienst für diese auszu­üben. Diese Tätigkeit sei entgegen der Hand­habung durch den Kläger steuer­pflichtig. Der Kläger erbringe bei der Übernahme des Not­dienstes eine Leistung, die getrennt von der Heil­behand­lung zu würdigen sei. Es handele sich nicht um eine einheit­liche Leistung mit der Behand­lung der Patienten. In den Streit­jahren seien damit die Brutto­einnahmen der Umsatz­steuer zu 19 % zu unter­werfen. Soweit der Kläger darüber hinaus Blutent­nahmen durch­führe, sei dies ebenfalls entgegen der bis­herigen Hand­habung steuer­pflichtig. Einem thera­peutischen Zweck diene die medizi­nische Leistung nicht. Steuerfrei seien dagegen insbe­sondere die im Rahmen des ärztlichen Not­dienstes durch die Behand­lung der Patienten ausge­führten Heil­behand­lungs­leistungen.

Die hiergegen gerichtete Klage des Klägers wurde abge­wiesen (FG Münster, Urteil v. 9.5.2023 - 15 K 1953/20 U; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 17.7.2023 und Rennar, USt direkt digital 14/2023 S. 14).

Die Richter des BFH hoben das FG-Urteil auf:

  • Wie das FG zutreffend erkannt hat, sind die vom Kläger durch­geführten Blutent­nahmen für die Polizei­behörde nicht von der Umsatz­steuer befreit. Der Kläger kann aber hinsicht­lich der Streitjahre 2014 bis 2016 die Anwendung der Klein­unter­nehmer­regelung im Sinne des § 19 UStG a.F., auf deren Anwendung er nicht verzichtet hat, bean­spruchen.

  • Der Begriff der Heilbehandlungen im Bereich der Human­medizin umfasst Leistungen, die der Diagnose, der Behand­lung und, soweit möglich, der Heilung von Krank­heiten oder Gesund­heits­störungen dienen, und demnach einen thera­peutischen Zweck haben (vgl. u.a. EuGH, Urteil v. 5.3.2020 – C-48/19; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 9.3.2020).

  • Das FG ist somit zu Unrecht davon ausge­gangen, dass die Über­nahme der Vertretung im ärztlichen Notfall­dienst steuer­pflichtig ist. Die entgeltliche Übernahme ärztlicher Notfall­dienste durch einen Arzt ist als Heilbehandlung im Sinne des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG umsatz­steuer­frei.

  • Das FG hat den vorliegenden Sachverhalt dahingehend gewürdigt, dass es sich bei den Zahlungen, die der Kläger von den durch ihn vertre­tenen Ärzten erhielt, um ein Entgelt dafür gehandelt habe, dass der Kläger diese Ärzte von ihrer Verpflich­tung, einen ärztlichen Notfall­dienst während eines festgelegten Zeitraums erbringen zu müssen, frei­stellte. Nach der Würdigung des FG wollten sich die vom Kläger vertretenen Ärzte den in der Frei­stellung von sämt­lichen Ver­pflichtungen im Zusammen­hang mit dem ihnen zuge­teilten Notfall­dienst liegenden Vorteil verschaffen. Hierbei hat das FG jedoch nicht berück­sichtigt und bedacht, dass der Kläger die zum Notfall­dienst einge­teilten Ärzte nur deshalb durch die Übernahme des Dienstes frei­stellen konnte, weil er dann selbst den ärztlichen Notfalldienst ausführte.

  • Die Bereitschaft, jederzeit und unmittelbar privat- und kassen­ärztliche Leistungen in Not­fällen zu Zeiten zu erbringen, zu denen eine haus- oder fach­ärztliche Versor­gung nicht stattfindet, dient an sich einem thera­peutischen Zweck, da der Kläger sich während des Bereit­schafts­dienstes bereit­hält, um gesund­heitliche Gefahren­situa­tionen bei Notfall­patienten zu erkennen, gegebenen­falls sofort ent­sprechende Maßnahmen einzu­leiten und damit einen größt­möglichen Erfolg einer (späteren) Behand­lung in einer Klinik, bei einem Fach- oder Hausarzt sicher­zustellen (vgl. BFH, Urteil v. 2.8.2018 – V R 37/17; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 2.1.2019).

  • Die entgeltliche Übernahme ärztlicher Notfall­dienste durch einen Arzt (unter Frei­stellung des ursprünglich eingeteilten Arztes von sämtlichen Verpflichtungen im Zusammen­hang mit diesem Dienst) ist unabhängig davon, wem gegenüber diese sonstige Leistung erbracht wird, als Heilbehand­lung im Sinne des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG umsatzsteuerfrei.

Hinweise: Der BFH überträgt einerseits seine Recht­sprechung zu Bereit­schafts­diensten bei Groß­veranstal­tungen (vgl. BFH, Urteil v. 2.8.2018 - V R 37/17, BFHE 263, 63) auf den „Sitz- und Fahrdienst“. Anderer­seits stellt er auch insoweit die Leistungs­erbringung durch einen fachlich quali­fizierten Subunter­nehmer des Arztes der Leistungs­erbringung durch den Arzt selbst gleich.

Die tätig­keits­bezogene Betrach­tungs­weise des BFH gewähr­leistet zudem die möglichst gleich­mäßige Umsatz­besteuerung ärztlicher Notfalldienste in ganz Deutschland, da es dadurch auf die erheb­lichen regionalen Unter­schiede in der Organisation der Vertretung bei Notfall­diensten durch die jeweils zuständige Kassen­ärztliche Vereini­gung nicht ankommt.

Quelle: BFH, Pressemitteilung v. 24.7.2025 und BFH, Urteil v. 14.5.2025 - XI R 24/23; NWB Datenbank (lb)

 
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im XI. Senat des BFH Prof. Dr. Alois Nacke gelangen Sie hier (Login erforder­lich).