Online-Nachricht - Donnerstag, 31.07.2025
Umsatzsteuer | Prüfung von Vertrauensschutz bei der Differenzbesteuerung (BFH)
Der BFH hat dem EuGH eine Frage zur Prüfung von Vertrauensschutz bei der Differenzbesteuerung zur Vorabentscheidung vorgelegt (BFH, Beschluss v. 19.2.2025 - XI R 23/24; veröffentlicht am 31.7.2025).
Sachverhalt: Die Klägerin ist Online-Händlerin für Schmuck und Uhren im Einzel- und Großhandel. In den Streitjahren 2013 und 2024 wendete sie teilweise die Differenzbesteuerung nach § 25a UStG (Art. 311 ff. MwStSystRL) an. Das FA nahm nach einer Außenprüfung an, die Klägerin habe bei dem Weiterverkauf bestimmter Uhren zu Unrecht die Differenzbesteuerung in Anspruch genommen. Denn bei den im Streit stehenden Ankäufen seien die Verkäufer ihrerseits zur Anwendung der Differenzbesteuerung nicht berechtigt gewesen. Es habe sich um Neuware ge-handelt. Ein Nachweis über den Ankauf von Gebrauchtuhren liege nicht vor. Das FA unterwarf die streitbefangenen Umsätze daher der Regelbesteuerung. Die hiergegen Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg (Sächsisches FG, Urteil v. 24.10.2023 - 2 K 92/21). Dem FG zufolge hätten Nachforschungen ergeben, dass die Vorlieferanten zu Unrecht in ihren Rechnungen an die Klägerin angegeben hätten, dass die Besteuerung nach § 25a UStG erfolgt sei. Auf den guten Glauben der Klägerin komme im - hier allein im Streit stehenden - Festsetzungsverfahren nicht an. Vertrauensschutz sei nicht im Rahmen der Steuerfestsetzung, sondern allenfalls im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227 AO zu gewähren.
Die Klägerin ist dagegen der Meinung, es verstoße gegen das unionsrechtliche Effektivitätsgebot, sie mit ihrem Vertrauen auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Differenzbesteuerung auf das Billigkeitsverfahren zu verweisen.
Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:
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In Bezug auf die Frage, wie der gute Glaube des Steuerpflichtigen an das Vorliegen der Voraussetzungen einer Vorschrift geschützt ist, wird im nationalen Recht differenziert:
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Soweit das UStG selbst den Schutz des guten Glaubens bzw. des Vertrauens vorsieht, wird Vertrauensschutz bereits bei der Festsetzung der Umsatzsteuer gewährt (s. § 6a Abs. 4 Satz 2 UStG sowie § 13b Abs. 5 Satz 8 UStG).
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Soweit ein Schutz des guten Glaubens nicht im Gesetzestext des UStG vorgesehen ist, wird der gute Glaube des Steuerpflichtigen nur in einem - vom Festsetzungsverfahren getrennten - Billigkeitsverfahren geschützt (Rechtsprechung des BFH zu § 6 UStG: u.a. BFH, Urteil v. 30.7.2008 - V R 7/03, BStBl II 2010, 1075, Leitsatz 1); Rechtsprechung des BFH zu § 15 UStG: u.a. BFH, Urteil v. 30.4.2009 - V R 15/07, BStBl II 2009, 744, unter II.3.a; Rechtsprechung des BFH in Bezug auf die Geltendmachung eines Direktanspruchs gegen den Fiskus: u.a. BFH, Urteil v. 30.6.2015 - VII R 30/14, BStBl II 2022, 246, Rz 17 ff.).
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Soweit sich der Steuerpflichtige auf Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes bereits im Festsetzungsverfahren - vor Bekanntgabe der Steuerfestsetzung - beruft, ist die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme gem. § 163 Abs. 2 AO allerdings regelmäßig mit der Steuerfestsetzung zu verbinden (vgl. BFH-Urteil v. 22.7.2015 - V R 23/14, BStBl II 2015, 914, Rz 32, 46). Dies ist im Streitfall jedoch nicht geschehen.
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Für die Differenzbesteuerung sieht § 25a UStG den Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale im Gesetzestext nicht vor.
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Würde der BFH seine Rechtsprechung konsequent fortführen, wäre der Auffassung der Vorinstanz zu folgen und es käme im Streitfall auf die Prüfung, ob die Klägerin gutgläubig war und von ihren Lieferanten über das Vorliegen der Voraussetzungen der Differenzbesteuerung getäuscht worden ist, mangels einer entsprechenden Normierung im Gesetzestext nicht an.
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Der BFH hat allerdings die Frage, ob die o.g. Maßstäbe auf die Differenzbesteuerung (§ 25a UStG) zu übertragen sind, bisher offengelassen. In den zu entscheidenden Fällen war die Rechtsfrage unerheblich, da die Kläger nicht gutgläubig waren (vgl. u.a. BFH, Urteil v. 23.4.2009 - V R 52/07, BStBl II 2009, 860, Rz 39).
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Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH zur Differenzbesteuerung (EuGH, Urteil v. 18.5.2017 - C 624/15 "Litdana") sowie aufgrund grundsätzlicher Erwägungen hat der BFH Zweifel an der Versagung der Differenzbesteuerung im Festsetzungsverfahren. Das Gericht hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
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Steht Art. 314 der MwStSystRL unter Beachtung des Effektivitätsgebots einer nationalen Praxis entgegen, die einen guten Glauben des Wiederverkäufers an die Erfüllung der Voraussetzungen der Differenzbesteuerung bei seinem Vorlieferanten, der in seinen Rechnungen angegeben hat, die Differenzbesteuerung auf die Lieferung an den Wiederverkäufer angewendet zu haben, nur außerhalb des Steuerfestsetzungsverfahrens im Rahmen eines gesonderten Billigkeitsverfahrens berücksichtigt?
Quelle: BFH, Beschluss v. 19.2.2025 - XI R 23/24; NWB Datenbank (il)
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im XI. Senat des BFH Prof. Dr. Alois Nacke gelangen Sie hier (Login erforderlich).