Online-Nachricht - Donnerstag, 31.07.2025
Verfahrensrecht | Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter (BFH)
Ein Teilurteil i.S. des § 6 Abs. 2 FGO ist auch dann ergangen, wenn der Senat in der mündlichen Verhandlung zunächst einen noch nicht zur Entscheidung reifen Teil des Streitgegenstands abgetrennt und anschließend über den verbliebenen Teil des Streitgegenstands durch (Voll-)Urteil entschieden hat. Die Sperre des § 6 Abs. 2 FGO steht in dieser Situation einer Einzelrichterübertragung im abgetrennten Verfahren nicht entgegen (BFH, Urteil v. 20.3.2025 - III R 19/23; veröffentlicht am 31.7.2025).
Hintergrund: Nach § 6 Abs. 2 FGO darf der Rechtsstreit dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor dem Senat mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, dass inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.
Sachverhalt: Streitig sind die Rechtmäßigkeit von Zinsbescheiden zur Rückforderung von Investitionszulagen für die Kalenderjahre 2006 bis 2008 und die Zahlungsverjährung der Zinsansprüche: Der Kläger war bis zum 28.2.2009 in A, im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts K, danach bis zum 30.9.2010 in B, im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts R, und ab dem 1.10.2010 in C (Ausland) gemeldet. Seitdem wird der Kläger als beschränkt einkommensteuerpflichtig beim Finanzamt S geführt.
Er beantragte am 20.2.2008 für das Kalenderjahr 2006 und 2007 sowie am 14.3.2009 für 2008 die Gewährung von Investitionszulagen nach dem InvZulG 2007 für ein Erstinvestitionsvorhaben. Das Finanzamt K gewährte die Investitionszulagen jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Nachdem der Kläger sein Gewerbe zum 1.4.2011 abgemeldet hatte, änderte das Finanzamt K am 11.11.2011 die Bescheide über die Investitionszulagen für 2006, 2007 und 2008 nach § 164 Abs. 2 AO und setzte die Investitionszulage jeweils auf 0 € sowie Zinsen nach § 11 InvZulG 2007 fest. Nachdem das FA K zunächst ADV-Anträge des Klägers abgelehnt hatte, gewährte es mit Bescheid v. 30.4.2012 die beantragte AdV bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.
Am 24.6.2014 gab das Finanzamt K die Bearbeitung der Einsprüche an das beklagte FA ab. Das FA wies die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Einsprüche am 21.1.2015 als unbegründet zurück und gab dem Kläger die Entscheidung mit einfacher Post an seine Anschrift in C bekannt. Mit Schreiben vom 16.4.2015 beantragte der Kläger beim FA erneut AdV. Über diesen Antrag hat das FA nicht entschieden.
Mit seiner Klage wandte sich der Kläger gegen die Änderung der Investitionszulagenbescheide und gegen die Zinsbescheide. Das FG verhandelte am 24.3.2021 mündlich zur Sache. Nach der Erörterung der Sach- und Rechtslage trennte es das die Zinsbescheide betreffende Verfahren in der mündlichen Verhandlung ab (3 K 95/21). Am gleichen Tag verkündete das FG das Urteil im Verfahren 3 K 103/15, mit dem es die die Investitionszulagenbescheide betreffende Klage abwies. Mit dem in der mündlichen Verhandlung erklärten Einverständnis der Beteiligten ruhte das abgetrennte Verfahren gemäß Beschluss v. 6.4.2021 bis zum Abschluss des beim BVerfG anhängigen Verfahrens 1 BvR 2237/14. Nachdem das BVerfG am 8.7.2021 entschieden hatte (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 18.8.2021), übertrug das FG nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit mit Beschluss vom 27.10.2021 auf den Einzelrichter. Dieser wies die Klage gegen die Zinsbescheide am 14.12.2021 ab (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 14.12.2021 - 3 K 95/21, EFG 2024, 1225).
Der Kläger ist der Auffassung, das FG sei bei seiner Entscheidung fehlerhaft besetzt gewesen und rügt die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere von § 231 AO.
Die Richter des BFH hoben das Urteil auf und wiesen die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück.
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Das FG ist auf Grundlage seiner bisherigen tatsächlichen Feststellungen zu Unrecht davon ausgegangen, dass keine Zahlungsverjährung nach § 228 Satz 1 AO der Ansprüche aus den streitgegenständlichen Zinsbescheiden eingetreten sei.
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Entgegen der Auffassung des Klägers ist dem FG jedoch bei Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter gemäß § 6 Abs. 1 FGO mit Beschluss v. 27.10.2021 kein Verfahrensfehler unterlaufen, der einen absoluten Revisionsgrund darstellt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 1 FGO).
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§ 6 Abs. 2 FGO sieht eine Übertragungssperre vor, die eingreift, sobald in dem Rechtsstreit eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.
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Die Sperre setzt bereits mit dem Beginn der mündlichen Verhandlung ein (Brandis in Tipke/Kruse, § 6 FGO Rz 9; Sunder-Plassmann in HHSp, § 6 FGO Rz 46). Die Vorschrift lässt nur die in ihr aufgeführten Ausnahmen zu (BFH, Beschluss v. 26.3.2012 - I B 109/11, BFH/NV 2012, 1162, Rz 5), so dass nach dem Beginn einer mündlichen Senatsverhandlung eine Übertragung auf den Einzelrichter nur dann zulässig ist, wenn inzwischen ein Senatsurteil in Form eines Teil- oder Zwischenurteils (vgl. §§ 97 ff. FGO) oder eines Vorbehaltsurteils (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 302 ZPO) ergangen ist.
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Ein Teilurteil im Sinne des § 6 Abs. 2 FGO ist auch ergangen, wenn der Senat in der mündlichen Verhandlung zunächst einen noch nicht zur Entscheidung reifen Teil des Streitgegenstands abgetrennt und über den verbliebenen Teil durch taggleiches Senatsurteil entschieden hat. Die Übertragungssperre steht in dieser Fallkonstellation nach dem Normzweck des § 6 Abs. 2 FGO einer Einzelrichterübertragung im abgetrennten Verfahren nicht entgegen.
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Vorliegend ist die Sache nicht spruchreif. Sie muss zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden. Dadurch erhält das FG Gelegenheit, die Zahlungsverjährung, insbesondere das Vorliegen etwaiger verjährungsunterbrechender Maßnahmen während des anhängigen Verfahrens, erneut zu prüfen und die fehlenden Feststellungen nachzuholen.
Quelle: BFH, Urteil v. 20.3.2025 - III R 19/23; NWB Datenbank (il)
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im III. Senat des BFH Dr. Ralf Adam gelangen Sie hier (Login erforderlich).