Online-Nachricht - Donnerstag, 31.07.2025
Grunderwerbsteuer | Zweimalige Festsetzung von Grunderwerbsteuer für den Erwerb von Gesellschaftsanteilen beim Auseinanderfallen von sog. Signing und Closing (BFH)
Es ist rechtlich zweifelhaft, ob bei einem Erwerb von Anteilen an einer GmbH, bei dem das schuldrechtliche Erwerbsgeschäft (Signing) und die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) zeitlich auseinanderfallen, zweimal Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2b und § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG festgesetzt werden kann, wenn dem Finanzamt im Zeitpunkt der Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bekannt ist, dass die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) bereits erfolgt ist (BFH, Beschluss v. 9.7.2025 - II B 13/25 (AdV); veröffentlicht am 31.7.2025).
Hintergrund: Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt bereits vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 7 FGO).
Sachverhalt: Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 11.3.2024 (sogenanntes Signing) erwarb die Antragstellerin sämtliche Anteile an einer grundbesitzenden GmbH. Die Abtretung der Gesellschaftsanteile (sogenanntes Closing) erfolgte nach Kaufpreiszahlung am 29.3.2024. Das FA setzte jeweils mit Bescheiden vom 30.5.2024 zweimal Grunderwerbsteuer fest. Zum einen gegenüber der GmbH aufgrund des Wechsels im Gesellschafterbestand am 29.3.2024 nach § 1 Abs. 2b GrEStG und zum anderen gegenüber der Antragstellerin wegen der Anteilsvereinigung am 11.3.2024 nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG.
Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung (AdV) wurde abgelehnt (FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 9.1.2025 - 12 V 12130/24).
Die Richter des BFH sahen die von der Antragstellerin eingelegte Beschwerde als begründet an. Das FG hat zu Unrecht die beantragte AdV abgelehnt:
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Die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 30.5.2024 ist aufzuheben. Der Senat hat bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids.
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Die Rechtslage ist in Bezug auf die Frage rechtlich zweifelhaft, ob bei einem Erwerb von Anteilen an einer GmbH, bei dem das schuldrechtliche Erwerbsgeschäft (Signing) und die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) zeitlich auseinanderfallen, zweimal Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2b und § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG festgesetzt werden kann, wenn dem FA im Zeitpunkt der Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bekannt ist, dass die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) bereits erfolgt ist.
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Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass nach dem Einleitungssatz des § 1 Abs. 3 GrEStG ein Vorrang des Tatbestands des § 1 Abs. 2b GrEStG gegenüber einer Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG nur besteht, soweit die Verwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 oder 4 GrEStG gleichzeitig erfolgt. Soweit die Besteuerungszeitpunkte des § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 GrEStG und § 1 Abs. 2b GrEStG auseinanderfallen, sollen beide Tatbestände erfüllt sein und der Vorrang durch § 16 Abs. 4a und 5 GrEStG umgesetzt werden (vgl. Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung des § 1 Absatz 3 GrEStG v. 5.3.2024, BStBl I 2024, 383, Rz 30; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 2.4.2024).
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• Es ist rechtlich zweifelhaft, ob sich diese Auffassung mit dem Wortlaut des Einleitungssatzes des § 1 Abs. 3 GrEStG deckt. Nach diesem erfolgt eine Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG, wenn zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück gehört, nur soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG nicht in Betracht kommt. Eine zeitliche Beschränkung lässt sich der Vorrangregelung des Einleitungssatzes des § 1 Abs. 3 GrEStG nicht entnehmen.
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Auch aus der Gesetzesbegründung zum Einleitungssatz des § 1 Abs. 3 GrEStG lässt sich keine "zeitliche Konkurrenz" der Besteuerung nach § 1 Abs. 2b und § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG entnehmen. Zwar hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung Ausführungen zum zeitlichen Anwendungsvorrang der Konkurrenzregelung des Einleitungssatzes des § 1 Abs. 3 GrEStG gemacht. Danach soll der im Einleitungssatz des § 1 Abs. 3 GrEStG normierte gesetzliche Anwendungsvorrang des § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG nicht gelten, wenn der Abschluss des Rechtsgeschäfts und die Anteilsübertragung zeitlich auseinanderfallen. Da es sich in einem solchen Fall um zwei Erwerbsvorgänge innerhalb desselben Lebenssachverhalts handele, sei eine zweimalige Besteuerung mit der Grunderwerbsteuer nicht gewollt und ermögliche § 16 Abs. 4a GrEStG - unter Beachtung der Anzeigepflichten - auf Antrag eine Aufhebung oder Änderung der aufgrund des Rechtsgeschäfts nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 GrEStG festgesetzten Grunderwerbsteuer (BT-Drucks. 20/4729, S. 152).
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Diese in der Gesetzesbegründung des in dem Einleitungssatz zu § 1 Abs. 3 GrEStG postulierten materiellen Anwendungsvorrangs des § 1 Abs. 2b GrEStG vor der Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG kommt im Gesetzeswortlaut des Einleitungssatzes zu § 1 Abs. 3 GrEStG jedoch nicht zum Ausdruck. Rechtlich zweifelhaft ist danach, ob und wenn ja in welchem Umfang die Korrekturvorschrift des § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG den im Einleitungssatz zu § 1 Abs. 3 GrEStG postulierten materiellen Anwendungsvorrang einschränkt.
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Unabhängig von der Regelung des § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG kommt eine Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 AO in Betracht, denn § 16 GrEStG schließt die Änderung eines Grunderwerbsteuerbescheids nach anderen Korrekturvorschriften nicht aus. Der Anwendung der speziellen verfahrensmäßigen Vorschrift des § 16 Abs. 4a GrEStG bedurfte es danach im Streitfall nicht, da die Bescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen.
Quelle: BFH, Beschluss v. 9.7.2025 - II B 13/25 (AdV); NWB Datenbank (lb)
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