Online-Nachricht - Donnerstag, 21.08.2025
Verfahrensrecht | Zwischenurteil über die verlängerte Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung (BFH)
Ein Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 FGO über die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 AO wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO kann nicht ergehen, wenn Feststellungen über Grund und Höhe des jeweiligen Steueranspruchs und damit zum objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung fehlen (BFH, Urteil v. 9.4.2025 - II R 39/21; veröffentlicht am 21.8.2025).
Sachverhalt: Der Kläger ist Alleinerbe seiner im Februar 2007 verstorbenen Ehefrau. Kurz vor ihrem Tod hatte die Ehefrau Wertpapiere in eine gemeinsam mit ihrem Ehemann abgeschlossene Lebensversicherung eingebracht.
Das beklagte FA bat mit Schreiben v. 15.3.2007 das Nachlassgericht um Amtshilfe und u.a. um Mitteilung eines Nachlassverzeichnisses. Der Kläger reichte auf Veranlassung des Nachlassgerichts ein Nachlassverzeichnis ein. Darin gab er die Übertragung der Wertpapiere auf die gemeinsame Lebensversicherung nicht an.
Das FA ging von einem zu erfassenden Erwerb unter dem Freibetrag in Höhe von 307.000 € aus, forderte aus diesem Grund zu diesem Zeitpunkt keine Erbschaftsteuererklärung an und setzte auch keine Erbschaftsteuer fest.
Mit Schreiben vom 30.12.2014 informierte der Kläger das FA erstmals von der Übertragung der Wertpapiere seiner Frau auf die gemeinsame Lebensversicherung. Daraufhin erlief das FA einen mittlerweile bestandskräftigen und hier nicht streitigen Schenkungsteuerbescheid sowie einen Erbschaftsteuerbescheid v. 12.1.2015 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung im Schätzwege, mit dem es Erbschaftsteuer festsetzte. Es berücksichtigte hierbei einen entsprechenden schenkweise erhaltenen Vorerwerb. Zudem forderte es den Kläger zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung auf.
Gegen den Erbschaftsteuerbescheid legte der Kläger Einspruch ein und machte den Eintritt der Festsetzungsverjährung geltend. Während des Einspruchsverfahrens setzte das FA mit Änderungsbescheid vom 2.3.2015 Erbschaftsteuer fest. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies das FA zurück. Es hielt die verlängerte Festsetzungsfrist von 10 Jahren nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 AO wegen Steuerhinterziehung auch in Bezug auf die Erbschaftsteuer für einschlägig. Zum einen habe der Kläger eine Steuerhinterziehung in Bezug auf die verschwiegene Vorschenkung begangen, was kausal dazu geführt habe, dass keine Erbschaftsteuererklärung angefordert worden sei. Zum anderen habe der Kläger durch das fehlerhafte Nachlassverzeichnis eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO in mittelbarer Täterschaft begangen.
Hiergegen erhob der Kläger Klage, mit der er sein Begehren der Aufhebung des Erbschaftsteuerbescheids wegen eingetretener Festsetzungsverjährung weiterverfolgte. Das FG stellte mit Zwischenurteil zur Festsetzungsverjährung fest, dass bei Ergehen des Erbschaftsteuerbescheids vom 12.1.2015 die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war. Der Kläger habe eine Steuerhinterziehung in Bezug auf die Erbschaftsteuer dadurch begangen, dass er die Anzeige des Vorerwerbs vom 22.2.2007 unterlassen habe. Eine Steuerhinterziehung des Klägers durch unrichtige Angaben gegenüber dem Nachlassgericht sah das FG sowohl in unmittelbarer als auch mittelbarer Täterschaft für nicht gegeben an (FG Nürnberg, Urteil v. 17.6.2021 - 4 K 1444/18, s. hierzu Demuth/Braun, NWB EV 6/2022 S. 205).
Die Richter des BFH hoben das Zwischenurteil auf und wiesen die Revision im Übrigen als unbegründet zurück:
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Das FG hat, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorlagen, verfahrensfehlerhaft durch Zwischenurteil nach § 99 Abs. 2 FGO über die Frage entschieden, ob bei Ergehen des Erbschaftsteuerbescheids vom 12.1.2015 die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen war.
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Das FG hat im Hauptsacheverfahren festzustellen, ob im Zeitpunkt des Erlasses des Erbschaftsteuerbescheids Festsetzungsverjährung eingetreten war. Der weitergehende Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist danach unbegründet.
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Die Anforderungen an die Sachdienlichkeit eines Zwischenurteils sind im Streitfall nicht erfüllt. Zwar kann über die Frage des Ablaufs der Festsetzungsfrist grundsätzlich durch Zwischenurteil entschieden werden (vgl. u.a. BFH, Urteil v. 30.3.2017 - VI R 43/15, BStBl II 2017, 1046, Rz 9, m.w.N.; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 99 Rz 13; Rauda in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 99 FGO Rz 27).
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Ein Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 FGO, in dem das FG über die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO entscheidet, darf allerdings nicht ergehen, wenn Feststellungen über Grund und Höhe des jeweiligen hinterzogenen Steueranspruchs und damit zum objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung fehlen.
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Im weiteren Rechtsgang wird das FG die fehlenden Feststellungen hinsichtlich einer etwaigen Steuerhinterziehung nachzuholen haben.
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U.a. wird das FG eine Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO durch wahrheitswidrige Angaben gegenüber dem Nachlassgericht (vgl. dazu Joecks/Jäger/Randt/Grötsch, Steuerstrafrecht, 9. Aufl., § 370 Rz 201) erneut zu prüfen haben, falls weitere Vermögensgegenstände in den Nachlass gefallen sein sollten.
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Für eine Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ein Handeln des Nachlassgerichts in Ausübung steuerlicher Pflichten für den Kläger nicht erforderlich (vgl. BFH, Urteil v. 15.7.2015 - II R 32/14, BStBl II 2015, 1031, Rz 50, m.w.N.).
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Sollte das FG für eine Steuerhinterziehung in Bezug auf die Erbschaftsteuer weiterhin an die unterlassene Anzeige der Übertragung der Wertpapiere auf die Lebensversicherung anknüpfen wollen, kann das Vorliegen einer Steuerhinterziehung in Bezug auf die Schenkungsteuer dahinstehen. Das Vorliegen einer Hinterziehung der Schenkungsteuer ist für die Festsetzungsfrist der Erbschaftsteuer nicht von Bedeutung.
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Maßgeblich ist für eine Steuerhinterziehung der Erbschaftsteuer allein, ob der Kläger das FA pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen hat und dies unter Berücksichtigung des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO kausal zu einer Steuerverkürzung in Bezug auf die Erbschaftsteuer geführt hat.
Quelle: BFH, Urteil v. 9.4.2025 - II R 39/21; NWB Datenbank (il)
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