Online-Nachricht - Donnerstag, 25.09.2025

Grunderwerbsteuer | Grund­erwerb­steuer bei erneuter Über­schrei­tung der 95 %-Grenze; Steuer­befrei­ung nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG bei fehlen­der Steuer­bar­keit des voraus­gegan­genen Erwerbs (BFH)

Werden die Anteile an einer grund­besitzen­den Gesell­schaft auf­grund eines nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuer­baren Rechts­geschäfts in der Hand eines Erwer­bers ver­einigt und sinkt dessen Be­teili­gung zu einem späteren Zeit­punkt unter die nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erforderliche Beteiligungsquote ab, unterliegt ein Anteilserwerb, der zu einer erneuten Anteils­ver­eini­gung in der Hand des Erwer­bers führt, wieder nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG der Grund­erwerb­steuer. Der Anwen­dung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG auf eine nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG steuer­bare Anteils­ver­eini­gung steht nicht ent­gegen, dass der voraus­gegan­gene Erwerb der Anteile an der grund­besitzen­den Gesell­schaft nicht steuerbar war (BFH, Urteil v. 7.5.2025 - II R 26/23; veröf­fent­licht am 25.9.2025).

Hintergrund: Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG (in der im Streitjahr 2014 geltenden Fassung) unterliegt, soweit eine Besteuerung nach Absatz 2a nicht in Betracht kommt, ein Rechts­geschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile an einer grund­besitzenden Gesell­schaft begründet, der Grund­erwerb­steuer, wenn durch die Über­tragung unmit­telbar oder mittelbar mindestens 95 % der Anteile der Gesell­schaft in der Hand des Erwerbers allein vereinigt werden würden.

Erwirbt der Veräußerer das Eigentum an dem veräußerten Grundstück zurück, so wird nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG auf Antrag sowohl für den Rückerwerb als auch für den voraus­gegan­genen Erwerbs­vorgang die Steuer nicht fest­gesetzt oder die Steuer­festsetzung aufgehoben, wenn der Rückerwerb inner­halb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer für den voraus­gegan­genen Erwerbs­vorgang stattfindet.

Sachverhalt: Die Klägerin ist eine GmbH, welche 94,9 % der Anteile an der grund­besitzenden R-AG hielt. Weitere Gesellschafterin der R-AG war die M-GmbH mit 5,1 % der Anteile. Mit Vertrag vom 20.12.2011 erwarb die Klägerin von der M-GmbH deren Anteile an der R-AG. Mit Vertrag vom 10.10.2012 machten die Klägerin und die M-GmbH den Vertrag vom 20.12.2011 wieder rückgängig und verein­barten den Rückverkauf und die Rückab­tretung von 5,1 % der Anteile an der R-AG von der Klägerin an die M-GmbH. Beide Vertrags­parteien behielten sich das Recht vor, innerhalb von zwei Jahren nach dem Vertrags­schluss die Rückab­wicklung des Vertrags zu verlangen. Für den Erwerb vom 20.12.2011 setzte das Finanzamt (FA) gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG in der im Jahr 2014 geltenden Fassung Grund­erwerb­steuer gegenüber der Klägerin fest. Den Antrag der Klägerin, die Festsetzung der Grund­erwerb­steuer nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG aufgrund der Rückgängig­machung des Vertrags vom 20.12.2011 aufzuheben, lehnte das FA gemäß § 16 Abs. 5 GrEStG wegen Nichtein­haltung der Anzeigefrist ab.

Mit Vertrag vom 8.4.2014 machten die Klägerin und die M-GmbH daraufhin den Vertrag vom 10.10.2012 wieder rückgängig. Sie verein­barten, die Vertrags­parteien seien so zu stellen, als sei der Vertrag vom 10.10.2012 nie geschlossen worden. Daraufhin setzte das FA gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erneut Grund­erwerb­steuer gegen­über der Klägerin fest, da mit der Rück­gängig­machung des Vertrags vom 10.10.2012 abermals mindestens 95 % der Anteile an der R-AG in der Hand der Klägerin vereinigt worden seien.

Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG München, Urteil v. 17.7.2023 - 4 K 1269/22). Die Klägerin begehrte die Fest­setzung der Grunderwerbsteuer für den Erwerbsvorgang vom 8.4.2014 gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG aufzuheben.

Die Richter des BFH hoben das FG-Urteil auf:

  • Das FG hat zwar zutreffend entschie­den, dass mit dem Abschluss des Vertrags vom 8.4.2014 der Tatbestand der Anteils­vereini­gung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG erfüllt ist. Jedoch hat es zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin auf Aufhebung der hierfür festgesetzten Grunderwerbsteuer nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG verneint

  • Der Vertrag vom 8.4.2014 erfüllte den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG. Aufgrund der Rück­gängig­machung des Vertrags vom 10.10.2012 erwarb die Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt mit 94,9 % der Anteile an der R-AG beteiligt war, weitere 5,1 % der Anteile an der R-AG von der M-GmbH hinzu, so dass sich insgesamt 100 % der Anteile an der R-AG in ihrer Hand vereinigten.

  • Mit dem Absinken der Beteiligung unter 95 % wird der Grundbesitz grund­erwerb­steuer­recht­lich nicht mehr dem Anteils­eigner, der vormals mindestens 95 % der Anteile an der grund­besitzenden Gesell­schaft gehalten hat, zuge­rechnet. Die erneute Über­schreitung der 95 %-Grenze hat daher zur Folge, dass gemäß § 1 Abs. 3 GrEStG ein Erwerb des Grund­stücks von der Gesell­schaft, hier der R-AG, fingiert wird. Nach einer Unterschreitung der 95 %-Grenze unter­liegt deshalb die spätere Über­schreitung der 95 %-Schwelle wieder der Grund­erwerb­steuer. Der Umstand, dass es bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu einer Anteils­vereini­gung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG gekommen ist, "immunisiert" nach einem Absinken der Beteiligung unter 95 % nicht gegen die Steuerbarkeit einer erneuten Über­schreitung der 95 %-Grenze (vgl. u.a. BFH, Urteil v. 23.7.2024 – II R 11/22; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 5.12.2024 und Schlücke, IWB 3/2025 Seite 90).

  • Im Streitfall hat das FG die Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, dass es sich bei dem Erwerb von 5,1 % der Anteile an der R-AG durch die Klägerin mit Vertrag vom 8.4.2014 nicht um einen Rückerwerb des Erwerbs vom 10.10.2012, sondern um einen Ersterwerb im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG handele.

  • Die Sichtweise des FG lässt unberück­sichtigt, dass bei einer Aufein­ander­folge mehrerer Erwerbs­vorgänge das Vorliegen der Voraus­setzungen des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG für jeden Vorgang getrennt, das heißt auf jeder Vertrags­stufe selbständig, zu prüfen ist (vgl. BFH, Beschluss v. 16.10.2009 – II B 37/09).

  • Das FG hat zudem nicht beachtet, dass der Vertrag vom 8.4.2014 die Anfor­derun­gen an einen Rückerwerb im Sinne des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG erfüllt. Erforderlich ist hierfür, dass im Zeitpunkt des vorausgegangenen Erwerbsvorgangs, auf den sich die Rückgängigmachung bezieht, die veräußernde Gesell­schaft bereits grund­besitzend war, das betref­fende Grund­stück sich also bereits in deren grund­erwerb­steuer­recht­lichen Zurech­nungs­bereich befand, da nur in diesem Fall die ver­äußernde Gesell­schaft den Grund­besitz aufgrund der späteren Anteilsvereinigung "zurückerlangt" (vgl. BFH, Urteil v. 20.2.2019 - II R 27/16, BFHE 264, 352, BStBl II 2019, 559, Rz 35; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 11.7.2019 und Nacke, Online-Beitrag v. 30.7.2019). Diese Voraus­setzungen sind im Streitfall erfüllt.

  • In Bezug auf den Erwerbsvorgang vom 8.4.2014 liegen die Voraus­setzungen des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG vor, so dass die Festsetzung der Grunderwerbsteuer für die dadurch begründete (erneute) Anteils­vereini­gung aufzuheben ist.

  • Für die Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG ist es ohne Bedeutung, ob auch der rück­gängig gemachte Rechts­vorgang der Grund­erwerb­steuer unterlag. Aus der Formulierung des Gesetzes lässt sich nicht schließen, dass § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG auch in den Fällen der Rückgängigmachung eines in § 1 Abs. 2, 2a, 3 und 3a GrEStG bezeich­neten Erwerbs­vorgangs die Rechtsfolge der Steuer­befreiung davon abhängig macht, dass dem Rückerwerb ein steuerbarer Erwerbs­vorgang voraus­gegangen sein muss.

Quelle: BFH, Urteil v. 7.5.2025 - II R 26/23; NWB Datenbank (lb)

 
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im II. Senat des BFH Prof. Dr. Matthias Loose, gelangen Sie hier (Login erforder­lich).