Online-Nachricht - Donnerstag, 16.10.2025
Verfahrensrecht | Keine neue Zinsfestsetzung nach Übergang von der Zusammen- zur Einzelveranlagung (BFH)
Der Antrag auf Änderung der Veranlagungsform von Ehegatten ist ein rückwirkendes Ereignis, so dass für Zwecke der Zinsfestsetzung die in § 233a Abs. 2a, 7 AO getroffenen Regelungen anzuwenden sind. Eine Festsetzung von Nachzahlungszinsen, die ursprünglich aufgrund eines Einkommensteuer-Zusammenveranlagungsbescheids ergangen war, bleibt auch dann unverändert gegenüber beiden Eheleuten bestehen, wenn der Zusammenveranlagungsbescheid aufgehoben und durch Einzelveranlagungsbescheide ersetzt wird, und zwar auch für den Fall, dass sämtliche Einkünfte allein auf einen der Ehegatten entfallen (BFH, Urteil v. 30.7.2025 - X R 11/23; veröffentlicht am 16.10.2025).
Hintergrund: Soweit die Steuerfestsetzung auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses beruht, beginnt der Zinslauf abweichend von § 233a Abs. 2 AO erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist (§ 233a Abs. 2a AO). Die Vorschriften der § 233a Abs. 3, 5 AO gelten dann mit der Maßgabe, dass der - in § 233a Abs. 3 AO definierte - Unterschiedsbetrag in Teil-Unterschiedsbeträge mit jeweils gleichem Zinslaufbeginn aufzuteilen ist. Für jeden Teil-Unterschiedsbetrag sind Zinsen gesondert und in der zeitlichen Reihenfolge der Teil-Unterschiedsbeträge zu berechnen, beginnend mit den Zinsen auf den Teil-Unterschiedsbetrag mit dem ältesten Zinslaufbeginn (§ 233a Abs. 7 Satz 1 AO). Ergibt sich ein Teil-Unterschiedsbetrag zugunsten des Steuerpflichtigen, entfallen auf diesen Betrag festgesetzte Zinsen frühestens ab Beginn des für diesen Teil-Unterschiedsbetrag maßgebenden Zinslaufs; Zinsen für den Zeitraum bis zum Beginn des Zinslaufs dieses Teil-Unterschiedsbetrags bleiben endgültig bestehen (§ 233a Abs. 7 Satz 2 AO).
Sachverhalt: Die Klägerin war in den Streitjahren 2010 bis 2015 mit ihrem damaligen Ehemann (E) verheiratet. Ursprünglich waren die Klägerin und E in den Streitjahren zur Einkommensteuer zusammenveranlagt worden. Im Jahr 2019 ergingen gegen die damaligen Eheleute geänderte Einkommensteuer-Zusammenveranlagungsbescheide für 2010 bis 2015, in denen gegen diese Nachzahlungszinsen nach § 233a AO festgesetzt wurden. Die Eheleute legten Einspruch gegen die Änderungsbescheide zur Einkommensteuer ein und beantragten für 2010 bis 2012 die Durchführung von getrennten Veranlagungen und für 2013 bis 2015 Einzelveranlagungen nach § 26a EStG. Daraufhin hob das Finanzamt (FA) die Einkommensteuer-Zusammenveranlagungsbescheide auf, die bisherigen Zinsfestsetzungen blieben bestehen. Am 8.7.2019 ergingen gegen die Klägerin und E jeweils gesonderte Einkommensteuerbescheide für 2010 bis 2015 im Wege der getrennten Veranlagung / Einzelveranlagung. Das FA nahm anlässlich des Wechsels der Veranlagungsform keine Zinsfestsetzungen vor. Die Zusammenveranlagungs-Zinsfestsetzungen blieben bestehen.
Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG Köln, Urteil v. 13.10.2022 - 14 K 642/21).
Die Richter des BFH wiesen die Revision der Klägerin als unbegründet zurück:
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Eine Änderung des bereits ausgeübten Rechts auf Wahl der Veranlagungsform ist nach feststehender BFH-Rechtsprechung als rückwirkendes Ereignis anzusehen.
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Zwar stellt die geänderte Ausübung eines Antrags- oder Wahlrechts für sich genommen noch nicht zwingend ein rückwirkendes Ereignis dar (vgl. u.a. BFH, Urteil v. 19.1.2022 - X R 32/20, BStBl II 2022 S. 617, Rz 51; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 7.7.2022).
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Davon abweichend sieht jedoch der zuständige III. Senat des BFH den Wechsel der Veranlagungsart von Ehegatten als rückwirkendes Ereignis an. Dies gilt sowohl für den Wechsel von der getrennten zur Zusammenveranlagung (vgl. BFH, Urteil v. 14.6.2018 - III R 20/17, BStBl II 2019 S. 694, Rz 18 f.; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 24.10.2018), und zwar auch für Zwecke der Zinsfestsetzung nach § 233a Abs. 2a, 7 AO (vgl. BFH, Beschluss v. 12.8.2015 - III B 50/15, BFH/NV 2015 S. 1670, Rz 10 ff.), als auch für den Wechsel von der Zusammenveranlagung zur getrennten Veranlagung (vgl. BFH, Urteil v. 3.3.2005 - III R 22/02, BStBl II 2005 S. 690, unter II.2.) oder heute zur Einzelveranlagung.
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Der Antrag auf Änderung der Veranlagungsform der damaligen Ehegatten ist somit ein rückwirkendes Ereignis, so dass für Zwecke der Zinsfestsetzung die in § 233a Abs. 2a, 7 AO getroffenen Regelungen anzuwenden sind.
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Eine Festsetzung von Nachzahlungszinsen, die ursprünglich aufgrund eines Einkommensteuer-Zusammenveranlagungsbescheids ergangen war, bleibt auch dann unverändert gegenüber beiden Eheleuten bestehen, wenn der Zusammenveranlagungsbescheid aufgehoben und durch Einzelveranlagungsbescheide ersetzt wird, und zwar auch für den Fall, dass sämtliche Einkünfte allein auf einen der Ehegatten entfallen.
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Zwar ist der Zinsanspruch grundsätzlich akzessorisch zum Steueranspruch. Dieser den §§ 233 ff. AO im Allgemeinen zugrunde liegende Leitmaßstab wird jedoch durch § 233a Abs. 2a AO i.V.m. § 233a Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 2 AO für den hier zu beurteilenden Fall des rückwirkenden Ereignisses gerade ausdrücklich durchbrochen.
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Die rechtlichen Interessen des anderen Ehegatten sind durch die Möglichkeit einer Aufteilung der Gesamtschuld (§§ 268 ff. AO) hinreichend geschützt, da von der Aufteilung grundsätzlich auch die Zinsen erfasst werden (§ 270 i.V.m. § 276 Abs. 4 AO).
Quelle: BFH, Urteil v. 30.7.2025 - X R 11/23; NWB Datenbank (lb)
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im X. Senat des BFH Prof. Dr. Gregor Nöcker gelangen Sie hier (Login erforderlich).