Online-Nachricht - Donnerstag, 30.10.2025

Umsatzsteuer | Besteuerung der Über­tragung von Ein­zweck-Gut­scheinen nach Inkraft­treten der Gut­schein-Richt­linie (BFH)

Ob ein Gutschein als Ein­zweck-Gut­schein (§ 3 Abs. 14 Satz 1 UStG) oder als Mehr­zweck-Gut­schein (§ 3 Abs. 15 Satz 1 UStG) anzu­sehen ist, beur­teilt sich nach den Ver­hält­nis­sen zum Zeit­punkt der Aus­stel­lung des Gut­scheins. Es kommt bei dieser Beur­teilung nicht darauf an, ob ein Gut­schein nach seiner Aus­gabe zwischen Steuer­pflich­tigen über­tragen werden kann, die im eige­nen Namen handeln und in ande­ren Mit­glied­staaten als demjenigen ansäs­sig sind, in dem der Leis­tungs­ort liegt (BFH, Beschluss v. 25.6.2025 - XI R 14/24 (XI R 21/21); veröf­fent­licht am 30.10.2025).

Hintergrund: Seit dem Jahr 2019 wird umsatz­steuer­rechtlich nach § 3 Abs. 14 Satz 2 UStG die Ausgabe und die Übertragung eines sog. Einzweck-Gutscheins als die Lieferung des Gegen­stands oder die Erbringung der sonstigen Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, angesehen. Die Umsatz­steuer ist daher bereits zu diesem Zeitpunkt an das Finanzamt (FA) zu entrichten. Handelt es sich hingegen um einen sog. Mehrzweck-Gutschein, fällt erst bei der Einlösung des Gutscheins die Umsatzsteuer an, wohingegen jede voran­gegangene Über­tragung dieses Mehrzweck-Gutscheins nicht der Umsatz­steuer unterliegt (§ 3 Abs. 15 Satz 2 UStG). Ein Einzweck-Gutschein liegt vor, wenn bei Ausstellung eines Gutscheins im Sinne des § 3 Abs. 13 UStG zum einen der Ort der Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, und zum anderen die für die Leistung geschuldete Steuer feststeht (§ 3 Abs. 14 Satz 1 UStG). Gutscheine, die keine Einzweck-Gutscheine sind, sind Mehrzweck-Gutscheine (§ 3 Abs. 15 Satz 1 UStG).

Sachverhalt: Die Klägerin, eine GbR, vertrieb im Besteue­rungs­zeitraum 2019 (Streitjahr) über ihren Internet­shop Guthaben­karten oder Gutscheincodes zum Aufladen von Nutzer­konten für X. Herausgeber der X-Cards war im Streitjahr Y mit Sitz in U, Vereinigtes Königreich. Die Gutschein­codes ermög­lichten es dem Erwerber, sein X-Nutzerkonto mit einem näher bestimmten Nennwert in Euro aufzuladen. Nach der Konto­aufladung konnten vom Konto­inhaber im X-Store von Y digitale Inhalte zu den dort aufgeführten Preisen erworben werden. Die X-Cards wurden von Y mit unterschiedlicher Länderkennung über verschiedene Zwischen­händler vertrieben. Für Kunden mit Wohnsitz oder gewöhn­lichem Aufenthalt im Inland und einem deutschen X Nutzerkonto war die Kennung DE vorgesehen.

Im Streitjahr bezog die Klägerin die X-Cards der Y von Lieferanten aus dem übrigen Gemeinschafts­gebiet (L1 und L2) unter Angabe ihrer Umsatz­steuer-Identifi­kations­nummer. L1 und L2, die weder im Vereinigten Königreich noch im Inland, sondern in anderen Mitglied­staaten ansässig waren, hatten die X-Cards zuvor von Y erworben. Die Klägerin erfasste in ihren Steuer­anmeldungen (Steuererklärungen) weder den Erwerb der X-Cards von L1 und L2 noch die Übertragung der X-Cards an die Endkunden (Endver­braucher). Sie ging dabei davon aus, dass es sich bei den X-Cards um Wert- oder Mehrzweck-Gutscheine handele.

Das Finanzamt (FA) sah nach einer Umsatz­steuer-Sonder­prüfung die Umsätze der Klägerin mit X-Cards als im Inland steuerbar an, weil diese mit der Kennung DE von Y ausschließ­lich für Endkunden mit Wohnsitz im Inland und einem deutschen Nutzerkonto bestimmt seien, weshalb sich der Leistungsort gem. § 3a Abs. 5 UStG im Inland befinde. Das FA Z setzte die Umsatz­steuer-Voraus­zahlung für das 1. Kalendervierteljahr des Streitjahres entsprechend fest.

Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil v. 10.3.2021 - 4 K 62/19).

Der BFH legte dem EuGH mit Beschluss v. 3.11.2022 - XI R 21/21 Rechtsfragen zur Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwert­steuer­system in der Fassung v. 27.6.2016 (MwStSystRL) zur Vorabent­scheidung vor. Hinsichtlich der Antworten des EuGH in seinem Urteil v. 18.4.2024 – C-68/23 verweisen wir auf unsere Online-Nachricht v. 18.4.2024; Prätzler, StuB 13/2024 S. 511 und Walkenhorst, USt direkt digital 9/2024 S. 5.

Nach Ergehen des Urteils des EuGH hat die Klägerin erstmals vorgebracht, dass auch Kunden mit Wohnsitz oder gewöhn­lichem Aufenthalt in den in § 1 Abs. 2 Satz 1 UStG genannten Gebieten - insbesondere in Büsingen und auf der Insel Helgoland – X-Cards mit Länder­kennung DE nutzen könnten, was nach § 1 Abs. 2 Satz 3 UStG zu Leistungen im Drittlandsgebiet führe.

Die Richter des BFH hoben das FG-Urteil au, soweit es die Umsatz­steuer für das 1. Kalender­jahr betrifft:

  • Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin steuerbare und steuer­pflichtige Umsätze ausgeführt hat. Bei den nach dem 31.12.2018 ausgestellten X-Cards handelt es sich um Einzweck-Gutscheine i. S. des § 3 Abs. 14 Satz 1 UStG, deren Übertragung nach § 3 Abs. 14 Satz 3 UStG als Lieferung des Gegen­stands oder Erbringung der sonstigen Leistung gilt.

  • Ein "Einzweck-Gutschein" liegt vor, wenn zwei kumulative Voraus­setzungen "zum Zeitpunkt der Ausstellung" des Gutscheins erfüllt sind: Zum einen müssen zu diesem Zeitpunkt der Ort der Lieferung der Gegen­stände oder der Erbringung der Dienst­leistungen, auf die sich der Gutschein bezieht, feststehen, und zum anderen muss die für diese Gegenstände oder Dienst­leistungen geschuldete Mehrwert­steuer feststehen (vgl. EuGH, Urteil Finanzamt O v. 18.4.2024 – C-68/23, Rz 36 ff.).

  • Ob ein Gutschein als Einzweck-Gutschein (§ 3 Abs. 14 Satz 1 UStG) oder als Mehrzweck-Gutschein (§ 3 Abs. 15 Satz 1 UStG) anzusehen ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins. Es kommt bei dieser Beur­teilung nicht darauf an, ob ein Gutschein nach seiner Ausgabe zwischen Steuer­pflichtigen über­tragen werden kann, die im eigenen Namen handeln und in anderen Mitglied­staaten als demjenigen ansässig sind, in dem der Leistungs­ort liegt.

  • Nach den Feststellungen des FG hat Y als Herausgeber der X-Cards bei deren Erstausgabe Umsatz­steuer berechnet und abgeführt. Das bedeutet, dass Y bei der Ausgabe davon ausge­gangen ist, dass nach den von ihr festgelegten Nutzungs­bedingungen sowohl der Leistungsort als auch die geschuldete deutsche Umsatzsteuer feststehen. Ebenso haben die Lieferanten der Klägerin ihrerseits entweder Umsatzsteuer ausgewiesen oder insoweit eine inner­gemein­schaft­liche Lieferung angemeldet. Sie sind also - anders als die Klägerin - der Einstufung der Gutscheine durch Y gefolgt. Die betref­fenden Gutscheine wurden von allen Betei­ligten außer der Klägerin von Beginn an stets als Einzweck-Gutscheine angesehen.

  • Soweit die Klägerin erstmals nach dem Ergehen des EuGH-Urteils geltend machte, Leistungsempfänger mit Sitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in den in § 1 Abs. 2 UStG genannten Gebieten könnten vertrags­konform X-Cards mit Länderkennung DE einlösen, weil die Nutzungs­bedingun­gen der Y keine terri­toriale Beschränkung auf das umsatz­steuer­recht­liche Inland enthielten, handelt es sich insoweit um neues - im Revisions­verfahren nicht zulässiges - tatsächliches Vorbringen.

  • Neuer Sachvortrag im Revisionsverfahren ist unzulässig (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil v. 27.11.2019 - XI R 35/17, BStBl II 2021 S. 252, Rz 54; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 27.2.2020 sowie BFH, Urteil v. 18.11.2021 - V R 38/19; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 17.3.2022); dies gilt erst recht, wenn die ange­bliche Tatsache noch nicht einmal im Rahmen eines Vorabent­scheidungs­verfahrens dem EuGH vorgetragen wurde und der erstmalige Vortrag nach Ergehen des EuGH-Urteils erfolgt.

Hinweis: Die Entscheidung des BFH erging zu Gutscheinen, die (unab­hängig vom Zeitpunkt der Einlösung) nach dem 31.12.2018 ausgeben wurden. Zu Gutscheinen, die vor dem 1.1.2019 ausgegeben wurden, hat der BFH bereits mit Beschluss v. 29.11.2022 – XI R 11/21 (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 9.2.2023) entschieden, dass es bei der Übertragung von Gutschein­codes zu einer Steuer­entstehung kam, weil diese Codes wie eine Ware gehandelt wurden und außerdem die An­zahlungs­besteue­rung eingriff. Die prak­tischen Ergebnisse nach alter und neuer Rechtslage unter­scheiden sich mithin nicht.

Quelle: BFH, Pressemitteilung v. 30.10.2025 und BFH, Beschluss v. 25.6.2025 - XI R 14/24 (XI R 21/21); NWB Datenbank (lb)

 
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im XI. Senat des BFH Prof. Dr. Alois Nacke gelangen Sie hier (Login erforder­lich).