Online-Nachricht - Donnerstag, 30.10.2025
Umsatzsteuer | Zur Ausübung des Vorsteuerabzugs (BFH)
Ist das Recht auf Vorsteuerabzug zu einer Zeit entstanden, in der das allgemeine Besteuerungsverfahren anzuwenden war, weil der zum Abzug berechtigte Unternehmer Ausgangsumsätze im Inland ausgeführt hat, kann er das Recht auch dann im allgemeinen Besteuerungsverfahren ausüben, wenn er die Rechnung mit Steuerausweis zu einer Zeit erhält, in der er im Inland keine Umsätze mehr ausführt. Der erstmalige Ausweis von Umsatzsteuer in einer (berichtigten) Eingangsrechnung führt nicht rückwirkend zum Vorsteuerabzug (Abgrenzung zur rückwirkenden Rechnungsberichtigung) (BFH, Urteil v. 25.6.2025 - XI R 17/22; veröffentlicht am 30.10.2025).
Hintergrund: Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.
Sachverhalt: Die Klägerin ist eine im Drittland ansässige Ltd.. Nachdem die Klägerin zunächst überwiegend im asiatischen Raum tätig war, kam es im Jahr 2018 erstmals zu einem in Deutschland steuerbaren Geschäft. Die Klägerin kaufte eine größere Menge Liquified Petroleum Gas (im Folgenden: LPG) von B und verkaufte sie gleichzeitig an C. Das LPG wurde im September 2018 von Großbritannien zu einem Teil nach G in Deutschland und zum anderen Teil nach H in Frankreich geliefert. Die Lieferung in G stellte die Klägerin C mit Umsatzsteuer in Rechnung. Weitere Inlandsumsätze erzielte die Klägerin weder im Streitjahr 2018 noch in den Folgejahren. B rechnete die komplette Lieferung an die Klägerin mit einer Gesamtrechnung ab, ohne darin zwischen der Lieferung nach G und nach H zu differenzieren. Diese Rechnung wurde ohne Umsatzsteuer (als steuerfrei) ausgestellt.
Die Klägerin beantragte beim FA am 27.12.2018 die Registrierung als umsatzsteuerliche Unternehmerin und erklärte, dass sich aus dem Eingangsumsatz von B Vorsteuer ergebe, allerdings liege noch keine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung vor. Am 23.1.2019 erstellte B eine korrigierte Rechnung an die Klägerin, die sich nur auf das in G gelieferte LPG bezog und nunmehr Umsatzsteuer auswies. Nach dem Umrechnungskurs von Januar 2019 waren dies 912.082,07 €. Die Vorsteuerabzugsberechtigung aus dieser Rechnung ist Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
In der übermittelten Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2018 erklärte die Klägerin neben der Umsatzsteuer aus der Lieferung an C den streitigen Vorsteuerbetrag i. H. von 912.082,07 €, den das FA jedoch nicht berücksichtigte. Zugleich übermittelte die Klägerin eine Umsatzsteuer-Voranmeldung für Januar 2019, mit der sie ebenfalls den gleichen Vorsteuerbetrag erklärte.
Die Bearbeitung der Voranmeldung lehnte das FA mit der Begründung ab, dass das allgemeine Besteuerungsverfahren i. S. des § 16 und § 18 Abs. 1 bis 4 UStG nur für das Jahr 2018 durchzuführen sei. Für den Veranlagungszeitraum 2019 habe die Klägerin keine inländischen Umsätze erzielt, sodass die Voraussetzungen für die vorrangige Anwendung des Vergütungsverfahrens gem. § 18 Abs. 9 UStG i. V. mit §§ 59 ff. UStDV vorlägen.
Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 4.5.2022 - 2 K 2193/21 und v. 30.8.2021 – 2 K 2107/20; s. hierzu Ulbrich, USt direkt digital 19/2022 S. 4 und Radtke, USt direkt digital 3/2024 S. 14).
Die Richter des BFH hoben die FG-Urteile auf und verwiesen den Rechtsstreit an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück:
-
Der Klägerin steht der Vorsteuerabzug im Streitjahr 2019 zu.
-
Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht gem. Art. 167 MwStSystRL, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Um das Recht geltend machen zu können, ist gem. Art 168 Buchst. a MwStSystRL zum einen erforderlich, dass der Betroffene Steuerpflichtiger i. S. der MwStSystRL ist, und zum anderen, dass die zur Begründung des Abzugsrechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden und dass diese Gegenstände oder Dienstleistungen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden (vgl. u.a. EuGH, Urteil Vădan v. 21.11.2018 – C-664/16; s. hierzu Hartmann, NWB 6/2019 S. 316).
-
Ausgehend davon hat das FG in seinem Urteil im Verfahren 2 K 2193/21 wegen Umsatzsteuer 2018 zu Recht angenommen, dass das Recht der Klägerin auf Vorsteuerabzug im Jahr 2018 (im allgemeinen Besteuerungsverfahren) entstanden ist. Die Klägerin hat im Jahr 2018 in Deutschland steuerpflichtige Eingangsleistungen bezogen und im Jahr 2018 zur Ausführung steuerpflichtiger Umsätze verwendet. Die Umsatzsteuer für die Lieferung von B an die Klägerin ist im Jahr 2018 entstanden (Art. 63 MwStSystRL), so dass auch das Recht auf Vorsteuerabzug entstanden ist (Art. 167 MwStSystRL). Der Bezug des LPG und seine Weiterlieferung stehen in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang.
-
Die Annahme des FG in seinem Urteil v. 4.5.2022 - 2 K 2193/21, dass der Klägerin gegen das FA ein Recht zum Vorsteuerabzug zusteht, erweist sich danach als zutreffend. Soweit das FG hingegen in seinem Urteil v. 30.8.2021 - 2 K 2107/20 angenommen hat, dass der Klägerin kein Recht zum Vorsteuerabzug im allgemeinen Besteuerungsverfahren zustehe, erweist sich diese Annahme als unzutreffend; die Vorentscheidung wegen Umsatzsteuer 2019 ist deshalb aufzuheben.
-
Die Annahme des FG, dass Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Jahr 2018 von der Klägerin ausgeübt werden darf, trifft nicht zu. Die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Dies gilt in gleicher Weise gem. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL.
-
Soweit das FG angenommen hat, dass die Rechnungsberichtigung im Jahr 2019 Rückwirkung habe, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Auch das FG-Urteil v. 4.5.2022 - 2 K 2193/21 ist deshalb aufzuheben. Die Klägerin darf ihr Recht auf Vorsteuerabzug erst im Jahr 2019 ausüben.
-
Der EuGH hat entschieden, dass Rechnungen unter bestimmten Voraussetzungen rückwirkend berichtigt werden können (vgl. EuGH, Urteil Senatex v. 15.9.2016 – C-518/14; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 15.9.2016 sowie Eckert, BBK 20/2016 S. 1007). Eine berichtigte Rechnung wirkt zurück, wenn die zu berichtigende Rechnung die erforderlichen Mindestangaben aufweist (vgl. BFH, Urteil v. 20.10.2016 - V R 26/15, BStBl II 2020 S. 593; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 21.12.2016 und BFH, Urteil v. 15.10.2019 - V R 19/18, BStBl II 2020 S. 600; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 19.12.2019).
-
Allerdings erfährt dieser Grundsatz eine wichtige Einschränkung, wenn in der ursprünglichen Rechnung kein Steuerbetrag ausgewiesen worden ist. Sowohl nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. u.a. EuGH, Urteil Volkswagen v. 21.3.2018 – C-533/16; s. hierzu Dietrich/Rennar, USt direkt digital 9/2018 S. 10) als auch nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH, Urteil v. 7.7.2022 - V R 33/20, BStBl II 2022 S. 821; s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 20.10.2022) gilt, dass einer Rechnungsberichtigung keine Rückwirkung zukommt, wenn ein Unternehmer in der Annahme einer Leistungserbringung im Ausland eine Ausgangsrechnung ohne inländischen Steuerausweis erteilt hat, und erst mit dem Besitz der berichtigten Rechnung die materiellen und formellen Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug vorliegen.
-
Bei Anwendung dieser Grundsätze kann die Klägerin im Jahr 2018 einen Vorsteuerabzug mit der ursprünglichen Rechnung von B nicht vornehmen. Denn es fehlte für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug der Steuerausweis, weil die Beteiligten von der Anwendung einer Umsatzsteuerlager-Regelung ausgingen. Die Rechnungsberichtigung hat keine Rückwirkung, da die Klägerin von B keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt bekommen oder an B entrichtet hat, weil B und die Klägerin übereinstimmend von der Anwendung einer Umsatzsteuerlager-Regelung ausgingen. Erst im Januar 2019 erstellte B eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis. Damit war die Klägerin erst berechtigt, ihr Vorsteuerrecht auszuüben.
Quelle: BFH, Urteil v. 25.6.2025 - XI R 17/22; NWB Datenbank (lb)
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im XI. Senat des BFH Prof. Dr. Alois Nacke gelangen Sie hier (Login erforderlich).