Online-Nachricht - Donnerstag, 20.11.2025
Verfahrensrecht | Pflicht zur elektronischen Kommunikation auch bei Klageanbringung beim Finanzamt (BFH)
Die nach § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO eröffnete Möglichkeit, die Klage fristwahrend bei der Finanzbehörde anzubringen, befreit sog. professionelle Einreicher nicht von der Pflicht, die in § 52d i.V.m. § 52a FGO geregelten Formvorgaben zu wahren (BFH, Urteil v. 7.10.2025 - IX R 7/24; veröffentlicht am 20.11.2025).
Hintergrund: Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO gilt die Frist für die Erhebung der Klage als gewahrt, wenn die Klage bei der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt oder die angefochtene Entscheidung erlassen oder den Beteiligten bekannt gegeben hat oder die nachträglich für den Steuerfall zuständig geworden ist, innerhalb der Frist angebracht oder zu Protokoll gegeben wird.
Sachverhalt: Die Beteiligten streiten darüber, ob die Nutzungspflicht des beSt auch im Fall der Anbringung der Klage bei einer Finanzbehörde nach § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO besteht: Der Kläger legte gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2018 Einspruch ein. Die Einspruchsentscheidung des FA wurde der Prozessbevollmächtigten des Klägers, der Steuerberatungsgesellschaft S, am 2.6.2023 zugestellt.
Hiergegen richtete sich die Klage, die S für den Kläger am 28.6.2023 durch Telefax an das FA übermittelte. Das FA leitete das Telefax per Post an das FG München weiter. Dort ging es am 12.7.2023 ein.
Mit Schreiben v. 17.7.2023 wies das FG die S auf die Regelungen in § 52d Satz 2 i.V.m. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO hin. Es führte aus, dass der Klageschriftsatz nicht elektronisch eingereicht wurde.
S beantragte am 25.10.2023 für den Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und machte geltend, es habe sich bei der Klageanbringung durch Telefax um eine Ersatzeinreichung gehandelt, da das Kartenlesegerät ausgefallen sei. Gleichzeitig übermittelte S die Klageschrift über das beSt.
Das FG wies die Klage ab. Die Klage sei nicht innerhalb der Klagefrist in der seit dem 1.1.2023 vorgeschriebenen Form erhoben worden und daher unzulässig (FG München, Urteil v. 29.2.2024 - 13 K 1318/23).
Der Kläger ist der Auffassung, bei Anbringung der Klage nach § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO bestehe keine Nutzungspflicht des beSt. Jedenfalls enthalte die Rechtsbehelfsbelehrung hierzu keine gegenteilige Angabe. Zumindest sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Richter des BFH wiesen die Revision zurück:
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Der Umstand, dass S die Klage grundsätzlich fristwahrend nach § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO beim FA angebracht hat, entpflichtete sie nicht, die nach § 52d Satz 2 i.V.m. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO gebotenen formalen Anforderungen einzuhalten.
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Der Wortlaut der betroffenen Normen spricht weder eindeutig für noch gegen eine Pflicht, eine Klage, die abweichend zu § 64 Abs. 1 Satz 1 FGO durch einen Steuerberater bei einer Finanzbehörde angebracht wird, nach § 52d Satz 2, § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO elektronisch zu übermitteln.
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Sinn und Zweck des § 47 Abs. 2 FGO sowie dessen systematischer Kontext sprechen eindeutig dafür, die Anbringung einer Klage bei der Finanzbehörde den formalen Anforderungen des § 52d Satz 2, § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zu unterwerfen.
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§ 47 Abs. 2 Satz 1 FGO enthält keine zu § 64 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 FGO ("schriftlich") und § 52d Satz 1 und 2 FGO ("als elektronisches Dokument") abweichende Bestimmung über die Form der bei der Behörde anzubringenden Klageschrift.
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Daher ist die seit dem 01.01.2023 geltende Nutzungspflicht des beSt auch bei einer Klageanbringung beim Finanzamt zu befolgen. Der Zweck des § 47 Abs. 2 FGO gebietet es gerade nicht, den Berufsträger von seiner Pflicht zur elektronischen Übermittlung der Klageschrift zu befreien. Vielmehr ist dieser aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden elektronischen Infrastruktur auf die bezweckte Erleichterung, die Postlaufzeit nicht berücksichtigen zu müssen, nicht mehr angewiesen.
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Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, mit § 52a, § 52d FGO die verpflichtende elektronische Kommunikation durch "professionelle Verfahrensbeteiligte" umfassend zu regeln und nicht länger an der freiwilligen elektronischen Kommunikation festzuhalten (vgl. BT-Drucks 17/12634, S. 27, 37 f.).
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Diesem Willen steht entgegen, § 52d FGO im Rahmen des § 47 Abs. 2 FGO nicht zu beachten. Zum einen wäre die Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung leicht zu umgehen, wenn insoweit formfrei Klage erhoben werden könnte (in diesem Sinne auch Breckwoldt, EFG 2024, 1422, 1423).
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Zum anderen würde die mit der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs intendierte Vereinfachung des Finanzgerichtsprozesses (BT-Drucks 17/12634, S. 38), die auch der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) und Verfahrensbeschleunigung dient, in Frage gestellt.
Quelle: BFH, Urteil v. 7.10.2025 - IX R 7/24; NWB Datenbank (il)
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