Steuerberaterprüfung 2022 – Inhalt und Besonderheiten der Klausuren

Die schriftliche Steuerberaterprüfung 2022 war auf mehrere Arten besonders. Den wichtigsten organisatorischen Unterschied zu den Vorjahren stellte – bezogen auf NRW – die erstmalige Bekanntgabe einer groben Punkteverteilung für die jeweiligen Aufgaben dar: Dies verhalf manchem Prüfling zu einem besseren Zeitmanagement, war für andere jedoch ein zusätzlicher Stressfaktor. Wir haben die Schwerpunkte der Prüfung aus den Rückmeldungen unserer Teilnehmenden in den Vorbereitungslehrgängen gebündelt und geben im folgenden Beitrag einen Überblick über die Inhalte und Besonderheiten der einzelnen Klausuren, etwaige Erwartungen an die Lösung und unsere Einschätzung hinsichtlich der Machbarkeit.

Tag 1: Verfahrensrecht und andere Rechtsgebiete

Die Verfahrensrechtsklausur stellt die Kandidaten jedes Jahr aufs Neue vor die wesentliche Frage: „Welchen Teil löse ich zuerst?“ Da es hierfür kein allgemeingültiges Patentrezept gibt, sondern der immerwährende Ausspruch „Es kommt drauf an“ seine Gültigkeit behält, empfiehlt es sich für die Prüflinge, die Frage nach dem Überfliegen der Klausur für sich persönlich zu beantworten.

Abgabenordnung

Im AO-Teil der Verfahrensrechtsklausur erwartete die Prüflinge ein Sachverhalt mit zwei Aufgaben. „Die Aufgabenstellung zuerst lesen“ lautet einer dieser Tipps, die man in der Vorbereitung auf die Prüfung irgendwann nicht mehr hören kann. Aber genau bei dieser Klausur hätte uns das Beherzigen dieses Tipps wahrscheinlich dazu bewogen, tatsächlich mit dem AO-Teil die Bearbeitung der Klausur zu beginnen, denn: Es gab 30 Punkte nur für die Prüfung der Zulässigkeit eines Einspruchs. Mit der korrekten Beurteilung der Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs können normalerweise um die fünf Punkte erzielt werden, so dass die Punkteverteilung bereits klarstellte, dass eine detailreiche Prüfung der einzelnen Voraussetzungen seitens des Klausurerstellers erwartet wurde. Problematisiert wurden durch die Sachverhaltsgestaltung mit einem möglichen Erben als Einspruchsführer wohl in erster Linie die Fragen nach Einspruchsbefugnis, -frist und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Für das Erreichen der vollen Punktzahl wird vermutlich ein ausführliches Elaborieren der einzelnen Probleme mit viel Hintergrundwissen erforderlich gewesen sein.

Die zweite Aufgabe war mit fünf Punkten bewertet und behandelte das Thema Vollstreckung, bei dem erfahrungsgemäß viele Prüflinge in der Vorbereitung auf Lücke setzen. Ein solches Vorgehen kann in diesem Fall bei nur fünf entgehenden Punkten wohl als legitim angesehen werden, muss aber nicht jedes Jahr funktionieren.

Im Vergleich zu den Vorjahren wurden die Prüflinge nicht mit einem langen Sachverhalt und verschiedenen Daten beschäftigt, sondern konnten sich strukturiert den Rechtsproblemen widmen, was wir als fair empfinden und dem oft so gefürchteten AO-Teil möglicherweise zumindest in dieser Klausur den Schrecken nahm. Zeitlich waren die Aufgaben nach der Schilderung unserer Teilnehmenden in unter zwei Stunden lösbar, was einem – bei entsprechendem Start mit diesem Teil – möglicherweise genug Luft für die anderen Klausurteile verschafft hätte.

Umsatzsteuer

Der Umsatzsteuerteil der aktuellen Prüfungsklausur hatte einen ungewöhnlichen – wenn nicht sogar nie dagewesenen – Schwerpunkt: Die mögliche Anwendung der Differenzbesteuerung gem. § 25a UStG bei der Lieferung von Kunstgegenständen. Die Aufgabenstellung wies eindeutig auf die Option des Unternehmers zur Differenzbesteuerung hin. Das half jedoch wenig, wenn ein Prüfling dieses Thema in der Vorbereitung ausgeklammert hatte. Diesem blieb nichts anderes übrig als zu versuchen, sich mithilfe des Gesetzes und des Anwendungserlasses durch die unterschiedlichen Sachverhalte zu kämpfen.

Der Klausurfall bestand aus einem Sachverhalt, in dem grundsätzlich ein Unternehmer zu beurteilen war, wobei für einzelne Textziffern auch andere Unternehmer mit in die Betrachtung einzubeziehen waren. Eine solche Klausurgestaltung ist für einen Umsatzsteuerteil durchaus üblich.

Unüblich hingegen war die Sachverhaltsgestaltung: Die Differenzbesteuerung – ob anwendbar oder ausgeschlossen – wurde vielschichtig und in fast allen Textziffern abgeprüft, insbesondere in Kombination mit innergemeinschaftlichen Erwerben und Lieferungen. Auf immer wiederkehrende Umsatzsteuerklassiker wie Reihengeschäfte, die Abgrenzung von Vermittlungsleistung und Kommissionsgeschäft sowie die Umkehr der Steuerschuldnerschaft nach § 13b UStG wurde auch in diesem Jahr nicht verzichtet, was den Prüflingen bei korrekter Lösung vermutlich einige wichtige Punkte sichern konnte.

Insgesamt schilderten die Teilnehmenden eine zu große Anzahl von Sachverhaltsteilen. Die Bepunktung der einzelnen Textziffern lag bis auf eine finale Textziffer, die sich mit der Pkw-Nutzung des Unternehmers befasste (fünf Punkte), bei etwa zehn Punkten. Eine dieser Textziffern war aber nochmals in fünf Untersachverhalte aufgegliedert, was bedeuten könnte, dass die vollständige umsatzsteuerliche Beurteilung einer Leistung nur ein bis zwei Punkte einbrachte. Dieser Umfang stellt sich im Gesamtkontext als unverhältnismäßig dar, da die Lösung insgesamt aufgrund der Anwendung von § 25a UStG schon etwas mehr Zeit in Anspruch genommen haben dürfte.

Erbschaftsteuer

Beim Erbschaftsteuerteil überraschte als Erstes die Aufgabenstellung – wo normalerweise eine Berechnung der festzusetzenden Erbschaftsteuer gefragt ist, war nun nur die Ermittlung der Bereicherung gefordert. Dies machte den Teil einer Lösung obsolet, der den Prüflingen normalerweise leichtfällt, nämlich die Bestimmung der persönlichen Freibeträge und die Steuerberechnung.

Der Erbfall als solches wartete nicht mit erb- oder güterrechtlichen Problemstellungen auf. Es handelte sich um ein schlichtes Ehegattentestament ohne weitere Erben, das durch Gütertrennung auch Ausführungen zu etwaigen Zugewinnausgleichsforderungen entbehrlich machte. Das zu bewertende Vermögen war recht vielseitig: Wenig überraschend war es, Betriebsvermögen (in Form eines Personengesellschaftsanteils) mittels des vereinfachten Ertragswertverfahrens zu bewerten und dem Gesellschaftsanteil entsprechend dem Erblasser zuzuordnen. In der Erbmasse befanden sich darüber hinaus u. a. ein Erbbaugrundstück und ein Sachleistungsanspruch aus einem Vertrag, deren Bewertungen lösbar gewesen sein dürften.

Besonders war wohl auch der Hinweis in der Aufgabenstellung, dass die Bereicherung niedrig gehalten werden solle – hier könnte die Optionsverschonung gem. § 13a Abs. 10 ErbStG anwendbar gewesen sein oder diese hätte zumindest angeprüft werden sollen. Da der Klausurersteller laut Aufgabenstellung auch die Durchführung erforderlicher gesonderter Feststellungen erwartete, ist anzunehmen, dass hierdurch einige Punkte auf dem Weg mitgenommen werden konnten. Insgesamt ein fair gestalteter Aufgabenteil, der allerdings die Teilnehmenden durch seine Rechenintensität einiges an Zeit gekostet haben dürfte.

Fazit zur Verfahrensrechtsklausur

Die Verfahrensrechtsklausur war – wie in jedem Jahr – zeitlich kaum bis gar nicht zu schaffen. Was im AO-Teil möglicherweise herausgeholt werden konnte, haben USt und ErbSt doppelt und dreifach wieder an Zeit benötigt. Den Schilderungen zum Umsatzsteuerteil war klar zu entnehmen, dass dieser Teil die größte Herausforderung der Klausur darstellte. Die Zielsetzung, ein breites Wissen zum Umsatzsteuerrecht durch fast ausschließliche Ausführungen zur Differenzbesteuerung abzufragen, erschließt sich für uns dabei nicht.

Tag 2: Ertragsteuerrecht

Die Ertragsteuerklausur entsprach im Aufbau dem gewohnten Schema: Neben ausgiebigen Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerteilen (60 bzw. 32 Punkte) wurde auch wieder ein kleinerer Teil zur Gewerbesteuer (acht Punkte) abgefragt (insgesamt waren es sechs in sich geschlossene Sachverhalte). Auch in diesem Jahr bildete laut der Rückmeldungen der Prüflinge das Zeitmanagement die größte Hürde – und damit auch die Möglichkeit, alle Sachverhalte konzentriert und mit der Chance auf eine optimale Punkteausbeute zu bearbeiten.

Einkommensteuer

Influencerin mit Auslandsbezug

Erneut setzte der Einkommensteuerteil eine Person mit dem Beruf Influencerin in den Fokus, die es ertragsteuerlich zu beurteilen galt. Anders als im Prüfungsjahr 2020 kamen diesmal Einkünfte mit Auslandsbezug hinzu. Hier waren nun jedoch nicht die verschiedenen Geschäftsvorfälle im Rahmen des Gewerbebetriebes Influencerin Kernpunkt der Teilaufgabe; der inländische Gewinn war vorgegeben und nicht weiter zu hinterfragen. Problematisiert wurden Fallgestaltungen aus dem Bereich des internationalen Steuerrechts: Das Welteinkommen enthielt verschiedene Einkunftsquellen im Ausland. Einerseits Einkünfte in Italien, für die Deutschland die Doppelbesteuerung durch Anwendung der Freistellungsmethode zu vermeiden hatte, wobei sich Einschränkungen zum Progressionsvorbehalt ergaben. Andererseits hatte die Steuerpflichtige Einkunftsquellen in Brasilien (kein DBA), für die die Anrechnung brasilianischer Ertragsteuer und ggf. im Verlustfall die Anwendung von § 2a EStG zu prüfen war.

Die Ausgestaltung des Sachverhalts gehörte inhaltlich zum Standardrepertoire bei der Beurteilung ausländischer Einkünfte. Auffällig und sicherlich für viele Teilnehmende verunsichernd war hingegen die Aufgabenstellung: Es wurde die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer gefordert. Nach Abzug von Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen aus dem Bereich Unterhalt musste der Einkommensteuersatz unter Berücksichtigung der Progressionseinkünfte selbst ermittelt und auf das zu versteuernde Einkommen angewendet werden.

Dividendeneinkünfte und Firmenwagen

Durch eine Ausschüttung aus dem steuerlichen Einlagekonto wurde ein Veräußerungsgewinn realisiert, wobei sich bemerkenswerterweise gegenzurechnende Anschaffungskosten nicht gleichmäßig auf alle Geschäftsanteile verteilten. Final wurden alle Geschäftsanteile unentgeltlich gegen Versorgungsleistungen begünstigt übertragen.

Die Prüfung der nichtselbständigen Einkünfte erforderte die Kenntnis relevanter Neuerungen: Die Anwendung der sog. „0,5 %-Regelung“ für Elektrofahrzeuge sowie der erhöhten Entfernungspauschale ab dem 21. Entfernungskilometer und der Homeofficepauschale waren zu beherrschen. Erfahrungsgemäß stoßen Sachverhalte mit nichtselbständigen Einkünften und privater Pkw-Nutzung bei den Prüflingen nicht auf Begeisterung. Dass aktuelle Regelungen zu Werbungskosten abgefragt werden könnten, war jedoch zu erwarten, und dadurch, dass der Lohnsteuerbereich nicht tangiert wurde, war die Sachverhaltsgestaltung nicht zu exotisch.

Veräußerung Mitunternehmeranteil

Versteckt, aber für die Lösung wesentlich, stellte der Fall den Beginn einer mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung für eine bisher vermögensverwaltende Personengesellschaft dar. Die Einlage von Grundvermögen und Anteilen an der Betriebs-GmbH in das Betriebsvermögen der gewerblichen Mitunternehmerschaft war so weit unproblematisch, als nicht Besonderheiten bei der Abschreibung nach Einlage zu beachten waren. Durch den zu betrachtenden Mitunternehmer wurde zum Ende der gesamte Mitunternehmeranteil veräußert: Die Berechnung des Veräußerungsgewinns, die Anwendung des Freibetrags und Aussagen zu außerordentlichen Einkünften – unter Beachtung enthaltener Teileinkünfte – war ebenfalls zumutbar. Allerdings musste ein potentiell im Sachverhalt verstecktes privates Veräußerungsgeschäft – ausgelöst durch die Veräußerung des Mitunternehmeranteils – zusätzlich erkannt werden.

Die Betriebsaufspaltung gehört weiterhin zum Standardrepertoire einer Steuerberaterprüfung und wird in sämtlichen Vorbereitungskursen als Dauerbrenner ausführlich behandelt. Sie lässt sich immer wieder wunderbar dazu nutzen, in einem verkürzten Sachverhalt das Entstehen einer gewerblichen Sachgesamtheit bis hin zu ihrer Beendigung abzubilden, daher wird sie – wie auch in diesem Jahr – häufig mit Betriebsaufgaben oder -veräußerungen im Prüfungssachverhalt kombiniert.

Körperschaftsteuer

GmbH

Ein qualifizierter Anteilstausch zu Buchwerten mit anschließendem Sperrfristverstoß aufgrund der Weiterveräußerung eingebrachter Anteile durch die Übernehmerin war zu erkennen. Dies machte zur finalen Bestimmung des steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns die Ermittlung des Einbringungsgewinns II (nachträgliche Anschaffungskosten) notwendig. Eine verbilligte Darlehensgewährung zwischen Tochtergesellschaften der GmbH führte zu einer klassischen verdeckten Gewinnausschüttung im Dreieck. Die im Anschluss genannten Vergütungen für Geschäftsführer waren klausurtypisch von der Thematik der vGa betroffen.

Als deutlich schwieriger erwies sich die Betrachtung einer Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft im Rahmen der steuerbilanziellen Spiegelbildmethode unter Anwendung von § 15a EStG: Die Prüflinge mussten rechnerisch den Gewinnanteil an der Mitunternehmerschaft, bestehend aus Gesamthands-, Sonder- und Ergänzungsbereich unter Beachtung der Verlustausgleichsbeschränkung berechnen, um eine finale Auswirkung auf das z. v. E. der GmbH als Mitunternehmerin zu bestimmen. Dieser Teilbereich war aus unserer Sicht sehr anspruchsvoll, wird vermutlich aber auch mit vielen Punkten belohnt worden sein.

Gemeinnütziger Verein

Für einen eingetragenen Verein galt es unter Abgrenzung von gemeinnütziger Tätigkeit und wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb das der Körperschaftsteuer unterliegende z. v. E. zu ermitteln. Wer sich in diesem Bereich nicht sicher fühlte, konnte wegen maximal erreichbarer vier Punkte hier getrost auf Lücke setzen.

Gewerbesteuer

Aufgabenschwerpunkt war die gewerbesteuerliche Verlustverrechnung im Rahmen der mitunternehmerbezogenen Verlustbetrachtung unter dem Stichwort der (Mit-)Unternehmeridentität. In der Gewerbesteuer wurde somit ein Klassiker zur Mitunternehmerschaft als Gewerbesteuersubjekt abgefragt.

Fazit zur Ertragsteuerklausur

Auch dieses Jahr bot die Ertragsteuerklausur zeitlich eine riesige Herausforderung. Die Vielzahl kleinerer geschlossener Sachverhalte war zwar für die Konzentration auf isolierte Probleme ein Geschenk für die Teilnehmenden, barg aber auch eine schwebende Gefahr, sich in gering bepunkteten Aufgabenteilen zeitlich zu verzetteln. Aus unserer Sicht war die Themenauswahl insgesamt dennoch fair und dem Prüfungsniveau angemessen. Die offengelegte Bepunktung konnte in dieser Klausur tatsächlich zu einer sinnvollen Schwerpunktsetzung bei der Bearbeitung beitragen.

Tag 3: Buchführung und Bilanzwesen

Die letzte, die schriftliche Steuerberaterprüfung abschließende Buchführungs- und Bilanzklausur weist die Besonderheit auf, sich nicht einer bestimmten Steuerart oder einem Rechtsgebiet zuordnen zu lassen. Obwohl der Schwerpunkt grundsätzlich auf dem Handels- und Ertragsteuerrecht liegt, sind sämtliche Rechtsgebiete denkbar, die eine Auswirkung auf Buchführung und Bilanz haben können.

Die erste Auffälligkeit der Klausur offenbarte sich bereits vor dem tieferen Einstieg in den Inhalt. Denn während die Klausuren der letzten Jahre aus bis zu drei Teilen bestanden, erwarteten die Prüflinge in diesem Jahr nunmehr vier Aufgabenteile, von welchen bei 33, 17, 22 und 28 Punkten kein Teil als in der Bedeutung über- oder untergeordnet angesehen werden konnte. Bei näherer Betrachtung wurde dabei die inhaltliche Zusammensetzung mit einem Einzelunternehmen, einer Personengesellschaft (OHG) und einer Kapitalgesellschaft (GmbH) aber beibehalten und nur durch eine weitere Kapitalgesellschaft (GmbH) ergänzt.

Einzelunternehmen

Die Klausur begann mit einer typischen Aufgabenstellung, nach der drei Sachverhalte eines Einzelunternehmens nacheinander handels- und steuerrechtlich einzuordnen waren. Hierzu sollten die Prüflinge nach Ausführungen zum Ansatz und der Bewertung Buchungsätze bilden und den Buchungskreisen des Handelsrechts, Steuerrechts oder beiden Bereichen zuordnen. Neben erwartbaren Grundstückssachverhalten mit Mietereinbauten und Abrissverpflichtungen waren die Prüflinge bei der bilanziellen Würdigung von Bezugsrechten aus der Kapitalerhöhung einer AG oder Grundstückstäuschen im Umlegungsverfahren eher gefordert.

Bemerkenswert ist die Klausur hinsichtlich der Konsequenz steuerlicher Ansatz- und Bewertungsvorbehalte. Während steuerrechtliche Abweichungen im Verhältnis zum Handelsrecht regelmäßig durch die Bildung latenter Steuern hervorgehoben werden, wurde von den Prüflingen bei entgeltlicher Übernahme der Abrissverpflichtung hinsichtlich der Bewertung der Rückstellung nach unserer Einschätzung wohl das Erkennen einer Rücklage nach § 5 Abs. 7 EStG erwartet.

Bewertung des Vorratsvermögens

Im Mittelpunkt des zweiten Teils der Klausur stand die Ermittlung von Herstellungskosten unfertiger Erzeugnisse in Handels- und Steuerbilanz als klassisches Bilanzierungsthema. Dafür wurden die Prüflinge mit einem umfangreichen Betriebsabrechnungsbogen konfrontiert. Hier zeigt sich wieder, dass die Bewertung von Bilanzposten regelmäßig auf standardisierte Berechnungsschemata zurückgreift, die Prüflinge für die Steuerberaterprüfung beherrschen sollten, insbesondere im Bereich der Herstellungskosten- und Teilwertermittlung. Zielsetzung solcher Aufgabenteile ist das für die Buchführungs- und Bilanzklausur typische Ineinandergreifen rechtlicher Sachverhaltswürdigung und technisch komplexer Berechnungen. Zusätzlich zur Herstellungskostenermittlung war die Bilanzierung erhaltener Anzahlungen zu beurteilen.

Realteilung einer OHG

Bereits im dritten Teil der Klausur war den Teilnehmenden zufolge eine inhaltliche Nähe zu der Ertragsteuerklausur des zweiten Tages spürbar. Zu beurteilen war eine Mitunternehmerschaft in der Rechtsform einer OHG mit zwei Gesellschaftern. Diese setzte sich auseinander, wobei die Gesellschafter das Gesellschaftsvermögen unter Zahlung eines Spitzenausgleichs unter sich aufteilten.

Mit der Übernahme in ihre jeweiligen Einzelunternehmen war die echte Realteilung nach § 16 Abs. 3 EStG komplett. Diese knüpfte im Schwierigkeitsgrad und in der Aufgabenart an Aufgabenteile vergangener Klausuren an, welche sich mit steuerlichen Problematiken von Personengesellschaften beschäftigen, z. B. der Einbringung eines Betriebs in eine Personengesellschaft nach § 24 UmwStG.

Neben der Erstellung der Bilanzen in den Einzelunternehmen war auch der Gewinn der Mitunternehmerschaft in Folge der Realteilung zu bestimmen. Abschließend kam es zu einem Sperrfristverstoß, so dass die Prüflinge die Auswirkungen auf die Bilanzen und den Gewinn der Mitunternehmerschaft beleuchten sollten.

GmbH & Betriebsaufspaltung

Der vierte Teil hatte einen ebenfalls überraschenden inhaltlichen Schwerpunkt: Zum einen enthielt die Sachverhaltsgestaltung mit überhöhten und zu niedrigen Mieten sowie verbilligten Übertragungen zwischen Gesellschafterin und GmbH typische Problemstellungen eines Körperschaftsteuerteils der Ertragsteuerklausur. Die hieraus resultierenden verdeckten Gewinnausschüttungen und Einlagen waren mit Auswirkung auf Einkommen und steuerliches Einlagekonto der GmbH zu beurteilen. Zum anderen fragte die Aufgabe mit der Entstehung und Beendigung einer Betriebsaufspaltung ein weiteres Thema der Ertragsteuerklausur ab und umfasste auch die gesamte Einkünfteermittlung.

Zwar darf die Beurteilung von verdeckten Gewinnausschüttungen und Betriebsaufspaltungen als dankbar angesehen werden, gehören sie doch in das Standardrepertoire eines jeden Prüflings. Jedoch zeigt die umfassende Einbindung dieser Themen sowie die Aufgabenstellung auch auf, dass die Erwartungshaltung an eine Prüfungsklausur sich nicht in festgelegten Mustern vergangener Erfahrungen bewegen, sondern Wissen breit gefächert jederzeit abrufbar sein sollte.

Fazit Bilanzsteuerrechtsklausur

Die Klausur war insgesamt überraschend, wartete unseres Erachtens mit einem hohen Schwierigkeitsgrad auf und verlangte den Prüflingen geistige Beweglichkeit ab. Wer sich von den unerwarteten Inhalten zu sehr beeindrucken ließ, verlor potentiell Zeit, um diese konzentriert zu bearbeiten. Die Bilanzsteuerrechtsklausur ist für viele Prüflinge ein Rettungsanker – der gnädige Abschluss von drei unglaublich anstrengenden Tagen, der normalerweise das Erzielen vieler „Fußgängerpunkte“ ermöglicht, wenn die Ausführungen zu Ansatz und Bewertung stimmen. Diese Möglichkeit wurde den Prüflingen in diesem Jahr nicht in gewohnter Breite gegeben, was bei vielen dazu geführt haben dürfte, dass diese Klausur mit dem schlechtesten Bauchgefühl der gesamten Prüfung der vergangenen drei Tage beendet wurde.

Resümee schriftliche Steuerberaterprüfung 2022

Die schriftliche Prüfung 2022 wird sowohl inhaltlich als auch von den äußeren Rahmenbedingungen her im Gedächtnis all jener bleiben, die sich mit der Steuerberaterprüfung, sei es als Teilnehmende oder als Vorbereitende, beschäftigen: Einerseits durch den eng auf die Differenzbesteuerung ausgelegte Umsatzsteuersachverhalt und andererseits durch die Bilanzsteuerrechtsklausur mit einer Affinität zur ertragsteuerrechtlichen Beurteilung. Den krönenden Abschluss der Steuerberaterprüfung 2022 bildete zuletzt ein Klausurdiebstahl in NRW und dessen teilweise massive mentale Mehrbelastung für die betroffenen Prüflinge, der wohl noch lange für Gesprächsstoff sorgen wird. Auf ein solches Ereignis kann man sich nun wahrlich nicht vorbereiten.

Autoren

Michael Puke und Jörg ten Voorde,
Studienwerk der Steuerberater in NRW,
www.studienwerk.de

mit freundlicher Unterstützung von
Sophie Finke, Erwin Janzen, Jost Oehrle
JES – Einfach Steuerrecht!
www.jes-steuerrecht.de

 

Dieser Beitrag wurde ursprünglich im NWB Karriereführer 2023 veröffentlicht. Laden Sie sich die neue Ausgabe jetzt kostenlos herunter (keine Eingabe von Daten erforderlich)!

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