Online-Nachricht - Donnerstag, 28.10.2021

Umsatzsteuer | Widerruf des Verzichts auf Steuerbefreiung (BFH)

Der Verzicht auf die Steuer­befreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG kann widerrufen werden, solange die Steuer­festsetzung für das Jahr der Leistungs­erbringung noch anfechtbar oder noch nach § 164 AO änderbar ist. § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG i.d.F. des Haus­halts­­begleit­gesetzes 2004 regelt den Widerruf nicht (BFH, Beschluss v. 2.7.2021 - XI R 22/19; veröffentlicht am 28.10.2021).

Hintergrund: Nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG sind Umsätze, die unter das GrEStG fallen, steuerfrei. Der Unternehmer kann gemäß § 9 Abs. 1 UStG u.a. einen solchen Umsatz als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Der leistende Unternehmer kann, soweit, die Lieferung eines Grundstücks außerhalb eines Zwangs­­versteigerungs­­verfahrens betroffen ist, nach § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG (eingefügt durch das HBeglG 2004 v. 29.12.2003, BGBl I 2003, 3076) nur in dem gemäß § 311b Abs. 1 BGB notariell zu beurkundenden Vertrag auf die Steuerbefreiung eines Grundstücksumsatzes i.S. von § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG verzichten.

Sachverhalt: Die Klägerin, eine GmbH, erwarb mit notariell beurkundetem Grundstücks­kaufvertrag vom 18.5.2009 von der A Immobilien GmbH (Veräußerin) ein Grundstück. Die Veräußerin verzichtete in dem Kaufvertrag auf die Steuerbefreiung für Grundstücks­lieferungen.

Die Klägerin wollte das Objekt sanieren und zunächst steuerpflichtig weiterverkaufen. In ihrer Umsatz­­steuer­erklärung 2009 gab sie Umsätze von 320.000 Euro an, für die sie nach § 13b UStG als Leistungs­empfängerin die Steuer schuldete, und zog die sich daraus ergebende Steuer von 60.800 EUR als Vorsteuer wieder ab. Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht veräußerte die Klägerin im November 2011 eine Teilfläche des Grundstücks mit dem nicht sanierten Gebäude, und zwar ohne Verzicht auf die Steuer­befreiung.

Daraufhin machte die Veräußerin den zunächst erklärten Verzicht auf die Steuerbefreiung mit notariellem Vertrag v. 23.4.2012 rückgängig.

Das FA hielt die Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerbefreiung für unwirksam. Die hiergegen gerichtete Klage hatte in allen Instanzen Erfolg (zur Vorinstanz, FG Baden-Württemberg, Urteil v. 1.8.2019 - 1 K 3115/18, s. unsere Online-Nachricht v. 9.3.2020 sowie Herold, NWB Experten Blog v. 20.8.2020).

Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:

  • Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Veräußerin wirksam den Verzicht auf die Steuer­befreiung nach § 9 Abs. 3 UStG widerrufen hat.
  • § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG ermöglicht nach seinem Wortlaut den Verzicht "nur in dem" der Grundstücks­lieferung zugrunde liegenden notariell zu beurkundenden Vertrag.
  • Dies ist der Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben (vgl. § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB "Verpflichtungsvertrag"), der der Auflassung und der Eintragung in das Grundbuch vorhergeht (vgl. § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB).
  • Der Widerruf des Verzichts auf die Steuerbefreiung kann allerdings außerhalb dieser notariellen Urkunde erfolgen. Er ist möglich, solange die Steuer­festsetzung für das Jahr der Leistungs­erbringung noch anfechtbar oder noch nach § 164 AO änderbar ist.
  • Der Wortlaut des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG betrifft nur den auf die Steuerbefreiung (formal und auch zeitlich) begrenzten Verzicht. Die Regelung betrifft nicht den Widerruf.
  • Der Grundsatz, dass sowohl die Option als auch der Widerruf der Option (als actus contrarius) in gleicher Weise auszuüben sind, gilt nicht mehr nach der Rechtslage durch das HBeglG 2004 für die zeitliche Grenze der Ausübung des Wahlrechts.
  • Denn würde das Recht zum Widerruf des Verzichts auf die Steuer­­befreiung gleichzeitig mit dem Verzicht der Steuer­­befreiung ausgeübt werden müssen, wäre der Widerruf des Verzichts faktisch ausgeschlossen.
  • Der Zweck der Vorschrift des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG steht dem nicht entgegen: Die Regelung soll den Leistungs­empfänger vor einem nachträglichen Verzicht des leistenden Unternehmers schützen, um eine nachträgliche Steuerschuld des Leistungs­empfängers zu verhindern (BT-Drucks. 583/10, S. 13; BFH-Urteil in BFHE 251, 474, BStBl II 2017, 852, Rz 46 f.). Der Widerruf der Option führt dagegen zu einer Steuer­befreiung und damit nicht zu einer Belastung des Leistungs­­empfängers.
  • Darüber hinaus drohen insoweit auch keine Steuerausfälle, da nicht nur die Steuerlast beim Empfänger entfällt, sondern ggf. gleichzeitig auch sein Recht zum entsprechenden Vorsteuerabzug.

 
Quelle: BFH, Beschluss v. 2.7.2021 - XI R 22/19; NWB Datenbank (il)

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