Online-Nachricht - Donnerstag, 10.11.2022

Verfahrensrecht | Ablaufhemmung bei Hinterziehung derselben Steuer durch den Erblasser und den Erben (BFH)

Die von einem Erben durch eine unterlassene Berichtigung gemäß § 153 Abs. 1 AO begangene Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) führt nicht zu einer weiteren Verlängerung der Festsetzungsfrist, wenn diese sich schon aufgrund einer Steuerhinter­ziehung des Erblassers nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre verlängert hatte (BFH, Urteil v. 21.6.2022 - VIII R 26/19; veröffentlicht am 10.11.2022).

Hintergrund: Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuer­bescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Nach § 171 Abs. 7 AO endet die Festsetzungsfrist in den Fällen der Verlängerung der Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit verjährt ist.

Sachverhalt: Die Klägerinnen sind Erbinnen ihrer Eltern. In den Streitjahren 1995 bis 2001 wurden die Erblasser zusammen zur Einkommen­steuer veranlagt. Die Einkommensteuer­erklärung für das Jahr 1995 reichten sie im März 1997 ein, jene für die Streitjahre ab 1996 in den Jahren 1998 bis 2002. Die Steuerbescheide wurden bestandskräftig.

Der Erblasser hatte seinerseits in den 1980er Jahren von seinem Vater Depots in Liechtenstein und in der Schweiz geerbt. Die daraus erzielten Kapitalerträge gab er in seinen Einkommensteuererklärungen nicht an und verkürzte dadurch bewusst u.a. die Einkommensteuer der Streitjahre um jeweils sechsstellige Euro-Beträge.

Die Klägerinnen hatten hiervon bereits zu Lebzeiten des Erblassers Kenntnis. Nach dessen Tod im Jahr 2007 erhielten sie noch im selben Jahr Auskehrungen der liechten­steinischen Stiftungen. Am 02.12.2014 reichten sie beim FA eine Selbstanzeige ein, mit der sie die liechten­steinischen Kapitalerträge für die Einkommen­steuer­veranlagungen ab 2002 nacherklärten. Für die Streitjahre 1995 bis 2001 gaben die Klägerinnen keine Berichtigungserklärungen zu den eingereichten Einkommensteuererklärungen ab.

Auf der Grundlage von Steuerfahndungsberichten erließ das FA am 23.12.2016 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO Änderungs­bescheide zur Einkommensteuer für die Streitjahre und zur Vermögensteuer-Neuveranlagung auf den 1.1.1996. Das FA ging davon aus, dass die Festsetzungsfrist für die Streitjahre wegen einer Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO noch nicht abgelaufen sei. Die Klägerinnen berufen sich auf Eintritt der Festsetzungs­verjährung. Mit ihrer Klage hatten sie in allen Instanzen keinen Erfolg (Vorinstanz: FG München, Urteil v. 26.7.2019 - 6 K 3189/17).

Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:

  • Die Klägerinnen schulden als Gesamtrechtsnachfolgerinnen die vom Erblasser hinterzogene Einkommensteuer. Die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO für die Korrektur der Einkommen­steuer­bescheide liegen vor.
  • Das FA erlangte im Streitfall erst durch die von den Klägerinnen für die Jahre ab 2002 eingereichte Selbstanzeige vom 2.12.2014 Kenntnis davon, dass der Erblasser bereits in den Streitjahren höhere Kapitaleinkünfte erzielt hatte, als er dem FA in den eingereichten Einkommen­steuer­erklärungen mitgeteilt hatte.
  • Das FA hat die streitgegenständlichen Änderungsbescheide vor dem jeweiligen Eintritt der Festsetzungs­verjährung erlassen.
  • Die Festsetzungsfrist begann mit Ablauf des Jahres, in dem die Erblasser die Einkommensteuererklärung für das jeweilige Streitjahr abgegeben hatten (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Sie verlängerte sich aufgrund der unstreitigen Steuerhinterziehungen des Erblassers für jedes Streitjahr auf zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Für das älteste Streitjahr 1995 begann sie mit Ablauf des Jahres 1997 und endete - vorbehaltlich der Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO mit Ablauf des Jahres 2007.
  • Entsprechend endeten die zehnjährigen Festsetzungsfristen für die weiteren Streitjahre frühestens mit Ablauf der Jahre 2008 (Streitjahre 1996 und 1997), 2009 (Streitjahr 1998), 2010 (Streitjahr 1999), 2011 (Streitjahr 2000) und 2012 (Streitjahr 2001).
  • Die durch die Steuerhinterziehungen des Erblassers für die Streitjahre in Gang gesetzten zehnjährigen Festsetzungsfristen liefen für die Klägerinnen als Gesamtrechts­nachfolgerinnen jeweils bis zum Ablauf des Zehnjahres­zeitraums weiter.
  • Die von den Klägerinnen als Erbinnen durch Unterlassen der Erklärungsberichtigungen begangenen Steuerhinterziehungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 153 Abs. 1 AO) lösten für die Einkommensteuer der Streitjahre keine erneute zehnjährige Festsetzungsfrist aus.
  • Zwar ist auch eine Steuerhinterziehung eines Erben geeignet, die Festsetzungsfrist für den übergegangenen Steueranspruch auf zehn Jahre zu verlängern. Die Steuer­hinter­ziehung des Erben bewirkt jedoch nur dann eine Fristverlängerung auf zehn Jahre, wenn es sich bei dieser anders als im Streitfall um eine erstmalige Verlängerung der Festsetzungsfrist aufgrund einer Steuerhinterziehung handelt (vgl. FG Hamburg, Urteil v. 26.2.2020 5 K 95/17, Rz 117 f.).
  • Gemäß § 171 Abs. 7 AO läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, wenn der Erbe als Gesamtrechts­nachfolger in eine zehnjährige Festsetzungsfrist eintritt und hinsichtlich derselben Steuer eine Steuerhinter­ziehung durch Unterlassen begeht.
  • Die Ablaufhemmung dauert in diesem Fall an, solange der Erbe wegen seiner eigenen Hinterziehung strafrechtlich verfolgt werden kann.
  • Die Voraussetzungen der Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO sind in allen Streitjahren erfüllt. Aufgrund der Steuerhinterziehungen des Erblassers lagen unstreitig Fälle des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO vor. Die Klägerinnen haben als Erbinnen bezüglich der Einkommensteuer der Streitjahre jeweils eigene Steuer­hinter­ziehungen durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begangen, deren Verfolgung zum Zeitpunkt der Änderungsbescheide vom 23.12.2016 noch nicht verjährt war.

 
Quelle: BFH, Urteil v. 21.6.2022 - VIII R 26/19; NWB Datenbank (il)

 
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