Online-Nachricht - Donnerstag, 20.07.2023

Verfahrensrecht | "Videokonferenz" und gesetzlicher Richter (BFH)

Bei einer "Videokonferenz" muss für die Beteiligten während der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung nach § 91a Abs. 1 FGO - ähnlich wie bei einer körperlichen Anwesenheit im Verhandlungssaal - feststellbar sein, ob die beteiligten Richter in der Lage sind, der Verhandlung in ihren wesentlichen Abschnitten zu folgen. Dies erfordert, dass alle zur Entscheidung berufenen Richter während der "Videokonferenz" für die lediglich "zugeschalteten" Beteiligten sichtbar sind. Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn für den überwiegenden Zeitraum der mündlichen Verhandlung nur der Vorsitzende Richter des Senats im Bild zu sehen ist (BFH, Beschluss v. 30.6.2023 - V B 13/22; veröffentlicht am 20.7.2023).

Hintergrund: Nach § 91a Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrens­handlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird dann gemäß § 91a Abs. 1 Satz 2 FGO zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.

Sachverhalt: Die Beteiligten streiten um die Frage, ob das Gericht während einer Verhandlung, die im Rahmen einer Videokonferenz stattgefunden hat, vorschriftsmäßig besetzt war. Der Kläger trägt u.a. vor, das FG habe bei der Videokonferenz nur eine Kamera eingesetzt. Für die nicht im Gerichtssaal anwesenden Beteiligten sei - je nach manueller Steuerung durch den "regieführenden" Richter entweder die Gesamtbesetzung des Senats oder nur ein Teil seiner Besetzung oder aber nur derjenige Richter, der aktuell das Wort geführt habe, zu sehen gewesen. Nach dem Vortrag des Sachverhalts durch die Berichterstatterin sei allein der Vorsitzende Richter des Senats für etwa zwei Drittel der Dauer der mündlichen Verhandlung im Bild gewesen, das heißt während der insgesamt 90-minütigen Verhandlung für etwa 60 Minuten. Die Richterbank mit den übrigen Richtern und der aktuell sprechende Richter seien nie gleichzeitig zu sehen gewesen.

Hierzu führten die Richter des BFH weiter aus:

  • Das Erfordernis der vorschriftsmäßigen Besetzung im Sinne von § 119 Nr. 1 FGO ist auch bei "Videokonferenzen" auf der Grundlage des § 91a FGO zu beachten.
  • Bei einer "Videokonferenz" muss für die Beteiligten während der zeitgleichen Bild und Tonübertragung nach § 91a Abs. 1 FGO - wie bei einer körperlichen Anwesenheit im Verhandlungssaal - feststellbar sein, ob die beteiligten Richter in der Lage sind, der Verhandlung in ihren wesentlichen Abschnitten zu folgen.
  • Dies erfordert, dass alle zur Entscheidung berufenen Richter während der "Videokonferenz" für die lediglich "zugeschalteten" Beteiligten sichtbar sind.
  • Daran fehlt es jedenfalls dann, wenn für den überwiegenden Zeitraum der mündlichen Verhandlung nur der Vorsitzende Richter des Senats im Bild zu sehen ist.
  • Auf die Beachtung der Vorschriften über die Besetzung des Gerichts kann nicht wirksam verzichtet werden. Dies ist der Disposition der Beteiligten entzogen.

 
Quelle: BFH, Beschluss v 30.6.2023 - V B 13/22; NWB Datenbank (il)

 
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