Online-Nachricht - Donnerstag, 03.08.2023

Einkommensteuer | Verlustrücktrag - Auswir­kungen auf den Gesamt­betrag der Einkünfte im Ent­stehungs­jahr (BFH)

Negative Einkünfte sind, soweit sie nach § 10d Abs. 1 EStG zurück­getra­gen worden sind, zeitlich nicht mehr dem Ent­stehungs­jahr zuzu­ordnen und bilden dem­zufolge auch nicht (mehr) die Grund­lage für die Ermitt­lung des Ein­kommens im Ent­stehungs­jahr. Der negative Gesamt­betrag der Einkünfte im Ent­stehungs­jahr (§ 2 Abs. 3 EStG) ist nach Durchf­ührung des Verlust­rücktrags um den Betrag der zurück­getragenen Einkünfte zu erhöhen. Der durch den Verlust­abzug modifi­zierte Gesamt­betrag der Einkünfte bildet die Ausgangs­größe für die weitere Ermitt­lung des Einkom­mens gemäß § 2 Abs. 4 EStG (BFH, Urteil v. 3.5.2023 - IX R 6/21; veröffent­licht am 3.8.2023).

Sachverhalt: Streitig ist, ob ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte im Streitjahr einen Kirchen­steuer­erstat­tungs­über­hang ausgleicht, obwohl die im Streitjahr nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte im unmittelbar vorangegangenen Veranlagungs­zeitraum in voller Höhe vom dortigen Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen worden sind (Verlustrücktrag): Die Klägerin erzielte im Streitjahr negative Einkünfte aus Gewerbe­betrieb und aus Vermietung und Verpachtung sowie positive Einkünfte aus Kapital­vermögen und sonstige Einkünfte (Rente). Der Gesamtbetrag der Einkünfte belief sich auf ./. 48.322 €. Aus der Erstattung von Kirchensteuer in Höhe von 61.262 € sowie gezahlter Kirchensteuer von 153 € ergab sich ein Kirchensteuer-Erstattungs­überhang von 61.109 €.

Das FA zog die nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte des Streitjahrs in voller Höhe im Rücktragsjahr 2014 ab. Im geänderten Bescheid für 2015 über Einkommen­steuer rechnete es den Betrag der zurückgetragenen negativen Einkünfte dem Einkommen wieder hinzu. Die hiergegen gerichtete Klage hatte in erster Instanz Erfolg (FG München, Urteil v. 22.9.2020 - 12 K 1937/19, s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 9.12.2020). Nach Auffassung der Richter sei der Erstattungsüberhang nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen. Dieser sei negativ gewesen. § 10d Abs. 1 EStG treffe keine Aussage, welche Auswirkungen ein Verlustrücktrag auf das Entstehungsjahr habe. Vor diesem Hintergrund habe die vom FA vorgenommene Neutralisierung des negativen Gesamtbetrags der Einkünfte im Entstehungsjahr keine Rechtsgrundlage.

Die Richter des BFH folgten dieser Argumentation nicht und wiesen die Klage ab:

  • Das FG hat rechtsfehlerhaft erkannt, dass die nach § 10d Abs. 1 EStG zurückgetragenen negativen Einkünfte im Entstehungsjahr einen Hinzurechnungsbetrag gemäß § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG (Erstattungsüberhang) ausgleichen.
  • § 10d Abs. 1 EStG regelt nicht ausdrücklich, welche Auswirkungen der Verlustrücktrag im Entstehungsjahr hat. Ist der Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr vor dem Verlust­rücktrag negativ, wirkt es sich auf die Ermittlung des Einkommens und die Höhe der festzu­setzenden Steuer nicht aus, ob er nach dem Verlust­rücktrag um den zurückgetragenen Betrag und gegebenenfalls bis auf null Euro erhöht wird.
  • Anders ist dies, wenn, wie im Streitfall, ein Hinzurechnungsbetrag nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG das Einkommen erhöht. Dann stellt sich die Frage, ob der negative Gesamt­betrag der Einkünfte im Entstehungsjahr ungeachtet des Verlustrücktrags weiterhin die Grundlage für die Ermittlung des Einkommens im Entstehungsjahr bildet und den Hinzurechnungsbetrag, der sich steuer­erhöhend auswirkt, mindert.
  • Die Frage ist zu verneinen. Negative Einkünfte sind, soweit sie nach § 10d Abs. 1 EStG zurückgetragen worden sind, zeitlich nicht mehr dem Entstehungsjahr zuzuordnen und bilden demzufolge auch nicht (mehr) die Grundlage für die Ermittlung des Einkommens im Entstehungsjahr.
  • Für den Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr bedeutet dies, dass er nach Durchführung des Verlustrücktrags um den Betrag der zurück­getragenen Einkünfte zu erhöhen ist. Sind die im Entstehungsjahr nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte in voller Höhe zurück­getragen worden, beträgt der Gesamtbetrag der Einkünfte im Entstehungsjahr nach der Durchführung des Verlustrücktrags null Euro.
  • Das ist die Folge der materiell-rechtlichen Konzeption des § 10d Abs. 1 EStG und der Grundregeln der perioden­gerechten Einkommens­ermittlung.
  • Diese Wirkungsweise des Verlustabzugs zeigt sich auch darin, dass nach § 10d Abs. 1 EStG nur die "nicht ausgeglichenen" negativen Einkünfte zurückgetragen werden können. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass negative Einkünfte, soweit sie im Entstehungsjahr ausgeglichen worden sind, für den Rücktrag nicht zur Verfügung stehen. Sie sind im Entstehungsjahr wirksam geworden und durch den Ausgleich "verbraucht".
  • Verfahrensrechtliche Folge ist, dass nach ständiger Rechtsprechung des BFH über Grund und Höhe des Verlustrücktrags im Rücktragsjahr zu entscheiden ist, wo sich der Verlust­rücktrag auswirkt (vgl. nur BFH, Urteil v. 10.3.2020 - IX R 24/19, BFH/NV 2020, 873). Diese Rechtsprechung wäre inkonsistent, wenn sich die zurückgetragenen Einkünfte auch im Entstehungsjahr auswirken würden.

 
Quelle: BFH, Urteil v. 3.5.2023 - IX R 6/21; NWB Datenbank (il)

 
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im IX. Senat des BFH Dr. Nils Trossen gelangen Sie hier (Login erforderlich).

Cookies erforderlich

Um fortfahren zu können, müssen Sie die dafür zwingend erforderlichen Cookies zulassen. Diese gewährleisten den vollen Funktionsumfang unserer Seite, ermöglichen die Personalisierung von Inhalten und können für die Ausspielung von Werbung oder zu Analysezwecken genutzt werden. Lesen Sie auch unsere Datenschutzerklärung.