Online-Nachricht - Donnerstag, 05.10.2023
Einkommensteuer / Verfahrensrecht | Zuständigkeit für die Auflösung einer Rücklage nach Ausscheiden eines Mitunternehmers (BFH)
Über die später wegen des Ablaufs der Reinvestitionsfrist erforderliche Auflösung einer Rücklage nach § 6b EStG ist nicht im Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft, sondern im Einkommensteuerverfahren des früheren Mitunternehmers zu entscheiden (BFH, Urteil v. 12.7.2023 - X R 14/21; veröffentlicht am 5.10.2023).
Sachverhalt: Der Kläger war seit dem Jahr 2000 zu 95 % an einer gewerblichen KG beteiligt, die Eigentümerin eines bebauten Grundstücks war. Im Jahr 2006 veräußerte er seine Beteiligung.
Er beantragte im Gewinnfeststellungsverfahren der KG für 2006 zunächst erfolglos, den Veräußerungsgewinn, der vollständig auf die Wirtschaftsgüter Grund und Boden sowie Gebäude entfiel, in eine Rücklage nach § 6b EStG einzustellen. Erst im Einspruchsverfahren kam das für die KG zuständige Betriebs-Finanzamt diesem Begehren mit geändertem Gewinnfeststellungsbescheid 2006 v. 24.11.2017 nach. Die Einkommensteuer 2006 der Kläger wurde mit Änderungsbescheid v. 8.10.2018 entsprechend herabgesetzt.
Da der Kläger die Rücklage nicht von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten anderer Wirtschaftsgüter abgezogen hatte, löste sie das Wohnsitz-Finanzamt ebenfalls am 8.10.2018 im vorliegend angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheid 2010 gewinnerhöhend auf und setzte einen Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG an. Dabei blieb die Einkommensteuer unverändert auf 0 € festgesetzt; der Gesamtbetrag der Einkünfte und der Verlustabzug aus dem zum 31.12.2009 festgestellten verbleibenden Verlustvortrag erhöhten sich aber entsprechend. Verfahrensrechtlich wurde der Änderungsbescheid zunächst auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der AO, in der Einspruchsentscheidung dann auf eine "analoge" Anwendung des § 174 Abs. 4 AO gestützt.
Hiergegen wandten sich die Kläger vor allem mit dem Argument, das Wohnsitz-FA sei für die Entscheidung über die Auflösung der Rücklage nicht zuständig gewesen; vielmehr hätte diese Entscheidung im Gewinnfeststellungsverfahren der KG getroffen werden müssen. Auch wenn der Kläger im Streitjahr 2010 nicht mehr Gesellschafter der KG gewesen sei, könne über das weitere Schicksal einer Rücklage nur in dem Betrieb entschieden werden, in dem sie gebildet und in der Buchführung ausgewiesen worden sei.
Ferner sind die Kläger der Auffassung, es gebe für die Änderung des Einkommensteuerbescheids 2010 keine Korrekturvorschrift. § 174 Abs. 4 AO sei nicht anwendbar, weil dies die Wirksamkeit des Gewinnfeststellungsbescheids 2006 voraussetzen würde, dieser Bescheid in Bezug auf den Kläger aber unwirksam sei.
Der BFH führte hierzu aus:
- Das Betriebs-Finanzamt der Mitunternehmerschaft hat über die Einstellung des Veräußerungsgewinns in eine sonderbilanzielle Rücklage nach § 6b EStG zu entscheiden, auch wenn ein Mitunternehmer seinen gesamten Mitunternehmeranteil veräußert hat.
- Wenn die Rücklage nach § 6b EStG im Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft erst aufgrund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen berücksichtigt wird, ermöglicht § 174 Abs. 4 AO für den Veranlagungszeitraum des Ablaufs der Reinvestitionsfrist die Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids des früheren Mitunternehmers, um den Gewinn aus der Auflösung der Rücklage zu erfassen.
Quelle: BFH, Urteil v. 12.7.2023 - X R 14/21; NWB Datenbank (JT)
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im X. Senat des BFH Prof. Dr. Gregor Nöcker gelangen Sie hier (Login erforderlich).