Online-Nachricht - Donnerstag, 19.10.2023

Einkommensteuer | agB für die Unter­bringung in einer Pflege-WG (BFH)

Aufwendungen für die krankheits-, pflege- und behin­derungs­bedingte Unter­bringung in einer dem jeweiligen Landes­recht unter­liegen­den Wohn­gemein­schaft sind als außer­gewöhn­liche Belastung zu berück­sichtigen (BFH, Urteil v. 10.8.2023 - VI R 40/20; veröffent­licht am 19.10.2023).

Hintergrund: Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommen­steuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuer­pflichtigen zwangs­läufig größere Aufwen­dungen als der über­wiegenden Mehrzahl der Steuer­pflichtigen gleicher Einkommens­verhältnisse, gleicher Vermögens­verhältnisse und gleichen Familien­stands erwachsen (außer­gewöhnliche Belastung). Aufwen­dungen erwachsen dem Steuer­pflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsäch­lichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwen­dungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemes­senen Betrag nicht über­steigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

Sachverhalt: Der 1965 geborene Kläger ist aufgrund eines Motorrad­unfalls schwerbehindert. Neben einem Grad der Behinderung von 100 weist sein Schwer­behinderten­ausweis die Merkzeichen G (erheblich gehbehindert), B (Begleitung bei Benutzung öffentlicher Verkehrs­mittel nötig) und H (hilflos) aus. Er ist von der Pflegekasse in Pflegegrad 4 (schwerste Beein­trächtigung der Selbständigkeit) eingestuft. In seiner Einkommen­steuer­erklärung für das Jahr 2016 machte er Miet- und Verpflegungs­kosten für seine Unter­bringung in einer Pflege-WG als außer­gewöhnliche Belastungen geltend.

Das Finanzamt lehnte die Berück­sichtigung der Aufwendungen ab. Der Kläger sei nicht in einem Heim, sondern in einer Wohn­gemein­schaft mit Betreuungs­leistungen i.S. des § 24 Wohn- und Teilhabegesetz NRW (WTG NW) untergebracht (s. unsere Online-Nachricht v. 18.3.2021).

Der BFH wies die Revision des FA zurück:

  • In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krank­heits­kosten dem Steuer­pflichtigen aus tatsäch­lichen Gründen zwangs­läufig erwachsen. Dies gilt auch für Aufwendungen für die krankheits- oder pflegebedingte Unter­bringung des Steuer­pflichtigen in einer dafür vorge­sehenen Einrich­tung (z.B. BFH, Urteil v. 4.10.2017 - VI R 22/16).
  • Dahingehende Aufwendungen erwachsen dem Steuer­pflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig und sind daher dem Grunde nach als außer­gewöhn­liche Belastung i. S. des § 33 EStG zu berücksichtigen. Es gelten die allgemeinen Grundsätze über die Abziehbarkeit von Krankheits­kosten (z.B. BFH, Urteil v. 14.11.2013 - VI R 20/12). Erforderlich ist danach lediglich, dass die Aufwendungen mit der Krankheit und der zu ihrer Heilung oder Linderung notwendigen Behandlung in einem adäquaten Zusammenhang stehen und nicht außerhalb des Üblichen liegen. Entsprechendes gilt, wenn der Steuerpflichtige behinderungs­bedingt in einer dafür vorges­ehenen Einrichtung unterg­ebracht ist.
  • Derartige Kosten sind allerdings nur insoweit als außer­gewöhnliche Belastung zu berück­sichtigen, als dem Steuer­pflichtigen zusätzliche Aufwendungen erwachsen. Dementsprechend sind Aufwendungen für die krankheits­bedingte Unterbringung um eine Haushalts­ersparnis, die der Höhe nach den ersparten Verpflegungs- und Unter­bringungs­kosten entspricht, zu kürzen, es sei denn, der Pflege­bedürftige behält seinen Haushalt bei. Die Haushalts­ersparnis des Steuerpflichtigen schätzt die Rechtsprechung entsprechend dem in § 33a Abs. 1 EStG vorge­sehenen Höchstbetrag für den Unterhalt unterhalts­bedürftiger Personen (BFH, Urteil v. 4.10.2017 - VI R 22/16).
  • Der Umstand, dass der Kläger nicht in einem Heim im Sinne des § 1 HeimG bzw. in einer mit der Föderalismusreform 2006 in NRW inhaltsgleich an dessen Stelle getretenen Einrichtung mit umfassendem Leistungsangebot nach § 18 Abs. 1 WTG NW untergebracht ist, steht der Anerkennung der Unter­bringungs­kosten als außer­gewöhnliche Belastung nach § 33 EStG nicht entgegen. Der "Heimbezug" der bisherigen Rechtsprechung (z.B. BFH, Urteil v. 14.11.2013 - VI R 20/12) ist nicht rechtlichen Erwägungen sondern dem Tatsächlichen geschuldet. Denn der BFH hat bislang nur über Sachverhalte entschieden, in denen die Unter­bringung in einem "Heim" in Rede stand.
  • Ausreichend ist, dass der Steuerpflichtige wie im Streitfall als (Mit-)Bewohner einer Wohngemeinschaft jenseits der Wohnraum­überlassung von einem oder mehreren (externen) Leistungs­anbietern (gemeinschaftlich organisiert) Betreuungs-, Pflege- und Versorgungs­leistungen bezieht.

 
Quelle: BFH, Urteil v. 10.8.2023 - VI R 40/20; NWB Datenbank (JT)

 
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im VI. Senat des BFH Dr. Stephan Geserich gelangen Sie hier (Login erforderlich).

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