Online-Nachricht - Donnerstag, 02.11.2023

Verfahrensrecht | Leichtfertige Steuer­verkürzung durch unter­lassene Anzeige bei der Grund­erwerb­steuer (BFH)

Die grunderwerbsteuerrechtlichen Anzeigepflichten der Beteiligten und Notare sind objektiver Natur. Die Prüfung der leicht­fertigen Steuer­verkürzung folgt auch im Rahmen der Fest­setzungs­verjährung materiell-rechtlich dem Ordnungs­widrig­keiten­recht. Es gilt ein subjektiver Leicht­fertig­keits­maßstab (BFH, Urteil v. 16.5.2023 - II R 35/20; veröffent­licht am 2.11.2023).

Hintergrund: Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfests­etzung nicht mehr zulässig, wenn die Fest­setzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungs­frist beträgt für die Grunderwerbsteuer nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO grundsätzlich vier Jahre und verlängert sich nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO auf fünf Jahre, soweit eine Steuer leichtfertig verkürzt worden ist. Gemäß § 170 Abs. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

Sachverhalt: Streitig ist, ob im Rahmen der Prüfung des Tatbestands­merkmals der leichtfertigen Steuerverkürzung nach §§ 169 Abs. 2 Satz 2, 378 AO den Kaufmann höhere Sorgfalts­pflichten als andere Steuerpflichtige treffen, wenn die steuer­begründenden Rechts­geschäfte nicht zu seiner kaufmännischen Tätigkeit gehören:

Der Kläger erhielt von seinen Eltern nach und nach alle Geschäftsanteile an einer GmbH geschenkt, zuletzt von seinem Vater durch Vertrag vom 3.2.2009.

Die GmbH war Eigentümerin eines am 18.9.2008 erworbenen Grundstücks. Der Notar hatte die Beteiligten bei der Beurkundung des Vertrags darüber belehrt, dass eine Grund­erwerb­steuer­pflicht bestehe, falls die GmbH Grundbesitz habe und der Vertrag eine Anteils­vereinigung bewirke. Er wies darauf hin, dass das FA eine beglaubigte Abschrift des Vertrags erhalte. Die Anzeige des Notars, adressiert an die Körperschaft­steuerstelle des FA, ging am 13.2.2009 beim FA ein. Ein Hinweis auf Grundbesitz der GmbH oder eine Bitte um Weiterleitung an die Grund­erwerb­steuer­stelle war der Anzeige des Notars nicht beigefügt worden. Der Kläger und sein Vater zeigten die Schenkung der GmbH-Anteile nicht dem FA an.

Im Jahr 2017 veräußerte der Kläger 51 % seiner Anteile an der GmbH an einen Dritten. Aufgrund der Veräußerungs­anzeige erhielt das FA Kenntnis von den Schenkungen der GmbH-Anteile an den Kläger. Es setzte erstmals mit Bescheid vom 4.8.2017 Grunderwerbsteuer für eine Anteilsvereinigung vom 3.2.2009 im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG fest. Dabei wurde die Steuer­befreiung nach § 3 Nr. 2 GrEStG für das Grundstück mit einem Anteil von 42,31 % gewährt.

Die gegen die Steuerfestsetzung unter Berufung auf den Eintritt der Festsetzungs­verjährung gerichtete Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg. Der Kläger habe keine Anzeige nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrEStG, der Notar keine ordnungsgemäße Anzeige nach § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GrEStG erstattet. Die Festsetzungsfrist habe daher nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO am 1.1.2013 begonnen und betrage wegen leichtfertiger Steuerverkürzung nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO fünf Jahre. Der Grunderwerb­steuer­bescheid sei daher noch vor Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen.

Die Richter des BFH hoben das Urteil auf und wiesen die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück:

  • Vorliegend begann die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2012. Die Steuer war mit der Anteilsübertragung im Jahre 2009 entstanden, sodass die dreijährige Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 2012 endete. Bis zu diesem Zeitpunkt war für die Anteilsübertragung keine wirksame Anzeige beim FA eingereicht worden. Der Notar hatte den Vorgang nicht ordnungsgemäß angezeigt, weil er die Anzeige nur an die Körperschaft­steuer­stelle adressiert hatte, der Kläger selbst hatte gar keine Anzeige beim FA abgegeben. Die vierjährige reguläre Festsetzungsfrist endete demnach mit Ablauf des Kalenderjahres 2016.
  • Der angefochtene Bescheid vom 4.8.2017 wäre danach nur dann innerhalb offener Festsetzungsfrist ergangen, wenn diese sich aufgrund einer leichtfertigen Steuer­verkürzung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO auf fünf Jahre verlängert hätte.
  • Ob im konkreten Einzelfall Leichtfertigkeit im Sinne des § 378 Abs. 1 Satz 1 AO vorliegt, ist im Wesentlichen Tatfrage.
  • Das FG hat bei seiner Entscheidung die Maßstäbe, die an den Begriff der Leichtfertigkeit im Sinne des § 378 AO anzulegen sind, verkannt, da es von einem objektiven Leicht­fertigkeits­begriff ausgegangen ist.
  • Zwar hat das FG, um das Wissen des Klägers in Bezug auf die Grunderwerb­steuer­pflicht zu begründen, auf konkrete Umstände und dessen individuelle Fähigkeiten abgestellt. Dies trägt den Leichtfertigkeitsvorwurf jedoch nicht, da dieser sich auf die grunderwerb­steuerliche Anzeige­pflicht des Klägers nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 4 Satz 1 GrEStG beziehen muss.
  • Für die Frage, ob eine leichtfertige Steuerverkürzung im Sinne des § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO vorliegt, ist auf die persönlichen Fähigkeiten des Steuerpflichtigen im Bereich der betreffenden Steuern, das heißt in Bezug auf die Anzeigepflicht abzustellen.

 
Quelle: BFH, Urteil v. 16.5.2023 - II R 35/20; NWB Datenbank (il)

 
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