Online-Nachricht - Donnerstag, 02.11.2023

Verfahrensrecht | Statthaftig­keit einer Nichtig­keits­klage bei Verletzung der Vorlage­pflicht (BFH)

Die Nichtigkeits­klage ist nicht statthaft, wenn mit ihr lediglich eine Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Euro­päischen Union geltend gemacht wird (BFH, Urteil v. 10.10.2023 - IX K 1/21; veröffent­licht am 2.11.2023).

Hintergrund: Nach § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO findet die Nichtigkeitsklage statt, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war.

Sachverhalt: In der Sache wollen die Kläger die Verfassungs­mäßigkeit des Rennwett- und Lotterie­gesetzes klären. Mit ihrer Nichtig­keitsklage richten sie sich gegen die Entscheidung des BFH v. 17.5.2021 - IX R 20/18, mit der das Gericht § 17 Abs. 2 RennwLottG als Verfassungs- und europa­rechtskonform angesehen hatte (BFH, Urteil v. 17.5.2021 - IX R 20/18 s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 21.10.2021 mit Anmerkung Trossen). Die Kläger sind der Ansicht, der BFH habe in dem Verfahren in willkürlicher und nicht vertretbarer Weise seine Verpflichtung verletzt, Rechtsfragen dem EuGH vorzulegen und sie dadurch ihrem gesetzlichen Richter entzogen.

Die Richter des BFH wiesen die Nichtigkeitsklage als unzulässig ab:

  • Die Nichtigkeitsklage ist unzulässig. Das Verfahren ist nicht wieder aufzunehmen, denn die Nichtig­keitsklage ist nicht statthaft.
  • Die Verkennung einer Vorlageverpflichtung (durch das vorschrifts­mäßig besetzte Gericht) ist kein Besetzungsmangel i.S. des § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
  • Eine Nichtigkeitsklage ist daher nicht statthaft, wenn sie lediglich darauf gestützt wird, dass im Ausgangs­verfahren eine Vorlage an das BVerfG oder an den EuGH angeregt worden war, das erkennende Gericht dem aber nicht gefolgt ist. Dabei ist unerheblich, ob die Beurteilung der Vorlage­verpflichtung durch das Ausgangs­gericht rechtlich zutreffend war.
  • Die Nichtigkeitsklage ist auch nicht deshalb statthaft, weil ihre Erhebung Voraussetzung für die Erschöpfung des Rechtswegs nach § 90 Abs. 2 BVerfGG ist.
  • Zwar muss im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG nach Maßgabe der materiellen Subsidiarität dargelegt werden, dass das Vorbringen vor dem Fachgericht eine Vorlage an den EuGH als naheliegend hat erscheinen lassen.
  • Im Rahmen einer Rüge der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erstreckt sich die Obliegenheit des Prozess­beteiligten regelmäßig darauf, durch entsprechende Anträge oder Anregungen an das Fachgericht eine Befassung des gesetzlichen Richters zu erreichen (vgl. BVerfG-Beschlüsse v. 31.7.2001 - 1 BvR 304/01, unter II.1.a; v. 19.7.2011 - 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78, beginnend ab B.III.2. und v. 27.4.2021 - 1 BvR 2731/19, Rz 2 f.; vgl. auch Hummel, UR 2021, 736, 737).
  • Diesen Anforderungen an die Rechtswegerschöpfung ist die Klägerin bereits im Ausgangs­verfahren gerecht geworden. Eine Vorlage an den EuGH hatte die Klägerin im Rahmen ihrer Revisions­begründung mehrfach angeregt. Einer Wiederholung dieses Vorbringens im Rahmen einer Nichtig­keitsklage bedarf es daher für Zwecke der Rechtswegerschöpfung nicht.

 
Quelle: BFH, Urteil v. 10.10.2023 - IX K 1/21; NWB Datenbank (il)

 
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im X. Senat des BFH Dr. Nils Trossen gelangen Sie hier (Login erforderlich).

Cookies erforderlich

Um fortfahren zu können, müssen Sie die dafür zwingend erforderlichen Cookies zulassen. Diese gewährleisten den vollen Funktionsumfang unserer Seite, ermöglichen die Personalisierung von Inhalten und können für die Ausspielung von Werbung oder zu Analysezwecken genutzt werden. Lesen Sie auch unsere Datenschutzerklärung.