Online-Nachricht - Donnerstag, 11.01.2024
Einkommensteuer/Verfahrensrecht | Festsetzung von Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer; Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Säumniszuschlags (BFH)
Das Finanzamt ist nach § 37 Abs. 3 Satz 1 EStG in Übereinstimmung mit dessen Zweck der Verstetigung des Steueraufkommens berechtigt, Vorauszahlungen über den laufenden Veranlagungszeitraum hinaus festzusetzen. Darüber hinaus bestehen gegen die gesetzliche Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO auch für Zeiträume nach dem 31.12.2018 keine verfassungsrechtlichen Bedenken (Anschluss an BFH, Urteile v. 23.8.2022 VII R 21/21, BStBl II 2023, 304 und v. 15.11.2022 VII R 55/20, BStBl II 2023, 621: BFH, Urteil v. 23.8.2023 - X R 30/21; veröffentlicht am 11.1.2024).
Hintergrund: Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 EStG hat der Steuerpflichtige am 10. März, 10. Juni, 10. September und 10. Dezember Vorauszahlungen auf die Einkommensteuer zu entrichten, die er für den laufenden VZ voraussichtlich schulden wird (§ 37 Abs. 1 Satz 1 EStG). Die Einkommensteuer-Vorauszahlung entsteht jeweils mit Beginn des Kalendervierteljahres, in dem die Vorauszahlungen zu entrichten sind, oder, wenn die Steuerpflicht erst im Laufe des Kalendervierteljahres begründet wird, mit Begründung der Steuerpflicht (§ 37 Abs. 1 Satz 2 EStG). Das Finanzamt setzt die Vorauszahlungen durch Vorauszahlungsbescheid fest. Die Vorauszahlungen bemessen sich grundsätzlich nach der Einkommensteuer, die sich nach Anrechnung der Steuerabzugsbeträge (§ 36 Abs. 2 Nr. 2) bei der letzten Veranlagung ergeben hat. Das Finanzamt kann bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden 15. Kalendermonats die Vorauszahlungen an die Einkommensteuer anpassen, die sich für den Veranlagungszeitraum voraussichtlich ergeben wird (...) (vgl. § 37 Abs. 3 Satz 1 bis 3 EStG).
Sachverhalt: Das FA setzte gegenüber den Klägern quartalsweise Einkommensteuervorauszahlungen für die Jahre 2017 und 2018 fest. Mit Verfügung v. 10.12.2018 setzte das FA den Vorauszahlungsbescheid hinsichtlich des 1. bis 4. Quartals 2018 teilweise von der Vollziehung aus. Die Kläger zahlten die nicht ausgesetzten Beträge fristgerecht.
Für das Jahr 2019 ging das FA von einer Nichtaussetzung der für das Jahr 2019 geschuldeten Beträge aus und mahnte von den Klägern den aus seiner Sicht noch offenen Betrag an, den die Kläger am 15.5.2019 beglichen. Einspruch und Klage gegen die hieraus resultierenden und vom FA geltend gemachten Säumniszuschläge wies das FG der ersten Instanz ab (FG Düsseldorf, Urteil v. 22.4.2021 - 12 K 1420/20 AO).
Die Richter des BFH wiesen die hiergegen gerichtete Revision der Kläger zurück:
- Entgegen der Auffassung der Kläger dürfen Vorauszahlungsbescheide nicht nur für das laufende Steuerjahr, sondern auch für Folgejahre erlassen werden. Bereits aus dem Wortlaut der gesetzlichen Regelungen in § 37 EStG ergibt sich nicht, dass die durch einen Bescheid festzusetzenden Vorauszahlungen allein ein einziges Kalenderjahr betreffen dürften.
- Gesetzliche Vorgabe ist allein, dass sich die Höhe der Festsetzung an der voraussichtlich anfallenden Einkommensteuer orientiert, also grundsätzlich an der Einkommensteuerschuld, die sich nach Anrechnung der Steuerabzugsbeträge "bei der letzten Veranlagung" ergeben hat.
- Die "letzte Veranlagung" bleibt daher solange Bemessungsgrundlage für die Festsetzung von Vorauszahlungen, bis die Einkommensteuer durch einen neuen Bescheid oder eine Rechtsbehelfsentscheidung geändert oder die Einkommensteuer für ein nachfolgendes Kalenderjahr festgesetzt wird (vgl. Schmidt/Loschelder, EStG, 42. Aufl., § 37 Rz 15).
- Schon nach der Konzeption des Gesetzes kommt somit in Betracht, dass die Ergebnisse nur einer Veranlagung die Grundlage für die Festsetzung gleichbleibender Vorauszahlungen für mehr als ein Kalenderjahr darstellen. Dies spricht für die rechtliche Möglichkeit der Finanzbehörden, Vorauszahlungen über den laufenden Veranlagungszeitraum hinaus festsetzen zu können.
- Auch ist es aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung sachlich gerechtfertigt, wenn die Finanzverwaltung - in Übereinstimmung mit dem Normzweck der Verstetigung des Steueraufkommens - eine Vorauszahlungsfestsetzung über den laufenden Veranlagungszeitraum hinaus vornehmen kann.
- Darüber hinaus bestehen gegen die gesetzliche Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
- Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des VII. Senat an. Dieser hatte für Zeiträume vor dem 1.1.2019 entschieden, dass auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau gegen die in § 240 Abs. 1 Satz 1 AO festgelegte Höhe des Säumniszuschlags keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (BFH, Urteile v. 23.8.2022 - VII R 21/21, BStBl II 2023, 304, Rz 38 ff. und v. 15.11.2022 - VII R 55/20, BStBl II 2023, 621, Rz 19 ff., s. hierzu unsere Online-Nachrichten v. 9.2.2023 sowie v. 30.3.2023, jeweils mit Anmerkung Geserich).
- Zwar betreffen die genannten Entscheidungen des VII. Senats Zeiträume vor dem 1.1.2019. Die tragenden Gründe der vom VII. Senat vorgenommenen – eigenständigen - verfassungsrechtlichen Prüfung gelten aber gleichermaßen für Zeiträume nach dem 31.12.2018.
- Die genannten Entscheidungen des VII. Senats sind am 9.2.2023 (BFH-Urteil v. 23.8.2022 - VII R 21/21, BStBl II 2023, 304) und am 30.3.2023 (BFH-Urteil v. 15.11.2022 - VII R 55/20, BStBl II 2023, 621) veröffentlicht worden. Die vom III., V. und VIII. Senat in ADV-Verfahren geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge (BFH, Beschlüsse v. 23.5.2022 - V B 4/22 (AdV) [s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 21.7.2022 mit Anmerkung Heidner]; v. 11.11.2022 - VIII B 64/22 (AdV) [s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 1.12.2022 mit Anmerkung Levedag], und v. 28.12.2022- III B 48/22 (AdV), BFH/NV 2023, 970) sind nach Auffassung des beschließenden Senats durch die - im Hauptsacheverfahren ergangenen Entscheidungen des VII. Senats überholt.
Quelle: BFH, Urteil v. 23.8.2023 - X R 30/21; NWB Datenbank (il)
Zur Online-Nachricht mit Anmerkung von Richter im X. Senat des BFH Prof. Dr. Gregor Nöcker gelangen Sie hier (Login erforderlich).