Online-Nachricht - Donnerstag, 07.03.2024

DSGVO | Maßstab für den Umfang der Ermitt­lungen im Rahmen einer Beschwerde nach Art. 77 DSGVO (BFH)

Art. 78 der Datenschutz-Grund­verord­nung (DSGVO) fordert zum Schutz der Rechte, die dem Einzelnen aus der Daten­schutz-Grund­verord­nung erwachsen, einen wirk­samen gericht­lichen Rechts­behelf, der nach Maß­gabe des natio­nalen Verfahrens­rechts eine voll­ständige inhalt­liche Über­prüfung der Beschwerde­ent­schei­dung der Auf­sichts­behörde durch das Gericht ermöglicht. Maßstab für den Umfang der Ermitt­lungen im Rahmen einer Beschwerde nach Art. 77 DSGVO sind insbe­sondere die indivi­duelle Bedeu­tung der Sache und die Schwere des in Rede stehenden Verstoßes (BFH, Urteil v. 12.12.2023 - IX R 33/21; veröf­fent­licht am 7.3.2024).

Hintergrund: Nach Art. 78 Abs. 1 DSGVO hat jede natürliche oder juristische Person unbe­schadet eines ander­weitigen verwal­tungs­recht­lichen oder außer­gericht­lichen Rechtsbehelfs das Recht auf einen wirksamen gericht­lichen Rechtsbehelf gegen einen sie betref­fenden rechts­verbindlichen Beschluss einer Aufsichts­behörde. Dieses Recht besteht auch, wenn eine Beschwerde gemäß Art. 77 DSGVO zurückgewiesen wird (vgl. Art. 77 Abs. 2 DSGVO).

Sachverhalt: Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Kontenabrufs nach § 93 Abs. 7 der Abgaben­ordnung (AO) und begehren ein Einschreiten der Datenschutzaufsichtsbehörde:

Die Kläger führen mit dem FA eine streitige Auseinander­setzung wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen Säumniszuschläge. Im Zusammen­hang mit Voll­streckungs­maßnahmen wegen der Nichtzahlung der Säumniszuschläge versandte das FA am 16.12.2019 eine Pfändungs- und Einziehungs­verfügung an die X Bank. Nachdem eine Dritt­schuldne­rerklärung der X Bank zunächst nicht beim FA einging, veranlasste das FA am 21.01.2020 eine Kontenabfrage beim BZSt.

Die Kläger wandten sich an den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Infor­mations­freiheit (Beklagter) mit einer Beschwerde. Sie trugen u.a. vor, das FA habe die nicht rechtskräftig titulierten Säumnis­zuschläge beitreiben wollen, ohne den rechtskräftigen Ausgang eines eingelegten Rechts­mittels abzuwarten. Der Kontenabruf verletze ihre Datenschutzrechte. Das FA habe zunächst eine Vermögens­auskunft bei ihnen einholen müssen.

Der Beklagte teilte nach Ermittlung des Sachverhalts den Klägern mit, er halte den durch­geführten Kontenabruf für plausibel und rechtmäßig und wies die Beschwerde der Kläger mir Bescheid v. 29.6.2021 ab. Die auf Aufhebung des Bescheids v. 29.6.2021 und die Festsetzung von Geldbußen gerichtete Klage hatte vor dem FG der ersten Instanz keinen Erfolg (FG Köln, Urteil v. 27.10.2021 - 2 K 1415/21). Nach Auffassung der Richter sei eine inhaltliche Überprüfung der Beschwerde­entscheidung einer daten­schutz­rechtlichen Aufsichts­behörde in der DSGVO nicht vorgesehen.

Die Richter des BFH hoben das Urteil auf und wiesen die Sache zur ander­weitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück:

  • Das FG ist fehlerhaft davon ausgegangen, dass eine gerichtliche Überprüfung der Entscheidung der Aufsichts­behörde nur in beschränktem Umfang stattfindet und insbe­sondere eine gerichtliche Überprüfung, ob die Beschwerde­entscheidung des Beklagten auch inhaltlich zutreffend ist, ausscheidet.
  • Denn Art. 78 DSGVO erfordert eine vollum­fängliche gerichtliche Überprüfung der Beschwerde­entscheidung der Aufsichts­behörde.
  • Art. 78 DSGVO fordert einen "wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf" gegen eine Aufsichts­behörde. Die Regelung gewährleistet ein hohes Schutz­niveau der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte.
  • Art. 78 DSGVO kann nicht dahin ausgelegt werden, dass die gericht­liche Überprüfung einer aufsichts­behördlichen Beschwerde­entscheidung darauf beschränkt ist, ob die Behörde sich mit der Beschwerde befasst, den Gegenstand der Beschwerde in angemes­senem Umfang untersucht und den Beschwerde­führer über das Ergebnis der Prüfung in Kenntnis setzt.
  • Vielmehr muss die aufsichtsbehördliche Beschwerde­entscheidung, damit ein gerichtlicher Rechtsbehelf "wirksam" ist, einer vollständigen gericht­lichen Überprüfung durch ein Gericht unterliegen (vgl. u.a. EuGH-Urteil v. 7.12.2023 - C-26/22 "SCHUFA Holding", Rz 53).
  • Danach ist eine vollständige Überprüfung der Beschwerde­entscheidung des Beklagten nach Maßgabe des nationalen (deutschen) Prozess­rechts erforderlich (vgl. Nemitz in Ehmann/Selmayr, DSGVO, 2. Aufl., Art. 78 Rz 9). Art. 77 DSGVO begründet ein subjektiv-öffentliches Recht auf Über­prüfung einer Maßnahme durch eine Aufsichtsbehörde.
  • Die von der Vorinstanz vertretene Annahme einer nur einge­schränkten richterlichen Kontrolle schränkt dieses Recht eines Beschwerde­führers im Hinblick auf eine vollständige Nachprüfung in rechtlicher und tatsäch­licher Hinsicht ein.

 
Quelle: BFH, Urteil v. 12.12.2023 - IX R 33/21; NWB Datenbank (il)

 
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