Monetary Unit Sampling (MUS) – ein kurzer Überblick

Ein mathematisch-statistisches Verfahren als weiteres wirksames und zeitgemäßes Tool im „Werkzeugkasten“ der digitalen Betriebsprüfung!?

MUS bedeutet übersetzt die „Stichprobenziehung aus Währungseinheiten/Geldeinheiten“. Es handelt sich bei MUS um ein mathematisch-statistisches Verfahren, das in einigen Bundesländern, u. a. auch in Sachsen-Anhalt, vornehmlich im Rahmen der Groß-/Konzernbetriebsprüfung zur Anwendung gelangt. MUS ist dabei ein Bestandteil der in der Finanzverwaltung im Einsatz befindlichen Datenanalysesoftware IDEA (Interactive Data Extraction and Analysis). Auch im Bereich der Amtsbetriebsprüfung wird MUS in geeigneten Fällen vermehrt eingesetzt, beispielsweise zur Prüfung von Mittel (M)-Betrieben bei Vorliegen steuerlich relevanter Daten mit großem Volumen. Deshalb sollte jeder Steuerberater die Prüfungsmethode zumindest einordnen können. Ein entsprechendes Problembewusstsein versucht der nachfolgende Beitrag zu wecken, indem er kurz auf die Historie von MUS eingeht, es als Testverfahren umreißt, mögliche Einsatzgebiete in der praktischen Prüfung aufzeigt und den Sachstand zur Schätzungsmöglichkeit aufgrund der im Testverfahren gefundenen Ergebnisse skizziert.

 

I. Hintergrund

Aufgrund der stark angestiegenen Zahl der Geschäftsvorfälle in den Unternehmen ist es offenkundig, dass eine Prüfung ohne „Formeln“ allein durch Intuition und Erfahrung der Prüfertätigkeit nicht (mehr) gerecht wird. Die Anzahl verbuchter Belege in Unternehmen, die häufig vielfach automatisiert erzeugt und verarbeitet werden, erlaubt dem Finanzamt keine vollständige Prüfung auf formale und materielle Richtigkeit.

Hinweis:

Bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen können durch die Finanzverwaltung allgemeine Erfahrungen sowie Wirtschaftlichkeits- und Zweckmäßigkeitsüberlegungen berücksichtigt werden (vgl. § 88 Abs. 2 Satz 2 AO).

Durch die elektronische Erfassung und Verarbeitung von Daten steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mögliche Unregelmäßigkeiten und Risikofaktoren trotz betriebsinterner Kontrollsysteme unbemerkt bleiben. Um solche Prüffelder mit großen Datenmengen überhaupt beurteilen zu können, bedarf es neben der Anwendung der traditionellen Methoden wie der Geldverkehrsrechnung, dem Richtsatzvergleich oder der Nachkalkulation weiterer entwickelter Prüfungsmethoden: eine davon ist – neben der Summarischen Risikoprüfung (SRP), Benford's Law, Chi-Quadrat-Test u. a. – eben MUS.

II. Historie

Bereits in den 60er Jahren wurde MUS als Prüfmethode in den USA entwickelt. Mit dem Aufkommen leistungsfähiger Computer gelangt die Methode seit ca. 30 Jahren als weit verbreitetes und anerkanntes Verfahren dort und teilweise auch in Europa in der Wirtschaftsprüfung zur Anwendung. In den Niederlanden wird MUS nunmehr seit vielen Jahren in der steuerlichen Betriebsprüfung genutzt. Aufgrund der veröffentlichten Promotion von Giezek (Monetary Unit Sampling − Der Einsatz statistischer Verfahren im Rahmen der Jahresabschlussprüfung) im Jahre 2011 nahm die theoretische Diskussion an Fahrt auf und sie war ebenfalls ein Impulsgeber für die weitere praktische Anwendung.

Das BMF äußerte sich im Jahre 2016 dahingehend, dass mit MUS „ein weiteres wirksames und zeitgemäßes Tool in den Werkzeugkasten der Prüfer aufgenommen“ wird (Newsletter IV/2016 der Bundesfinanzakademie). Parallel erfolgte die Pilotierung in der Groß-/Konzernbetriebsprüfung in einem Bundesland und danach der praktische Einsatz in weiteren Ländern. Mittlerweile gilt MUS in Sachsen-Anhalt als ein fester Bestandteil der bei (Groß-)Betriebsprüfungen anzuwendenden Prüfungsmethoden.

III. Kurze Sachstandsdarstellung hinsichtlich des Verfahrens MUS

Grob umrissen ist MUS ein statistisch-mathematisches Verfahren, mit welchem sich ein Prüffeld durch eine qualifizierte Stichprobe in einem ersten Schritt überprüfen lässt. Hierbei wird das Verfahren der hypergeometrischen Verteilung (Urnenmodell ohne Zurücklegen) zugrunde gelegt. Die Geldeinheit wird als Hilfsvariable für die Probenahme verwendet (= Stichprobe in Geldeinheiten). Dieser Ansatz beruht in der Regel auf einer systematischen Stichprobenziehung, bei der die Wahrscheinlichkeit in einem proportionalen Verhältnis zur Größe steht, d. h. in einem proportionalen Verhältnis zum Geldwert der Stichprobeneinheit. Als ein wertproportionales Zugverfahren werden eher größere Beträge als kleinere Beträge gezogen; Nullwerte bleiben unbeachtlich. Durch die beispielsweise bei IDEA hinterlegte Auswahltechnik der sog. Zellenauswahl ist sichergestellt, dass Buchungen ab einer bestimmten Größe mit Sicherheit – einer Wahrscheinlichkeit von eins – in die Stichprobe gelangen (ausführlich dazu Giezek/Wähnert, DB 2018 S. 470, 472).S. 330

Unabhängig davon besteht in einem zweiten Schritt die Möglichkeit, aufgefundene Fehler auf die Grundgesamtheit im Wege der Hochrechnung zu korrigieren (s. unten VI).

IV. Praktische Umsetzung und Einsatz

In der Praxis läuft der Einsatz von MUS in der Regel folgendermaßen ab: Das Unternehmen stellt dem Finanzamt die steuerlich relevanten Daten in einem auswertbaren elektronischen Format über eine einheitliche digitale Schnittstelle zur Verfügung (ausführlich Neubert, AO-StB 2018 S. 291; s. auch Geißler, Digitaler Datenzugriff, infoCenter, NWB XAAAB-26807). Nachdem der Betriebsprüfer Zugang zu den vollständig erlangten Daten erhalten hat, bestimmt er, welche einzelnen Prüffelder er sich mit Hilfe der Datenanalysesoftware IDEA ansehen möchte.

Hinweis:

Die Finanzverwaltung bestimmt Art und Umfang der Prüfung (vgl. § 88 AO und § 7 BpO).

Die Prüffelder für die Anwendung von MUS sind in der praktischen Anwendung vielfältig (vgl. Bauhöfer, StBp 2021 S. 31, 32). Grundsätzlich gelangt es bei Überbewertungen zur Anwendung. Ob z. B. zu wenig Betriebseinnahmen erklärt worden sind, kann mit MUS nicht beantwortet werden, da eine Hochrechnung bei einer Unterbewertung nicht möglich ist. Somit bieten sich folgende Prüffelder an, wobei die Aufzählung keinesfalls abschließend ist:

  • im Bereich der Umsatzsteuer (Vorsteuer, steuerfreie Leistungen, Aufteilung der Entgelte, steuerfreie Ausfuhren/innergemeinschaftliche Lieferungen);

  • im Bereich der Lohnsteuer (Nettolohn, Verpflegungsmehraufwendungen, Reisekosten) sowie

  • im Bereich der Ertragsteuer (Betriebsausgaben [privat veranlasste Ausgaben, Geschenke, Repräsentationsaufwand], Rückstellungen, Teilwertabschreibungen, Instandhaltungskosten).

V. Fallbeispiel eines Prüffelds in der Praxis mit (theoretischen) Erläuterungen

1. Kurzeinführung

Um den Stichprobenumfang (= Anzahl der zu entnehmenden Stichproben) festlegen zu können, der eine aussagekräftige Grundlage für den Hypothesentest bildet, sind Wesentlichkeitsgrenze (bzw. Fehlertoleranzgrenze) und das Konfidenzniveau zu bestimmen. In der Praxis der Betriebsprüfung – und dem folgend die Bildung von Beispielen im Schrifttum – findet sich häufig eine Wesentlichkeitsgrenze von 3 % und ein Konfidenzniveau von 95 %. Insoweit ist hier von einem „Standard“ auszugehen. Unter Zugrundelegung dieser Prozentsätze führt das bei MUS zu einem Stichprobenumfang von 99 Fällen (vgl. Danielmeyer, RET 2021 S. 39, 42). Veränderungen beim Konfidenzniveau und bei der Wesentlichkeitsgrenze führen zur Änderung des Stichprobenumfangs.

Hinweis:

Auf die mathematischen Gesetzmäßigkeiten soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Zur Abhängigkeit des Stichprobenumfangs vom Konfidenzniveau und von der Wesentlichkeitsgrenze gibt es hinreichende Beiträge in der Literatur (grundlegend Giezek/Wähnert/Becker, StBp 2016 S. 347, 348 f.).

2. Vorsteuerprüfung

Im nachfolgenden Beispiel untersucht der Betriebsprüfer das Prüffeld Vorsteuerabzug.

Beispiel:

Insgesamt wurde aus 20.000 Rechnungen im Prüfungszeitraum ein Vorsteuerabzug verbucht. Dieser soll im Unternehmen 6.000.000 € im zu prüfenden Jahr betragen (Beispiel vereinfacht nach Giezek/Wähnert/Becker, StBp 2016 S. 347, 348).

Der Betriebsprüfer geht folgendermaßen vor: Er stellt zunächst die Hypothese auf, dass eine ordnungsgemäße fehlerfreie Buchführung vorliegt. Um diese Hypothese zu überprüfen, wählt er aus den beispielhaften 20.000 Buchungssätzen 99 „Standardstichprobe“ mit 99 Datensätzen über IDEA aus und überprüft diese. Folgende Szenarien sind denkbar:

  • Der Betriebsprüfer findet keinen Fehler. Es kann somit mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % (= ausgewähltes Konfidenzniveau) ausgeschlossen werden, dass Vorsteuerbeträge zu Unrecht in Anspruch genommen wurden. Die Hypothese des Prüfers hat sich bestätigt. Das Prüffeld weist nach MUS keine Auffälligkeiten auf. Die Betriebsprüfung führt insoweit zu keinen Feststellungen.

  • Bei der Überprüfung der 99 Datensätze stellt der Prüfer fest, dass eine Geldeinheit zu Unrecht in Anspruch genommen wurde. Die nachfolgende Auswertung des Prüfers ergab, dass in der gezogenen Stichprobe die Rechnung eines Kleinunternehmers aufgefunden wurde, aus der unter Verstoß gegen §§ 1519 UStG zu Unrecht Vorsteuer in Abzug gebracht wurde. Aus mathematisch-statistischer Sicht wird die Hypothese, dass das Prüffeld ordnungsgemäß ist, nunmehr verworfen. In der Praxis wird der Betriebsprüfer dieses Prüffeld nun genauer untersuchen.

Hinweis:

Wird MUS konsequent neben dem Testverfahren (bezogen auf die Stichprobengröße) auch als Hochrechnungsverfahren (bezogen auf die Grundgesamtheit des Prüffelds) angewendet, ist der gefundene Fehler in der Grundgesamtheit hochzurechnen. Der plausibelste Fehler beläuft sich im Beispiel auf 60.606 € (1/99 x 6.000.000 €). In letzter Konsequenz wäre der Vorsteuerabzug somit um 60.606 € zu kürzen (vgl. zu diesem Beispiel auch Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, Tz. 3. Außenprüfung, Tz. 3.6.2. Einzelprüfung); warum der plausibelste Fehler zur Anwendung gelangt, s. nachfolgendes Beispiel.

3. Fallbeispiel aus der Praxis

Als Fallbeispiel aus der Praxis, das in die Literatur eingeführt wurde und dort ausführlicher diskutiert wird, hat sich das nachfolgende etabliert (erstmals eingeführt von Schlegel, StBp 2020 S. 350, 351 f.; ihm folgend Danielmeyer, RET 2021 S. 39, 41 f.; sowie zuletzt [und dort als Quelle übernommen] Böhler/L'habitant, UR 2021 S. 925, 926 ff.).

Fallbeispiel:

Der Betriebsprüfer möchte feststellen, ob die materiellen Voraussetzungen der erfassten innergemeinschaftlichen Lieferungen erfüllt sind (Prüfungsfeld). Im gesamten Prüfungszeitraum sollen insgesamt 10.293 innergemeinschaftliche Lieferungen buchhalterisch erfasst worden sein. Das Entgelt aus den 10.293 Buchungen summiert sich auf insgesamt 12.563.123 €. Der Prüfer analysiert 99 Stichproben und wertet diese aus. Diese Anzahl entspricht der„Standardstichprobe“. Somit kann eine Aussage für 95 % der Buchungen getroffen werden, bei einer Wesentlichkeitsgrenze von 3 %.

Es sollen dann bei drei Proben der im Rahmen der 99 Stichproben geprüften innergemeinschaftlichen Lieferungen die materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung nicht vorliegen, z. B. weil ruhende Lieferungen im Reihengeschäft vorliegen.S. 332 Das Entgelt der drei zu beanstandenen innergemeinschaftlichen Lieferungen soll sich auf 209.853 € summieren (Stichprobenfehler).

Daraus ergibt sich folgender MUS-Datensatz:


Buchungen
Anz.
 
10.293
Grundgesamtheit
12.563.123,00 €
   
Intervallgröße
126.900,23 €
   
Stichprobenumfang
Anz.
 
99
Stichprobenfehler
Anz.
 
3
Stichprobenfehler
209.853,00 €
 
Plausibelster Fehler
380.700,69 € (Korrektur auf die Grundgesamtheit bezogen, 3 x 126.900,23 €)
 
Obere Fehlergrenze
960.537,00 € (maximal möglicher Fehler)
 

Auswertung: Fraglich ist, in welcher Höhe aufgrund des vorliegenden Datensatzes die Steuerbefreiung zu versagen ist. In Höhe von 209.853 € ist es unstrittig, da der Betriebsprüfer das Nichtvorliegen der materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung (innergemeinschaftliche Lieferung) anhand der drei Stichproben belegen kann (sog. tatsächlicher Fehler). Die obere Fehlergrenze (hier = 960.537 €) wird als Maximalfehlerschätzung – zumindest in der Besprechung des Beispielsfalls aus verschiedenen Gründen – von keinem Autor vertreten. Schlegel (StBp 2020 S. 350, 351) und Danielmeyer (RET 2021 S. 39, 42) vertreten die Auffassung, dass eine Steuerbefreiung bezogen auf Entgelte in Höhe von insgesamt 380.700,69 € zu versagen ist (= plausibelster Fehler) und rechnen dabei die gefundenen Fehler auf die Gesamtheit hoch.

Böhler/L'habitant (UR 2021 S. 925, 926 ff.) lehnen dies ab, da sie die Auffassung vertreten, bei den weiteren, zugerechneten 170.847,69 € (380.700,69 € ./. 209.853,00 €) handele es sich um eine Hinzuschätzung in Form einer (Teil-)Schätzung nach § 162 AO, die so schlichtweg unzutreffend sei.

Hinweis:

Einigkeit besteht zumindest im Beispielsfall und in der Praxis insoweit, dass MUS als Testverfahren von allen Seiten anerkannt wird.

VI. MUS als Hochrechnungsverfahren und Grundlage einer Schätzung!?

Das Fallbeispiel zeigt jedoch anschaulich den Streitpunkt bei MUS. Die Frage ist nämlich, ob MUS auch als Hochrechnungsverfahren in der Betriebsprüfung zur Anwendung gelangen kann und somit die Grundlage für eine Schätzung nach § 162 AO bildet. Denn durch einen Fehler in der MUS-Stichprobe wäre somit die Beweiskraft der Buchführung gem. § 158 AO erschüttert.

1. Gerichtliche Entscheidungen

Soweit ersichtlich, hat sich explizit mit dieser Frage bisher noch kein deutsches Finanzgericht und folglich auch nicht der BFH befasst. Von den Befürwortern der Anwendung werden steuerrechtliche Entscheidungen des Hohen Rates der Niederlande, des obersten Gerichts der Niederlande, angeführt, welcher die Anwendung von MUS bestätigt hat. Ebenso wird auf eine Entscheidung des EuG ( EuG, Urteil v. 19.9.2012 - T-265/08, Deutschland gegen die Europäische Kommission, NWB XAAAI-02440) verwiesen, in welcher das EuG eine repräsentative Stichprobenziehung und Extrapolation (Hochrechnung) des Ergebnisses auf die Grundgesamtheit in einem Prüfverfahren für S. 333zulässig erachtete. Schließlich hat der BGH in einem Strafverfahren (, BGHSt 36 S. 320) bereits geurteilt, dass von gesicherten Tatsachenfeststellungen ausgehende statistische Wahrscheinlichkeitsrechnungen zu den Mitteln der logischen Schussfolgerung gehören, wie andere mathematische Methoden auch.

2. Stimmen im Schrifttum

Die Diskussion hinsichtlich der Anwendung von MUS (auch) als Hochrechnungsverfahren und Grundlage für (Teil-)Schätzungen in der Betriebsprüfung hat zuletzt an Fahrt aufgenommen. Dabei sind die Befürworter des Verfahrens in der Literatur, die oftmals aus der Finanzverwaltung stammen bzw. dieser nahe stehen, in der Überzahl. Begleitend zu den ersten Betriebsprüfungen, in denen das MUS-Verfahren angewendet wurde, erschien der Aufsatz von Giezek/Wähnert/Becker, StBp 2016 S. 347, dem folgend Giezek/Wähnert, DB 2018 S. 470, Neubert, AO-StB 2018 S. 291, und Schlegel, StBp 2020 S. 350; zuletzt Danielmeyer, RET 2021 S. 39. Etwas zurückhaltender äußert sich Bauhöfer (StBp 2021 S. 31), der jedoch dann für eine Anwendung von MUS plädiert, wenn bei konstanter Wesentlichkeitsgrenze die Zahl der zu prüfenden Stichproben erhöht wird, indem das Konfidenzniveau von 95 % auf 99 % erhöht wird, um somit eine höhere Aussagekraft zu erhalten.

Bisher lassen sich, soweit ersichtlich, ausdrücklich zwei Stimmen in der Literatur, die Teil der Beraterschaft sind, gegen die Anwendung von MUS als Grundlage von Schätzungen ausmachen. Mommer (RET 2021 S. 21, 22) meint, dass sich in der Literatur keinerlei valide Begründung für die Annahme einer Normalverteilung im Kontext der Anwendung des MUS-Verfahrens finde, ohne sich allerdings mit dem bereits aufgezeigten Meinungsspektrum auseinanderzusetzen. Er gelangt dann ohne weitere Begründung zu folgender Ansicht: Wenn die statistische Verteilung des Fehlers keiner Normalverteilung folge, beschränke sich der Erkenntnisgewinn der Stichprobe eben nur auf die Stichprobe und es lasse sich gerade kein Rückschluss auf die nicht geprüften Belege ziehen. Böhler/L'habitant (UR 2021 S. 925) setzen sich dagegen intensiver mit den bisher vorhandenen Ansichten – bezogen auf Feststellungen im Bereich der Umsatzsteuer – auseinander. Sie meinen, dass für die Finanzverwaltung beim MUS-Verfahren verwaltungsökonomische Gründe, und zwar die Praktikabilität, im Vordergrund stünden. Unter Beachtung unionsrechtlicher Grundsätze – hier insbesondere der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Verhältnismäßigkeit – sei die Anwendung im deutschen Umsatzsteuerrecht nicht zu rechtfertigen.

3. Weitere Argumente für MUS

Sehr viele Argumente sprechen m. E. dafür, dass MUS auch als Hochrechnungsverfahren und Grundlage für (Teil-)Schätzungen in der Betriebsprüfung Anwendung finden kann. In der statistisch-mathematischen Literatur ist das Verfahren hinreichend wissenschaftlich erörtert. Die grundsätzliche strafrechtliche Akzeptanz des Verfahrens, als damit verbundener schwerster zu bewertender Eingriff, ist gegeben (exemplarisch nochmals ). Stichprobenprinzipien kommen in der Wirtschaft (z. B. bei Qualitätskontrollen) nach der fünfteiligen DIN-Norm ISO 2859 zur Anwendung. Die Europäische Kommission wendet das Verfahren in ihren Prüfbehörden an und spricht bei MUS von dem „wohl beliebtesten Stichprobenverfahren für die Buchprüfung“ (vgl. Leitlinien zu Stichprobenverfahren für Prüfbehörden für 2014 bis 2020 v. ; abrufbar unter: https://go.nwb.de/sqtxl, dort S. 94 ff., Abfragestand: ).

In der internationalen und deutschen Wirtschaftsprüfung handelt es sich bei Abschlussprüfungen um eine anerkannte Prüfungstechnik (vgl. IDW PS 310, Anlage 4 wertproportionale Auswahl [Monetary Unit Sampling]; Stand:  IDW, Life S. 3348/2016 S. 636 ff.). Schließlich legitimiert das Handelsrecht gesetzlich über § 241 Abs. 1 Satz 1 HGB die Stichprobenziehung „mit Hilfe anerkannter mathematisch-statistischer Methoden“. Die Stichprobeninventur wiederum findet auch über die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz (vgl. § 5 Abs. 1 EStG) Anwendung im Bilanzsteuerrecht, da sich über diese Vorschrift das handelsbilanziell festgestellte Betriebsvermögen auch in der Steuerbilanz niederschlägt (vgl. ebenso Schlegel, StBp 2020 S. 350, 354). Zu überlegen wäre, ob sich die vorhandene Legitimation von MUS im Handelsrecht nach § 241 Abs. 1 Satz 1 HGB aufgrund der Verweise in § 140 AO bzw. § 141 Abs. 1 Satz 2 AO auch direkt für das Steuerrecht begründen ließe.

VII. Schlussfolgerung

Sollten Steuerberater im Rahmen einer Betriebsprüfung (erstmals) mit MUS konfrontiert werden, sollten Berührungsängste nicht mehr gegeben sein. MUS ist lediglich ein weiteres Verfahren, das in der Betriebsprüfung zur Anwendung gelangt. Die mit Hilfe des mathematisch-statistischen (Test-)Verfahrens über IDEA gewonnenen Erkenntnisse führen zu einem objektiven Ergebnis, worüber Einigkeit besteht. Ebenfalls ist nicht bekannt, dass die Anwendung als Hochrechnungsverfahren und in dessen Folge (Teil-)Hinzuschätzungen zu erhöhtem Streitpotenzial in Schlussbesprechungen geführt haben. Möglicherweise sprechen die innerhalb der Beraterschaft bei Wirtschaftsprüfungen positiv gewonnenen Kenntnisse auch für die bisherige (hohe) Akzeptanz bei der Anwendung innerhalb von Betriebsprüfungen.

Hinweis:

Sollte durch Auswertung einer Stichprobe ein Fehler erkannt werden, wird der Betriebsprüfer den Steuerberater darüber informieren. Denn dieser hat das Recht, angehört zu werden (vgl. § 91 AO).

Fazit

MUS ist ein weiteres zusätzliches Prüfungsinstrument im „Werkzeugkoffer“ der steuerlichen Betriebsprüfung. Es sprechen gute Gründe dafür, dass sich die Finanzverwaltung im Rahmen der digitalen Betriebsprüfung dieses mathematisch-statistischen Verfahrens sowohl als Test- als auch als Hochrechnungsverfahren bedienen kann.

Ob es einer Anrufung der Gerichte hinsichtlich MUS bedarf, wird die Zukunft zeigen. Ein sinnvoller Einsatz von MUS, als ein Verfahren der Betriebsprüfung, welches auch zu (Teil-)Hinzuschätzungen führen kann, dürfte dies vermeiden. Sollte es doch dazu kommen, gilt ggf. weiterhin: „Judex non calculat“ – der Richter rechnet nicht. Jedoch wird er nicht umhinkommen, sich ausführlich mit den vorhandenen, stichhaltigen Sachargumenten, die für eine Anwendung von MUS auch als Grundlage einer Hinzuschätzung sprechen, auseinanderzusetzen.

Autor

Dr. Andy Schmidt,
gelernter Bankkaufmann und Regierungsdirektor, ist im Ministerium der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt als Referent im Außenprüfungsreferat tätig.

Fundstelle(n):
NWB 2022 Seite 328 - 334
NWB FAAAI-02767

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