Hegen und Pflegen

Keine moderne Wirtschaft ohne Steuern. Also kommen auch Wirtschaftsinformatiker nicht ganz an dem Thema vorbei. Besonders beliebt ist das bei den Studenten nicht – Steuerrecht gilt als dröge. Doch es gibt Professoren, die solche Einschätzungen Lügen strafen: „Ich habe im Studium Professor Horst Endriss erlebt“, erzählt Lukas Wiederhold von seinem Wirtschaftsinformatik-Studium, das er 2004 bis 2010 in Dresden absolviert hat. Und er war von Endriss begeistert: „Seine Leidenschaft für das Steuerrecht war einfach ansteckend. Er konnte die bestehenden Gesetze und Regelungen mit interessanten Beispielen aus der Praxis anschaulich darstellen und so die Neugier wecken. Ich habe dann Praktika gemacht, und dadurch wurde das Thema für mich immer interessanter.“

Endriss, selbst Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, hat in Dresden eine Honorarprofessur für Steuerrecht inne, die er bis heute enthusiastisch ausübt. Die von seinem Vater gegründete
Steuerfachschule Endriss übernahm er bereits 1975. Er weiß, was bei der Ausbildung von Steuerberatern wichtig ist.

Heute ist Endriss-Schüler Wiederhold Steuerberater bei BDO in Hamburg. Absolventen, die wie er IT-Kenntnisse mitbringen, sind heißbegehrt in den Kanzleien. „Meine fachliche Arbeit als Steuerberater unterscheidet sich praktisch gar nicht von der meiner Kollegen mit anderen Universitätsabschlüssen“, sagt Wiederhold. Doch so, wie Wirtschaftsinformatiker im Studium nicht gänzlich am Steuerrecht vorbeikommen, können sich Steuerberater im Beruf der Digitalisierung nicht entziehen: „In einigen Jahren wird die tägliche Arbeit von Steuerberatern bei der Erstellung von Jahresabschlüssen und Steuererklärungen noch stärker elektronisch geprägt sein als heute, weil die Digitalisierung in diesen Bereichen das Berufsbild stark verändert“, ist Wiederhold überzeugt.

Nicht nur IT-Spezialisten werden in der Steuerberatung gebraucht. „Die Bandbreite unserer Kandidaten ist relativ groß. Sie reicht vom Wirtschaftsinformatiker bis hin zur Agraringenieurin. Wichtig bei der Personalauswahl ist für uns: ,Kluger Kopf mit Spaß an Steuern‘“, sagt Dr. Michael Rödl, Personalleiter bei Rödl & Partner in Nürnberg. Rund 45 Examenskandidaten stellt Rödl jährlich ein.

Wichtig ist vielen Personalverantwortlichen in den Kanzleien Vielseitigkeit: „Wir bieten unseren künftigen Steuerberatern eine generalistische Ausbildung. Salopp gesagt: Wir wollen keine Fachidioten, die nicht über den Tellerrand ihrer Kernkompetenz hinausschauen“, beschreibt Frank Biermann, Mitglied des Vorstands von BDO in Hamburg und dort Leiter des Unternehmensbereichs Steuern und wirtschaftsrechtliche Beratung, die Anforderungen.

Nachhaltige Veränderung
Im Gegensatz zu Rechtsanwaltskanzleien, die Prädikatsjuristen als Berufsanfänger einstellen können, müssen Steuerberatungseinheiten einen Schritt früher ansetzen: Sie holen zwar auch Absolventen von den Universitäten, müssen sie allerdings erst noch durchs Steuerberaterexamen bringen.

Die europaweite Harmonisierung der Studiengänge im Rahmen des Bologna-Prozesses hat die Ausbildung in den Kanzleien dabei nachhaltig verändert. Bernhard Steffan, Vorsitzender des Personalausschusses von Ebner Stolz Mönning Bachem, beschreibt das so: „Im Gegensatz zu früher, zu den alten Diplom-Studiengängen, kommen die Berufsanfänger heute mit sehr viel weniger Spezialisierung von den Hochschulen“, so der Stuttgarter Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. „Mit dem Steuerrecht hatten sie häufig relativ wenig Berührung. Heute müssen wir viele erst an das Thema heranführen.“

Das will Steffan allerdings ausdrücklich nicht als Kritik am Nachwuchs oder am veränderten Hochschulsystem verstanden wissen: „Die jungen Leute heute sind anders als früher, aber unverändert leistungsbereit. Andere würden wir gar nicht einstellen.“ BDO-Partner Biermann bestätigt Steffans Eindruck: „Die Kollegen aus der Generation Y sind vielseitig interessiert, verfügen dabei trotzdem über eine hohe Leistungsbereitschaft. Die hauen schon noch einen Schlag rein.“Hegen und Pflegen

Doch Leistungsbereitschaft hin oder her – da die wenigsten Universitätsabsolventen steuerliches Vorwissen aus der Hochschule mitbringen, liegt der Ball zunächst bei den Kanzleien. Vor allem die größeren Einheiten investieren von Anfang an intensiv in die Ausbildung ihrer jungen Kollegen.

Niedrige Fluktuation
„Wenn unsere jungen Mitarbeiter den Steuerberater-Titel erwerben, sind sie im Hause vernetzt, bereits tief in den Mandaten und haben eine wichtige Beziehung zu den Mandanten aufgebaut“, erläutert Steffan. „Und wenn jemand unser Unternehmen verlässt, ist das, was da verloren geht, wichtiger als das Geld, das wir in die Ausbildung investiert haben – auch wenn das insgesamt betrachtet durchaus eine größere Summe ist.“ Natürlich kommen dennoch ab und an Wechsel vor: „Die Fluktuation bei uns ist im Branchenvergleich immer noch niedrig. Im Augenblick liegt sie bei etwa neun Prozent im Jahr“, so Steffan. „Die Quote lag vor ein paar Jahren allerdings noch bei sechs bis sieben Prozent, und dahin wollen wir wieder zurück.“

Es sind nicht unbedingt andere Kanzleien, die Berufseinsteiger locken. „In der Regel verlieren wir Berufsträger nicht an eine Kanzlei im Wettbewerb, sondern eher an die Inhouse-Abteilungen von Unternehmen“, berichtet Steffans Partnerkollege Stefan Winden aus Köln. Er ist Mitglied des Steuerfachausschusses von Ebner Stolz. „Der Wettbewerb um gute Leute ist wirklich scharf – eine vertragliche Bindung bringt wenig. Viel wichtiger ist es, den Mitarbeitern Perspektiven zu bieten, damit sie sich weiter bei uns und für unsere Mandanten engagieren“, meint Winden.

Der Kampf um den Nachwuchs hat seine Wurzeln allerdings nicht nur in dem hohen Aufwand, den Kanzleien bei der Ausbildung der jungen Steuerberater betreiben – es fehlt schlicht an geeigneten Kandidaten. Dabei scheint die Lage auf den ersten Blick gar nicht so dramatisch: Seit vielen Jahren ist die Zahl der Neubestellungen an Steuerberatern in etwa gleich, die Veränderungen von Jahr zu Jahr niedrig. Zwar war in den vergangenen Jahren ein, wenn auch moderater, Rückgang zu verzeichnen. Insgesamt jedoch ist die Anzahl der Steuerberater immer weiter gestiegen. Dank der Verkammerung des Berufs kann diese zum Jahresbeginn immer sehr genau auf den einzelnen Berufsträger bestimmt werden.

Hegen und PflegenNachwuchsmangel spürbar
Doch Zahlen allein genügen nicht, um die Marktsituation einzuschätzen. Steuerberater neigen dazu, ihren Titel bis ins hohe Alter zu behalten. Sie zahlen lieber jährlich Kammerbeiträge, als ihren Titel zurückzugeben. Das mag daran liegen, dass die Identifikation von Steuerberatern mit ihrem Beruf sehr hoch ist, aber auch daran, dass man gerne noch, ohne die Gesetze zu verletzen, die Steuererklärung für Freunde, Familie und Nachbarn machen und gegenüber der Finanzverwaltung vertreten möchte. Ein mit dem Durchschnittsalter der Gesellschaft mitwachsender Anteil des Berufsstands steht also dem Arbeitsmarkt gar nicht wirklich zur Verfügung.

Zudem berichten die großen Kanzleien übereinstimmend, dass ihr Bedarf an Steuerberatern in den letzten Jahren gewachsen ist. Beispiel PricewaterhouseCoopers (PwC): Die Big-Four-Gesellschaft schätzt, dass die Anzahl ihrer Examenskandidaten seit 2014 um knapp 30 Prozent gestiegen ist. Bei Ebner Stolz hat sich die Zahl seit 2010 mehr als verdoppelt, auf nun über 50 Examenskandidaten im Jahr, und auch WTS spricht von einer Verdoppelung über die vergangenen fünf Jahre. Rechnet man den gestiegenen Bedarf allein der zehn größten Gesellschaften zusammen, kommt man schnell auf einen Mehrbedarf von Hunderten Steuerberatungs-Einsteigern pro Jahr allein für diese Kanzlei-Größenklasse. So ist es kein Wunder, dass Steuerberater in der Fläche spüren, dass immer weniger potenzielle Kanzleiübernehmer zur Verfügung stehen.

Bessere Erfolgsaussichten
Aber die großen Kanzleien saugen nicht nur fähige Leute aus dem Markt, sie tun auch etwas für den Berufsstand. Die Durchfallquote bei der Steuerberaterprüfung ist unter den Kandidaten, die ihre Ausbildung in einer der zehn größten Steuerberatungskanzleien in Deutschland (gemäß JUVE-Liste, Steuermarkt Ausgabe Mai 2017) absolviert haben, deutlich niedriger. Das melden alle Kanzleien. So erklärt etwa Dierk Lemmermann von Roever Broenner Susat Mazars: „Die aktuelle Durchfallquote unserer Kandidaten von 32 Prozent weicht deutlich von der durchschnittlichen Durchfallquote von rund 50 Prozent ab.“

Der Grund dafür dürfte in der soliden und umfangreichen Ausbildung in diesen Kanzleien liegen, die die Examenskandidaten sowie erfolgreiche Berufsträger aus der Praxis gut vernetzt. Die großen Kanzleien haben inzwischen alle ein festgelegtes Ausbildungsprogramm, etwas, was kleine Steuerberatungsgesellschaften, aus denen heraus die meisten Examenskandidaten antreten, nicht anbieten können.

Allerdings kommt hierbei – zumindest anteilig – ein statistischer Effekt zum Tragen: Immer noch beschreitet ein beträchtlicher Teil der Steuerberater den berufspraktischen Weg zum
Steuerberater-Titel: Etwa 40 Prozent der Steuerberaterkandidaten sind keine Akademiker, sondern haben einen einschlägigen Ausbildungsberuf, meist als Steuerfachangestellter absolviert. Mit ausreichender Berufspraxis erwerben sie das Recht, das Examen abzulegen. Die Berufspraktiker findet man weit überwiegend in kleinen, regional aufgestellten Kanzleien.

Praktiker haben es schwer
Ihre Erfolgsaussichten sind allerdings in der Regel geringer. Es liegt auf der Hand, dass Universitätsabsolventen die steuerrechtlichen Fragestellungen der Klausuren leichter fallen. Und dass sie zudem besser wissen, wie man sich auf derartige Prüfungsherausforderungen vorbereitet – Juristen schneiden dabei noch ein klein wenig besser ab als Ökonomen.

Der geringere Prüfungserfolg ist ein Problem für die Berufspraktiker, jedoch ist ihr Karriereweg kein Makel, wenn sie bestanden haben. Sie gelten als außerordentlich einsatzfähig. Roever Broenner-Partner Lemmermann etwa erläutert: „Unsere Lieblingskandidaten verfügen über einen Abschluss als Steuerfachangestellter mit BWL-Studium. Aber wir zählen auch VWLer, Wirtschaftsmathematiker und Juristen zu unseren Examenskandidaten.“ Ein anderer Personalverantwortlicher nennt die berufspraktischen Steuerberater, die den Weg in eine Großkanzlei finden, „seltene Glücksfälle“.

Um solche Glücksfälle, aber auch Bewerber frisch von der Uni zu gewinnen, verlassen sich Kanzleien nicht nur auf ausgefeilte Ausbildungsprogramme. Die Bewerber der Generation Y setzen, so der übereinstimmende Eindruck von Personalverantwortlichen, andere Schwerpunkte als die Generation vor ihnen. Marco Dern, Partner bei der WTS in München und verantwortlich für Personalthemen, sagt: „Ganz anders als früher werden heute in fast jedem Vorstellungsgespräch Fragen nach familienfreundlichen Arbeitszeiten und -bedingungen, nach Flexibilität gestellt.“

Dern sieht das als Herausforderung für die Kanzleien: „Das finden wir gut so, darüber muss man sprechen. Wir bieten dafür ganz individuelle Lösungen an.“ Bernhard Steffan von Ebner Stolz konkretisiert: „Teilzeit und Homeoffice sind wichtige Kriterien. Die Mitarbeiter wollen heute mehr zeitliche und räumliche Flexibilität – und da ist inzwischen technisch sehr viel mehr machbar als früher.“

Die Arbeitszufriedenheit ihrer Mitarbeiter ist den Kanzleien sehr wichtig, beim Kampf um die besten Köpfe ist das ein bedeutender Faktor im Wettbewerb. Dr. Sonja Conrads, Leiterin Personalentwicklung WTS, berichtet: „Wir fragen bei unseren Mitarbeitern systematisch die Arbeitszufriedenheit ab. Und die Ergebnisse dieser unabhängigen externen Studien durch die Universität St. Gallen zeigen, dass unsere Mitarbeiter die Familienfreundlichkeit von WTS anerkennen und schätzen.“

Steuerberatung wird weiblicher
Hegen und PflegenMit verantwortlich für diese Entwicklung ist nicht nur ein verändertes Berufs- und Selbstverständnis der jungen Generation. Auch das Geschlechterverhältnis hat sich in der Steuerberatung verändert – und prägt nun die aktuelle Nachwuchsdebatte. In der Mitte des 20. Jahrhunderts war die Steuerberatung noch fast eine reine Männerdomäne. Das hat sich wie in kaum einem anderen Beruf verändert: Inzwischen kommen mehr Frauen in den Beruf nach als Männer. In absoluten Zahlen sieht das so aus: Vom jeweiligen Jahresanfang 2016 auf 2017 stieg die Anzahl der männlichen Steuerberater um 41 Personen. Es schieden also nahezu gleich viele Männer aus dem Beruf aus oder verstarben, wie neu bestellt wurden. Bei den Frauen wuchs die Anzahl hingegen um 558 Personen.

Der Beruf wird immer weiblicher, und gerade bei den Neubestellungen kann man nicht mehr von einem Männerberuf sprechen, selbst wenn statistisch immer noch fast zwei Drittel aller Steuerberater Männer sind. Die Kanzleien haben längst darauf reagiert, wie Alexandra Fotteler aus Hamburg, Personaldirektorin von BDO, sagt: „Besonders wichtig sind bei uns Wiedereinstiegsprogramme für Frauen nach der Schwangerschaft. Der Frauenanteil bei den jungen Steuerberatern steigt überproportional. Da lassen wir uns von einem oder zwei Kindern nicht aus der Kurve werfen“.

Autoren: Till Mansmann und Stephan Mittelhäuser

Aus dem JUVE Steuermarkt 07|2017


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