Grünes DRSC?

Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsstrategien sowie die damit verbundenen Berichtspflichten und die EU-Taxonomie sehen laut einer Forsa-Umfrage sowohl börsennotierte als auch nicht börsennotierte Großunternehmen neben der Bewältigung der Corona-Krise als die wichtigsten Herausforderungen für die kommenden zwölf Monate an (vgl. Forsa, ESG-Herausforderungen für Großunternehmen in Deutschland, Berlin 2021, S. 4). Sollen sich Rechnungslegungsstandardsetzer wie das DRSC daher verstärkt auf das Thema „grüne Berichtspflichten“ (als Teil des „green tape“) ausrichten oder als Schuster bei den Rechnungslegungsleisten bleiben?

Contra

Nach § 342a Abs. 4 HGB unterbleibt die Bildung eines politischen Rechnungslegungsbeirats beim BMJV, wenn für die Aufgaben nach § 342 HGB ein privates Rechnungslegungsgremium anerkannt wird. Die Entscheidung zwischen einer (eher) politischen oder einer (eher) politisch unabhängigen Standardsetzung wurde zu Gunsten eines eingetragenen Vereins (e. V.) getroffen, der sich zumindest in der Vergangenheit als unabhängig vermarktete. Bemerkenswerterweise bewertet das DRSC in einer Pressemitteilung ein Schreiben des DRSC und des Rates für Nachhaltige Entwicklung an EFRAG zur Unterstützung eines gemeinsamen Kandidaten für eine „Lab Project Task Force for Sustainability Reporting Standards“ als „Signal des gemeinsamen Auftretens regierungsnaher [sic!] deutscher Einrichtungen“ (DRSC-Meldung v. https://go.nwb.de/lhii4). Mit dem Outing als „regierungsnahe deutsche Einrichtung“ verabschiedet sich der deutsche Standardsetzer vom Anschein der Unabhängigkeit (vgl. kritisch Haaker, IFRS – Irrtümer, Widersprüche und unerwünschte Konsequenzen, 2014, S. 57). Für nicht nur politisierte, sondern sogar regierungsnahe Einrichtungen dürfte die nach § 342 Abs. 1 Nr. 3 HGB vorgesehene Vertretung in sich als unabhängig verkaufenden internationalen Standardisierungsgremien wie dem IASB schwieriger werden (vgl. Knorr, in: Busse von Colbe et al. (Hrsg.), Lexikon des Rechnungswesens, 5. Aufl. 2011, S. 205 f.). Vor allem obliegt es einem privaten, möglichst unabhängigen Rechnungslegungsgremium bei seiner Beratung des BMJV, bei Gesetzgebungsvorhaben zu Rechnungslegungsvorschriften das „gesamtwirtschaftliche Interesse“ im Auge zu haben, was regierungsnahe Positionen ausschließen kann. Das gilt besonders für das politische Top-Thema „Nachhaltigkeit“, weil die politische Verhaltenssteuerung über die Berichterstattung eine wesentliche Rolle spielt (vgl. HaakerPiR 2015 S. 295 ff. NWB QAAAF-04790).

Da nach § 342 Abs. 1 HGB bei einem anerkannten Rechnungslegungsgremium „Mitgliedschaftsrechte nur von Rechnungslegern ausgeübt werden“ dürfen, müssen grüne Aktivisten und andere Protagonisten der „grünen Transformation“ beim DRSC bislang außen vor bleiben. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist und bleibt aus Sicht der Rechnungslegung allenfalls ein Randthema, denn Kern der Rechnungslegung ist die gewinnorientierte Finanzberichterstattung. Insofern erscheint es nur konsequent, wenn der Präsident einer „regierungsnahen deutschen Einrichtung“ einen entsprechenden „Wandel des Rechnungslegerbegriffs im Kontext der aktuellen Diskussion zur Nachhaltigkeitsberichterstattung“ anstößt (Lanfermann/Hommelhoff/Gundel, BB 1195 ff.). Natürlich kann (und muss) ein auf die Finanzberichterstattung spezialisierter echter Rechnungsleger heute zugleich gewisse Kenntnisse der Nachhaltigkeitsberichterstattung aufweisen. Ein Fachmann für Nachhaltigkeitsfragen, der sich zwar mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung aber wenig mit IFRS- und HGB-Bilanzierung auskennt, ist jedoch kein Rechnungsleger. Das gilt insbesondere für politische Aktivisten, ob sie nun aus dem NGO- oder Hochschul-Bereich kommen.

Aktivisten werden dem grünen Zeitgeist entsprechend neben Investoren und anderen Stakeholdern sogar als Adressaten der Finanzberichterstattung angesehen, deren Informationsbedürfnisse zu beachten sind (so z. B. Sureth-Sloane/Simon, FAZ Nr. 20 v. , S. 16). Welche Informationsbedürfnisse von Aktivisten erfüllt die echte (finanzielle) Rechnungslegung? Wie sollen die damit zusammenhängenden Interessenkonflikte gelöst werden? Gewinnermittlung ist für (grüne) Aktivisten oftmals Teil des zu überwindenden kapitalistischen Systems. „Ohne Wirtschaftsrechnung keine Wirtschaft“ (Mises, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 1920, S. 106) – zumindest keine Markt-Wirtschaft. Wirtschaftsrechnung und Gewinnermittlung sind sogar das „charakteristische Merkmal des Kapitalismus“ (Mises, Nationalökonomie, Genf 1940, S. 258). Die Informationen für Aktivisten und wirtschaftlich tätige Stakeholder dürfen daher nicht vermengt werden und ein Rechnungslegungsstandardsetzer ist für die Finanzberichterstattung an die wirtschaftlich tätigen Stakeholder und nicht für Aktivisteninformation zuständig.

Pro

Die Finanzberichterstattung steht vor einem Umbruch. Betroffen ist nicht nur die Form, der gedruckte und gebundene Geschäftsbericht weicht einem digitalen und maschinenlesbaren Format, sondern auch der Inhalt. Neben Bestands- und Stromgrößenrechnung sowie erläuternden Angaben zur Vermögens-, Finanz- und Ertragslage in Anhang und Lagebericht gewinnen Informationen zur unternehmerischen Nachhaltigkeit zunehmend an Bedeutung. Im Vordergrund des Interesses steht die Generierung langfristiger Wertschöpfung und finanzieller Stabilität unter Berücksichtigung von ökologischen Belastungsgrenzen und sozialen Aspekten und damit die Wirkung:

  • von Umwelt und Gesellschaft auf das Unternehmen (outside-in) und

  • des Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft (inside-out).

Gesetzliche Anforderungen, internationale Übereinkommen und unternehmerische Selbstverpflichtungen sind die wesentlichen Treiber für die Ausweitung der nicht-finanziellen Berichterstattung. Eigentlich ist somit alles geklärt: Die Adressaten wollen Informationen, die Unternehmen wollen auch liefern, aber es fehlt ein einheitlicher und verbindlicher Referenzrahmen. Es gibt aktuell eine Vielzahl verschiedener Rahmenwerke und unverbindliche Empfehlungen zur Berichterstattung. Eine Eingrenzung für deutsche – aktuell betroffen sind große kapitalmarktorientierte (§ 289b Abs. 1 HGB) – Unternehmen ergibt sich aus der Transformation der Non-Financial Reporting Directive der EU in das deutsche Handelsrecht (§ 315c i. V. mit § 289d HGB). Es sind aber weiterhin zahlreiche Fragen offen und ungeklärt, so fehlt nicht nur eine Festlegung auf ein Rahmenwerk, die Berichterstattung kann im Lagebericht, im Geschäftsbericht oder in einem separaten Dokument erfolgen und ist überdies auch nicht verpflichtend zu prüfen. Eine (Nach-)Adjustierung der regulatorischen Anforderungen ist zwingend erforderlich. Im Einklang mit dem verkündeten green deal für Europa liegt seit April 2021 mit der Corporate Sustainability Reporting Directive ein Vorschlag zur Fortentwicklung der nichtfinanziellen Berichterstattung vor. Mit einer Umsetzung – vorgesehen ist eine Finalisierung bis Mitte 2022 – würde erstmals, allerdings nur für Unternehmen mit Sitz in Europa, ein standardisierter Referenzrahmen geschaffen. Danach soll neben Anforderungen an die governance der Unternehmen die nichtfinanzielle Berichterstattung:

  • zwingend Bestandteil des (Konzern-)Lageberichts sein,

  • auch digital über das gleiche Format wie die ESEF-Informationen bereitgestellt werden und

  • verpflichtend einer Prüfung mit limited assurance unterzogen werden.

Zur Sicherstellung eines einheitlichen Rahmenwerks soll die EFRAG fachliche Empfehlungen (sustainable reporting standards) entwickeln und die EU-Kommission ermächtigt werden, eigene EU-Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung in Form delegierter Rechtsakte zu erlassen. Der eingeschlagene Weg geht auf jeden Fall in die richtige Richtung, kann aber in eine europäische Sackgasse führen. Unternehmerische Nachhaltigkeit ist global relevant. So fühlt sich aktuell auch die IFRS Foundation berufen, ein International Sustainability Standards Board (ISSB) als Schwester des IASB einzurichten. Über eine sustainability Arbeitsgruppe, die sich auf die Unternehmensberichterstattung konzentriert, soll die bestehende Fragmentierung der nichtfinanziellen Berichterstattung reduziert und eine Konsolidierung herbeigeführt werden. Beide Initiativen laufen (noch) parallel, es droht daher ein Wettbewerb zwischen der EFRAG und der IFRS Foundation in Bezug auf die zukünftige Entwicklung von Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. In der aktuellen Gemengelage ist das DRSC die erste Wahl für die Wahrung der deutschen Interessen. Als politisch anerkanntes, privates (Rechnungslegungs-)Gremium, in dem sich Vertreter der Wirtschaft engagieren, kann das DRSC zwischen den – schlimmstenfalls gegensätzlichen – Strömen vermitteln. Ein Divergieren europäischer und internationaler Anforderungen ist zu vermeiden, Erwartung an und Arbeitsauftrag für das deutsche, private Rechnungslegungsgremium sind somit eindeutig. Losgelöst von der erforderlichen (Weiter-)Entwicklung eines Referenzrahmens für die nichtfinanzielle Berichterstattung ist eine Bündelung aller Anforderungen an die Unternehmenspublizität an einer Stelle und damit beim DRSC geboten. Der Umbruch in der Finanzberichterstattung führt nicht zu einem Wechsel von finanzieller zu nichtfinanzieller Information, es gibt also keine Substitution und auch keine Verdrängung einer „echten“ Rechnungslegung. Das Spektrum der Anforderung der Adressaten erweitert sich vielmehr um eine weitere Perspektive, die Herausforderung ist daher eine Integration und Verzahnung von finanziellen und nichtfinanziellen Informationen. So hat

  • der IASB noch im Jahr 2020 auf die Auswirkungen eines nachhaltigen Wirkens auf die Finanzberichterstattung, insbesondere Werthaltigkeitsüberlegungen hingewiesen,

  • die ESMA die Verzahnung von nachhaltigen Herausforderungen mit der Bestands- und Stromgrößenrechnung als enforcement priority für Berichtsstichtage zum und nach dem  erklärt (und wird dies mutmaßlich im Jahr 2021 noch einmal bekräftigen) sowie

  • die Europäische Kommission über die Taxonomie-Verordnung von den Unternehmen bereits die Offenlegung nachhaltiger Umsatzerlöse, Betriebsaufwendungen (OPEX) und Investitionen (CAPEX) gefordert.

Nicht nur aus Effizienzgründen hat die Bündelung in einem Gremium, das verbindet, was zusammengehört, einen bedeutsamen Vorteil. Der Umbruch in der Finanzberichterstattung geht notwendigerweise auch mit einem Wandel in der Aufgabenstellung des DRSC einher. Sowohl bezogen auf die Inhalte der Publizität, also die Verbindung und Integration finanzieller und nichtfinanzieller Information, aber auch die Vertretung der Interessen der deutschen Stakeholder – weit gefasst als Unternehmen und Adressaten – im Wettbewerb zwischen Europa und globalen Institutionen bezogen auf die (Deutungs-)Hoheit über den Referenzrahmen der nichtfinanziellen Information ist das DRSC bestens aufgestellt.

Fundstelle(n):
PiR 7/2021 Seite 230
NWB AAAAH-82377

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